|
Güterverkehr auf der Schiene. Sein Anteil am Gesamtverkehr wächst und ist in Europa dennoch viel zu niedrig. Foto: Christian Schultz |
|
Europas Bürgerinnen und Bürger leiden zunehmend
unter der Last des wachsenden
Güterverkehrs, vor allem auf der Straße.
Der Güterverkehr auf deutschen Straßen
ist von 1991 bis 2002 um fast 45 Prozent
gestiegen. Im Zuge der Osterweiterung
der EU nahm besonders der Ost-West-
Verkehr überproportional zu. Prognosen
gehen von einer weiteren starken Zunahme
des Güterverkehrs aus. Damit würde
nicht nur das Straßen-, sonder auch das
Schienennetz zusammenbrechen. Deswegen
wollen die Grünen im Europäischen
Parlament den Güterverkehr möglichst
vermeiden und ansonsten verlagern und
effizienter machen.
Dass Verkehrsvermeidung ohne Verzicht
möglich ist, zeigt folgendes Beispiel: Großbritannien
importiert jedes Jahr 1,5 Millionen
Tonnen Schweinefleisch. Exakt dieselbe
Menge Schweinefleisch wird jährlich
aber auch exportiert. Lebensmitteltransporte
haben so in den vergangenen Jahren
in Europa um 20 Prozent zugenommen,
ohne dass insgesamt mehr Lebensmittel
konsumiert werden. In der Folge wachsen
auch die vom Lkw-Verkehr verursachten
Umwelt- und Gesundheitsschäden durch
Abgase und Lärm. Dieselruß ist krebserregend,
Stickoxide verursachen sauren Regen,
erhöhen die Ozonbelastung und beschleunigen
das Waldsterben, Kohlendioxid trägt
zum Treibhauseffekt bei. Ein vorbeifahrender
Lkw erzeugt einen Lärmpegel von 90
Dezibel. Schon 85 Dezibel können zu Hörschäden
führen.
Eigenes Schienennetz für Güterverkehr
unrealistisch
Die Probleme sind hinlänglich bekannt –
und doch bewegt sich politisch leider nur
wenig. Das Europäische Parlament hat nun
durch den Beschluss meines Berichtes zum
Güterverkehr in Europa einen deutlichen
Akzent gesetzt. Mit ihm kommen konkrete
Vorschläge auf den Tisch, die der EU-Kommission
klare Zielvorgaben geben, wenn sie
demnächst ihren Aktionsplan zum Güterverkehr
vorlegt.
Dass die EU-Kommission zu diesem Thema
offenbar Nachhilfe braucht, zeigten ihre vor
einem Jahr präsentierten Vorstellungen, wie
Güter in Europa effizienter und grüner transportiert
werden könnten. Diese waren entweder
realitätsfern oder bis zur Beliebigkeit
unkonkret. Zwei Beispiele: Beim Stichwort
„grüne Korridore“ fiel der Brüsseler Behörde
nur ein, dass die Lkws künftig Agro-Sprit
tanken könnten. Demgegenüber schlug sie
für die Eisenbahn sogar den Aufbau eines
eigens für den Güterverkehr vorgesehenen
Schienennetzes vor, das nicht durch den Personenverkehr
gestört werden soll.
In meinem Bericht wird gerade Letzteres
eindeutig abgelehnt. Ein eigenständiges
Eisenbahn-Güterverkehrsnetz in Europa ist
ein schöner Traum, doch in den meisten Ländern
sind auf der Schiene die Mischverkehre
zuhause, d.h. Güter- und Personenzüge fahren
auf denselben Gleisen.
Das Europäische Parlament setzt dagegen
auf Intelligenz statt Beton. Es fordert,
zunächst auf die bestmögliche Ausnutzung
und Verbesserung der technischen und logistischen
Möglichkeiten der bestehenden
Infrastruktur zu setzen. Angesichts knapper
finanzieller Ressourcen auf europäischer wie
auch nationaler Ebene muss dieser Schritt
immer Vorrang haben.
Mehr Substanz hat der Bericht der Kommissions-
Idee von „grünen Korridoren“ gegeben.
Der Verkehr soll auf umweltfreundliche
Verkehrsträger verlagert werden, um
nicht nur Unfälle, Stau und Lärm, sondern
auch Luftverschmutzung und Landschaftsverbrauch
zu verringern. Eine wichtige Rolle
sollen dabei die erneuerbaren Energien
spielen, wobei Wind und Sonne ausdrücklich
erwähnt werden. Mit der Aufnahme des
„polluter-pays-principle“, des Nutzer- und
Verursacherprinzips für alle Verkehrsträger,
gibt der Bericht auch in der Debatte um die
Eurovignette eine klare Botschaft ab: Der
stark umweltschädliche Lkw-Verkehr darf
nicht länger subventioniert, die externen
Kosten müssen internalisiert werden.
Zentrales Ziel: Güter auf die Schiene
Die Verlagerung des Güterverkehrs von der
Straße auf die Schiene bleibt zentrales Ziel. In
Europa werden nur etwa 17 Prozent der Güter
mit der Bahn transportiert, im Highway-Land
USA liegt der Anteil hingegen bei 40 Prozent.
Die EU wird den wachsenden Güterverkehr
nur dann bewältigen können, wenn sie ihre
Bahninfrastruktur verbessert. Die Verkehrsminister
der Mitgliedsstaaten werden dringend
aufgefordert, den nationalen Blickwinkel zu
überwinden und die für Europa notwendigen
Investitionen in ihren Ländern zu veranlassen.
Wichtig ist auch die Verknüpfung der Verkehrsträger.
Damit das Umladen von Gütern
etwa vom Lkw auf die Bahn nicht zum bürokratischen
Spießrutenlauf wird, fordert der
Bericht ein einheitliches Beförderungs-Dokument
für Schiff, Bahn, Lkw und Flugzeug. Das
Parlament spricht sich auch für einen europäischen
Seeverkehrsraum ohne Grenzen und
eine nicht nur europäische, sondern weltweite
Norm für die intermodalen Lade-Einheiten
aus. Um intermodale Transporte möglich zu
machen, müssen auch die See- und Binnenhäfen
besser mit dem Straßen- und Schienennetz
des Hinterlandes verknüpft werden.
EU-Kommission soll Engpässe benennen
Leider haben Konservative und Sozialdemokraten
einen wichtigen Aspekt des Berichtes
abgeschwächt. Die Aufforderung
an die Kommission, die zehn größten Engpässe
und Problemstellen im europäischen
Schienengüterverkehr zu benennen, haben
sie verhindert. Gerade eine solche Analyse
ist aber notwendig, um die Schwachstellen
im Bahnnetz schnell zu beheben und so
größere Kapazitäten zu schaffen. Die EUKommission
selbst hat diese Idee meines
Berichtsentwurfes übrigens sehr begrüßt. In
ihrem Aktionsplan zum Güterverkehr sollte
sie deshalb auf keinen Fall fehlen.
Wie die EU Gesetze macht
Politische Entscheidungen, die für fast 500 Millionen Menschen in der EU Geltung haben,
sollten gut überlegt sein. Bevor die EU-Kommission konkrete Gesetzesvorschläge macht,
startet sie deshalb häufig bereits im Vorfeld „Testballons“. In sogenannten Mitteilungen
zeichnet die Behörde ein Bild davon, was sie politisch vorhat. Zur Entwicklung des Güterverkehrs
in Europa gab es von der EU-Kommission im Herbst 2007 gleich vier Mitteilungen,
darunter die „Mitteilung zur Entwicklung eines für den Güterverkehr bestimmten
Schienennetzes in Europa“.
Das EU-Parlament hat nun darauf geantwortet, indem es meinem Initiativ-Bericht
zugestimmt hat. Damit hat die EU-Kommission ein Bild davon, welche ihrer Vorschläge
Unterstützung finden und wo das Palament andere Vorschläge macht. Erst jetzt beginnt
der Gesetzgebungsprozess. Die Kommission wird nun Entwürfe für Richtlinien
vorlegen. Hier ähnelt der Gang der Gesetzgebung dem, was man aus der deutschen
Politik kennt. In erster und zweiter Lesung befassen sich zunächst das EU-Parlament und
dann der Ministerrat, die Kammer der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, mit dem
Vorschlag der Kommission. Gibt es keine Einigung zwischen Parlament und Rat, wird –
wie in Deutschland zwischen Bundestag und Bundesrat – der Vermittlungssauschuss
angerufen.
Anders als in Deutschland hat auf EU-Ebene nur die Europäische Kommission das
Recht, Vorschläge für EU-Gesetze, bezeichnet als Richtlinie oder Verordnung, zu machen.
Ein EU-Gesetz kommt nur dann zustande, wenn sich alle drei EU-Institutionen – Parlament,
Ministerrat und Kommission – geeinigt haben. Richtlinien müssen dann in der
Regel innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden, in Deutschland
also durch einen Gesetzesbeschluss des Bundestages. Verordnungen gelten hingegen
nach ihrem Beschluss in Brüssel unmittelbar innerhalb der ganzen EU. Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
|