Berlin

M4: Zwei Jahre „Bau”-Fahrplan

Seit über zwei Jahren schummelt sich die BVG bei ihrer Power-Straßenbahnline M 4 um den bestellten 3-4-Minuten-Takt zur Hauptverkehrszeit herum. Dabei werden die Begründungen von „Bau”-Phase zu „Bau”-Phase immer abenteuerlicher. Und die Besteller- und Aufsichtsbehörden gucken nur teilnahmslos zu.

Voller Bahnsteig an der M4
Foto: Holger Mertens

„Da kann man auch alle 90 Sekunden fahren und dann steigt immer noch ständig jemand zu.” Das sagte der frühere Straßenbahnchef der BVG, Klaus-Dietrich Matschke, einmal über die am stärksten nachgefragte Straßenbahnlinie Berlins, die M 4. Seit Einführung des Metrolinien-Konzeptes Anfang der 2000er Jahre ersetzt sie allein die drei früheren Straßenbahnlinien auf der Greifswalder Straße.

Seitdem sind ihre Fahrgastzahlen kontinuierlich gestiegen. Sie ist auch die einzige Straßenbahnlinie Berlins, bei der die maximale Fahrzeuggröße eingesetzt wird, die durch die Bahnsteiglänge von 60 Metern möglich ist. Und trotzdem ist sie voll, weswegen der Senat bei der BVG morgens und nachmittags, also immer dann, wenn besonders viele Fahrgäste unterwegs sind, auf der Linie einen 3/3/4-Minuten-Takt bestellt hat.

Beim Einsatz der üblichen Doppeltraktionen vom Fahrzeugtyp GT6 mit je ca. 150 Personen Kapazität ergibt das pro Stunde und Richtung eine Beförderungskapazität von 5400 Personen.

Fahren die Züge jedoch nur wie derzeit statt alle 3/3/4 nur alle 5 Minuten, sinkt die maximale Beförderungskapazität auf nur noch 3600 Personen je Stunde je Richtung. Damit ist ein stolzes Drittel der Gesamtkapazität einfach weggekürzt.

Und das nicht erst seit gestern. Stichtag für alle Kunden, die auf die M 4 angewiesen sind, war der 24. Juni 2021 – ein Donnerstag. Die Straßenbahnen konnten wegen Bauarbeiten den Alexanderplatz nicht mehr direkt überqueren und wurden über die bekannte Strecke in der Karl-Liebknecht-Straße umgeleitet. Wegen angeblicher Kapazitätsmängel der Ampelanlagen wurde hier der M 4-Takt von 3/3/4 Minuten auf 5 Minuten ausgedünnt. Und das gleich ein halbes Jahr bis November. In diesem Zeitraum wurde ebenfalls die Berliner Allee in Weißensee umgebaut – mit Umleitungen und Ersatzverkehr bei der M 4. Gleich zwei Gründe für die Taktreduzierung.

Voller Bahnsteig an der M4
Morgens im Berufsverkehr ist es sehr voll auf der M 4. So wie hier am Antonplatz quellen die viel zu schmalen Haltestellen binnen Minuten über. Daher wird die Linie eigentlich alle 31/3 Minuten mit 60 Meter langen Zügen bedient, was auch dringend notwendig ist.
Volle M4
Voll, voller, M 4. Nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind diese Füllungsgrade im Berufsverkehr oder wenn statt einer 60-Meter-Doppeltraktion mal nur eine 40 Meter kurze Flexity einfährt.
Fahrplanaushang
„Baufahrplan“ steht groß auf dem Fahrplan, doch in dem grauen Bereich am rechten Rand stehen gar keine Baueinschränkungen, wie sonst üblich. Kein Wunder! Denn es gibt gar keine. Trotzdem wird im Berufsverkehr nur alle 5 Minuten gefahren. Fotos: Holger Mertens

Dann war es erst einmal geschafft. Doch die Verschnaufpause dauerte nicht lange. Zunächst wieder die bekannte Taktreduzierung wegen Corona. Seit dem 11. April 2022 ist nun ununterbrochen der 5-Min-Takt auf der M 4 eingekehrt. Zunächst wieder für 4 Wochen wegen Bauarbeiten auf der Berliner Allee. Doch direkt im Anschluss musste dann ab 9. Mai 2022 der nächste Abschnitt vom Weißen See bis zu den Endstellen in Hohenschönhausen gesperrt werden. Zeitraum diesmal: über 2 Monate. Warum hier allerdings ebenfalls der Takt ausgedünnt werden musste, war schon nicht mehr so ganz schlüssig.

Als die Sperrung am 25. Juli 2022 beendet war, schloss direkt und ohne eine Minute Pause die nächste Sperrung an. Diesmal wurde die Linie am anderen Ende vom Hackeschen Markt zum Alex zurückgezogen. Hier zog dann wieder die Ausrede mit den Ampeln. 4 Wochen später wechselte die Betriebsführung. Die M 4 fuhr ab 22. August 2022 wieder zum Hackeschen Markt, allerdings erneut über die Umleitungsstrecke in der Karl-Liebknecht-Straße. Ampeldesaster – 5-Min-Takt. Erst ein halbes Jahr später, am 14. Januar – wir schreiben inzwischen das Jahr 2023 – durfte die M 4 wieder über den Alexanderplatz fahren. Damit waren dann auch endlich alle Bauarbeiten von der M 4 verschwunden.

Die Bauarbeiten waren weg. Doch was blieb, war der Baufahrplan. Und mit ihm der 5-Minuten-Takt. Eine Linie ohne Einschränkungen. Und trotzdem die massive Taktreduzierung? Wegen Bauarbeiten? Wie passt das zusammen?

Nun, zwischenzeitlich hat eine „Havarie” in der Oranienburger Straße dafür gesorgt, dass die Linien 12 und M 1 nun nicht mehr zum Kupfergraben fahren können. Beide Linien enden nun am Hackeschen Markt, wo auch die M 4 endet und noch andere Linien. Da der Platz in der Wendeschleife aber nicht für so viele Züge ausreicht, hat man kurzerhand den Takt der M 4 weiterhin ausgedünnt. Oder umgekehrt?

Wie dem auch sei, diese abenteuerliche Ausredenkonstruktion hält weiter an. Währenddessen wurde Corona für beendet erklärt und das Deutschland-Ticket startete. In der M 4 sind nun wieder so viele Fahrgäste, wie vor der Pandemie unterwegs. Doch was ihnen fehlt, ist ihr Platz, weil der Takt 5 Minuten beträgt. Läge er bei den laut Verkehrsvertrag alle 3/3/4-Minuten, so gäbe es 50% mehr Platz in den Zügen. Platz der dringend gebraucht wird, denn die Linie ist nun in den internen Auslastungs-Auswertungen deutlich überlastet.

Klar ist, die Sperrung am Kupfergraben ist die willkommene Ausrede, die M 4 weiter ungestraft in der Kapazität massiv zu kürzen. Denn Alternativen gäbe es reichlich. M 1 und 12 könnten am Hackeschen Markt gekoppelt werden. Es könnte auch eine der Linien M 4, M 5 oder M 6 bereits am Alexanderplatz enden. In beiden Fällen wäre wieder Platz in der Wendeschleife. Man könnte auch Pausenzeiten vom Hackeschen Markt ans jeweils andere Linienende verlegen. Oder oder oder. Wer wollte, würde eine Lösung finden.

Doch „Ich kann nicht” wohnt in der Ich-Will-Nicht-Straße. Es kommt der BVG sehr gelegen, über ihren Fahrermangel durch Missmanagement und Mangelwirtschaft hinwegtäuschen und die Schuld auf die Umstände schieben zu können. Und was machen die Aufsichtsbehörden? Nichts. Beim Senat kann man nicht rechnen und meint, ob alle 3 oder alle 5 Minuten wäre doch kein Unterschied. Und beim Center Nahverkehr, die eigentlich die Bedienungsstandards festlegen und überwachen sollen, zuckt man nur mit den Schultern, wenn man sie darauf anspricht. Doch das ist keine Bagatelle! Hier fehlen auf der nachfragestärksten Straßenbahnlinie Berlins (die die CDU allzu gern durch eine U-Bahn ersetzen würde) glatte 50 Prozent der derzeitigen Kapazität in den Spitzenstunden. Und das muss sofort aufhören! Bevor die BVG die nächste Ausrede aus dem Hut zaubert.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 3/2023 (September 2023), Seite 10-11

 

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