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Bus M 45 vom Bahnhof Zoo nach Spandau. Für diese Linie besteht nach Angaben im Nahverkehrsplan ein Beschleunigungspotenzial von 14 Minuten. Auch bei anderen Buslinien sowie bei Straßenbahnlinien gibt es noch große Beschleunigungspotenziale. Foto: Florian Müller |
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Der Nahverkehrsplan bildet den verkehrspolitischen
und verkehrsgewerberechtlichen
Rahmen für die mittelfristige Entwicklung
des Berliner öffentlichen Personennahverkehrs
und setzt damit auch die inhaltlichen
Vorgaben für den ab 2008 bis voraussichtlich
2020 laufenden Verkehrsvertrag mit der
BVG, der derzeit ausgehandelt wird.
Wichtigster Punkt des Nahverkehrsplans
ist aus der Kundensicht die Festschreibung
des Leistungsvolumens für die Verkehrsmittel
Regionalverkehr, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn,
Bus und Fähre. Die jährlich zu erbringenden
Nutzkilometer liegen deutlich
unter den Werten des letzten Nahverkehrsplans
und des BVG-Unternehmensvertrags
und spiegeln wider, welch drastische Angebotskürzungen
den Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel
in den letzten Jahren zugemutet
wurden. Der Berliner Fahrgastverband IGEB
hält es aufgrund dieser Erfahrungen für unabdingbar,
dass zukünftig
- mindestens das Leistungsvolumen des
NVP im BVG-Verkehrsvertrag festgeschrieben
wird und die Werte, insbesondere
für neue Strecken (z. B. U 55 und U 5
sowie Tram Adlershof und Hauptbahnhof),
regelmäßig angepasst werden,
- die Erbringung des Nutzkilometer-Volumens
durch die Verkehrsunternehmen
vom Land Berlin effektiv kontrolliert und
bei Nichterfüllung erheblich sanktioniert
wird.
Qualitätsvorgaben müssen im BVG-Vertrag verbindlich werden
Die im Nahverkehrsplan gesetzten „Rahmenvorgaben
zum Angebot“ geben in sehr
vielen Punkten positiv die Anforderungen an
einen guten Nahverkehr aus Fahrgastsicht
wieder. So werden durch die Erschließungsstandards
zu lange Fußwege zum nächsten
ÖPNV-Angebot vermieden, und durch die
Bedienungsstandards wird ein Mindesttakt
von 20 Minuten als Untergrenze bei allen
Verkehrsmitteln gesichert.
Durch die Qualitätsstandards werden
wichtige Vorgaben zu Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit,
Anschlussplanung, Barrierefreiheit,
Ausstattung der Fahrzeuge und Haltestellen,
Sauberkeit, zur Fahrgastinformation
und zu den Fahrgastrechten vorgegeben.
Durch die Umweltstandards wird sichergestellt,
dass der Berliner Nahverkehr seinen
ökologischen Vorsprung gegenüber dem
motorisierten Individualverkehr sichern und
ausbauen kann.
Eine Umsetzung dieser im öffentlichen
sowie Kundeninteresse liegenden Vorgaben
wird jedoch nur erfolgen, wenn die Politik
dafür sorgt, dass die hier formulierten Pflichten
Vertragsbestandteil des BVG-Verkehrsvertrages
sowie der künftigen Ausschreibungen
im Bahnverkehr werden und die
Nichteinhaltung sanktioniert wird.
Von der IGEB positiv bewertet werden
auch die Anforderungen an den Tarif, wo
die Eckpunkte des Nahverkehrsplans eine
aus Kundensicht sehr wichtige Konkretisierung
erfahren haben. Hier wird vorgegeben,
dass neben dem Aspekt der Tarifergiebigkeit
– also der Maximierung der Erlöse der
Verkehrsunternehmen, wonach diese bisher
ausschließlich ihre Tarifstrategie entwickelt
haben – weitere Aspekte gleichberechtigt
bei der Weiterentwicklung der Tarife zu berücksichtigen
sind. Genannt werden Kundenbindung,
Nachfrageelastizität, Tarifgerechtigkeit,
Transparenz und Angemessenheit.
Mit Angemessenheit ist die Entwicklung der
Fahrpreise im Vergleich zu den allgemeinen
Lebenshaltungskosten gemeint.
Außerdem wird gefordert, dass die Verkehrsunternehmen
bei einem Tarifantrag
eine begründete Prognose für alle oben
beschriebenen Kriterien abzugeben haben
und die letzte Tarifmaßnahme evaluieren
müssen. Aber auch hier gilt natürlich: Gute
Formulierungen im Nahverkehrsplan allein
nützen den Kunden nichts, wenn Politik und
Verwaltung nicht auch auf eine konsequente
Umsetzung achten. Hier wird sicherlich bald
die erste Nagelprobe kommen, wie ernst der
Senat seinen NVP-Beschluss nimmt.
Festschreibung der bestehenden Angebote
Weniger überzeugend sind die Aussagen zur
Angebotsplanung bis 2009 im Kapitel 4. Hier
erfolgt vor allem eine Beschreibung des derzeitigen
Verkehrsangebots, welches durch
die Schaffung lokaler Netze ergänzt werden
soll. Wichtige Fragen bleiben aber unbeantwortet,
etwa die Erarbeitung eines Konzeptes
für die Bahnanbindung des Flughafens
BBI oder die Entwicklung eines mit einem
Betriebskonzept hinterlegten Zielnetzes für
Straßenbahn und Bus in Berlin. Die Politik
darf diese wichtige Fragen jedoch nicht länger
aufschieben.
Auch beim Thema Straßenbahn-Ausbau
bleibt der neue Nahverkehrsplan hinter
den Erwartungen zurück. Die Strecke zum
Hauptbahnhof soll die einzige neue Strecke
werden, ansonsten werden nur Prüfaufträge
vergeben – und dies, obwohl die Kunden
in einer im NVP-Kapitel 2 veröffentlichten
Befragung deutlich zufriedener mit dem
Verkehrsmittel Straßenbahn als mit dem
Verkehrsmittel Bus sind.
Für den Berliner Fahrgastverband IGEB ist
der vorliegende NVP ein erneuter Beweis dafür,
dass die rot-rote Koalition immer noch
nicht die Notwendigkeit eines zügigen Straßenbahn-
Ausbaus in den Westteil Berlins
auch für die Stärkung des Bestandsnetzes
erkannt hat. Doch der Senat hat die Chance
zur Nachbesserung – in Kürze wird der Stadtentwicklungsplan
Verkehr neu aufgestellt
werden müssen, der die Infrastrukturmaßnahmen
für alle Verkehrsträger festlegt.
Ohne Kontrolle keine Qualität
Die in Kapitel 5 vorgesehenen Einzelmaßnahmen
können dagegen überzeugen. Hier
werden unter anderem die Verbesserung
der Umsteigesituation, der Bau
zweiter Zugänge zu S- und U-Bahnhöfen
sowie der barrierefreie Ausbau
geplant. Beim Thema Bus-Beschleunigung
wird aufgezeigt, welches Potenzial
hier vorhanden ist – sowohl um das
Angebot für die Fahrgäste attraktiver
als auch die Leistungserstellung für die
BVG kostengünstiger zu machen. So soll
z. B. der Metrobus M 45 gleich um 14 Minuten
je Fahrzeugumlauf schneller werden.
Dass eine solche Beschleunigung
noch möglich ist, zeigt aber auch, dass
bisher dem öffentlichen Nahverkehr
kein ausreichender Vorrang vor dem
Autoverkehr gewährt worden ist.
Innovativ und begrüßenswert ist der
Vorschlag eines Umsetzungs-Monitorings
in Kapitel 6. Damit soll sichergestellt
werden, dass die Vorgaben des NVP 2006
bis 2009 besser als bei vergangenen Nahverkehrsplänen
umgesetzt werden. Hierzu
bedarf es aus IGEB-Sicht aber auch der zügigen
Einrichtung einer von den Verkehrsunternehmen
unabhängigen Aufgabenträger-
Organisation in Berlin, wie dies auch im Eckpunkte-
Beschluss des Abgeordnetenhauses
vorgesehen war.
Insgesamt bewertet die IGEB den neuen
Berliner Nahverkehrsplan positiv und erwartet
bei Umsetzung der beschriebenen
Maßnahmen deutliche Verbesserungen für
den Berliner ÖPNV.
Für einen guten Nahverkehr ist neben
dem NVP aber auch eine ausreichende Finanzierung
erforderlich – hier sind die jetzt
im Haushalt eingeplanten 250 Mio. Euro im
Jahr, davon 175 Mio. Euro für die Verkehrsinfrastruktur
und nur 75 Mio. Euro für das Verkehrsangebot,
bei weitem nicht ausreichend.
Die BVG könnte mit dieser Summe – selbst
bei gutem Wirtschaften – ihre anfallenden
Kosten und die Zinslast von ca. 50 Mio. Euro
im Jahr nicht tragen.
Die IGEB fordert daher, die schwierige
Ausgangssituation der BVG mit 900 Mio. Euro
Schulden und 2 000 Mitarbeitern im
Personalüberhang, die im Wesentlichen
von der Politik zu verantworten sind, bei
der Finanzierung ausreichend zu berücksichtigen.
Daher müsste die BVG von Ihren
Altschulden befreit werden sowie jährlich
wie bisher 320 Mio. Euro für den Infrastruktur-
Erhalt und die Erbringung des Verkehrsangebots
als Entgelt im Verkehrsvertrag
erhalten.
Der Berliner Nahverkehrsplan ist im Internet
verfügbar unter:
>stadtentwicklung.berlin.de/Nahverkehrsplan
Berliner Fahrgastverband IGEB
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