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So kann es aussehen: Die Fotomontage zeigt die Hauptstraße im Bereich des Schöneberger Dorfangers. Montage: TU-Projektgruppe „Busersatzverkehr“ |
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Entgegen der in den 1960er und 1970er
Jahren geprägten Vorurteile vieler Stadtplaner
stellt die Straßenbahn ein modernes,
effizientes Verkehrsmittel dar. Wo früher
die Straßenbahn angeblich zu laut, zu langsam
und zu unzuverlässig war, sind heute
stadtbildprägende Verkehrsmittel entstanden,
die nicht nur zu Reisezeitverkürzungen
beitragen konnten, sondern auch die
städtebauliche, ökologische und ökonomische
Erneuerung vieler europäischer Städte
vorangetrieben haben. So gehört es in
Frankreich heute zum guten Stil einer jeden
Großstadt, ein Tramnetz aufzubauen. Auch
London investiert viele Millionen Pfund in
ein neues Netz.
In Berlin hingegen ist die Diskussion um
eine Netzerweiterung in den Westteil der
Stadt seit mittlerweile über fünf Jahren
festgefahren. Neue Straßenbahnstrecken
werden nur gebaut, wenn ein unmittelbarer
Zwang besteht, beispielsweise in Adlershof
durch den drohenden Verfall des bestehenden
Baurechts. Trotz seines im internationalen
Vergleich sehr guten Zustands
bedarf das (Ost-)Berliner Straßenbahnnetz
eines Ausbaus, um das ÖPNV-System der
Gesamtstadt wirksam unterstützen zu können.
Nach 1990 wurden allerdings nur zwei
Linien in den Westteil der Stadt verlängert.
Die Anbindung des Hauptbahnhofs ist derzeit
in Planung. Andere konkrete Planungen
gibt es nicht.
Impulse für eine neue Straßenbahn-
Diskussion
Eine Gruppe von Studierenden am Institut
für Stadt- und Regionalplanung der Technischen
Universität Berlin hat daher im vergangenen
Jahr eine Machbarkeitsstudie
zum Neubau einer Straßenbahntrasse auf
der Bundesstraße 1 vom Alexanderplatz
zum Rathaus Steglitz erstellt. Ziel dieses
Studienprojektes mit dem Titel „Busersatzverkehr“
war es, die öffentliche und fachliche
Diskussion um die Straßenbahn-Netzentwicklung
in Berlin neu anzustoßen.
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Prognostizierte Streckenbelastung im Berliner Straßenbahnnetz nach Realisierung der M 4-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Rathaus Steglitz. Grafiken: TU-Projektgruppe „Busersatzverkehr“ |
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Die Wahl des Trassen-Korridors erfolgte
dabei auf Grund der extrem hohen Kfz-Belastung
und der offensichtlichen Unzuverlässigkeit
des bestehenden Busangebots (Linien
M 48 und M 85). Der Abschnitt zwischen Alexanderplatz
und Kulturforum stand bereits
häufig kurz vor der Realisierung: Studien und
Vorplanungen wurden angefertigt, Straßenbahngleise
in der Leipziger Straße verlegt. Bei diesen
Maßnahmen ist es bislang allerdings geblieben. Die
Verlängerung der Trasse zum Rathaus Steglitz ist
anscheinend in weite Ferne gerückt.
M 4 vom Alex zum Rathaus Steglitz
Die Machbarkeitsstudie überprüft die Strecke
auf ihre verkehrliche, wirtschaftliche,
ökologische, soziale und städtebauliche
Wirksamkeit. Dazu wurde zunächst ein Betriebskonzept
für die Bedienung der Strecke
mit einer Metrotramlinie erstellt. Bei der
Prüfung verschiedener Varianten stellte
sich heraus, dass die Verlängerung der Linie
M 4 über den Alexanderplatz hinaus zum
Rathaus Steglitz die höchsten Fahrgastzuwächse
aufweisen würde.
Die Prognose ergab einen Zuwachs von
85 000 Fahrgästen täglich bzw. einen maximalen
Linienquerschnitt von bis zu 50 000
Fahrgästen. Somit wäre
die verlängerte
M 4 mit bis zu 145 000 Fahrgästen täglich
die mit Abstand am stärksten frequentierte
Straßenbahnlinie Berlins. Die BVG könnte
auf diesem Wege jährlich bis zu 4 Mio. Euro
zusätzlich durch den Fahrkartenverkauf erwirtschaften.
Das Fahrplanangebot, das der
Prognose zugrunde liegt, sieht in Hauptverkehrszeiten
einen 3,3-Minuten-Takt und in
Nebenverkehrszeiten einen 5- bzw. 10-Minuten-
Takt vor. Dadurch würde im Vergleich
zu den derzeit verkehrenden Metrobuslinien
eine deutliche Angebotsverbesserung
entstehen.
Grundlage der Untersuchung ist das aktuelle
Berliner Nahverkehrsnetz. Zukünftige
Entwicklungen wie die Verlängerung der U 5
oder die Eröffnung des Regionalbahnhalts
am Ostkreuz wurden in der Prognose nicht
berücksichtigt, um das theoretische Maximum
der Entwicklung der Fahrgastzahlen
abbilden zu können.
Neben den zusätzlichen Fahrgästen für
die BVG hat der Korridor Wirkungen auf das
gesamte Berliner Nahverkehrsnetz. Die neu
entstehende, attraktive Radialverbindung
vom Nordosten in den Südwesten Berlins
würde zu Reisezeitverkürzungen und einer
Entlastung des S-Bahn-Rings führen. Die
Prognose geht daher im Gesamtnetz von einem
Zuwachs von täglich 10 000 bzw. jährlich
über 3 Mio. Fahrten aus.
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Straßenbahnradiale vom Nordosten in den Südwesten Berlins. Die Übersichtskarte zeigt die verlängerte M 4 im Stadtgebiet mit dem vertrauten Bild des innerstädtischen S-Bahn-Netzes („Hundekopf“). Grafiken: TU-Projektgruppe „Busersatzverkehr“ |
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In der Prognose wurde der „Schienenbonus“,
also zusätzliche positive Nachfrageeffekte
durch die Attraktivität, Geschwindigkeit
und Zuverlässigkeit eines schienengebundenen
Verkehrsmittels, nicht berücksichtigt.
Straßenbahn zuverlässiger
und schneller
Damit der Schienenbonus wirken kann, muss
sich das neue Angebot vor allem hinsichtlich
seiner Zuverlässigkeit vom bestehenden abheben.
Während die Metrobuslinie M 48 laut
Fahrplan 41 Minuten vom Rathaus Steglitz
zum Alexanderplatz benötigt, sieht die Realität
in der Hauptverkehrszeit oft anders
aus: Bis zu 60 Minuten kann die Fahrt dann
dauern. Durch die Stauanfälligkeit der Strecke
kommt es regelmäßig zu Verspätungen
und Verfrühungen mit dem Ergebnis, dass
bis zu drei Busse im Konvoi fahren. Für die
projektierte Straßenbahnlinie wurde für dieselbe
Strecke eine Fahrzeit von 29 Minuten
errechnet.
Um dieses Ziel zu erreichen, sieht die Studie
im Straßenraumentwurf einen besonderen
Bahnkörper entlang der gesamten
Trasse vor. In den stark verdichteten Gründerzeitquartieren
zwischen Kulturforum
und Rathaus Steglitz stellt diese Prämisse
eine erhebliche verkehrsplanerische und
städtebauliche Herausforderung dar. Den
positiven stadtgestalterischen Effekten eines
besonderen Gleiskörpers, beispielsweise
durch den Einsatz von Rasengleis, steht
ein starker Konkurrenzdruck zwischen den
einzelnen Verkehrsarten entgegen, insbesondere
in solchen Abschnitten, in denen
der Straßenquerschnitt nur 22 m beträgt.
In der Studie wurde jedoch davon ausgegangen,
dass sich die Verkehrsartenkonkurrenz
verringert, da eine Reduktion der
Kfz-Belastung zu erwarten ist. Grundlage
dieser Annahme sind steigende Benzinpreise,
strengere Umweltschutzauflagen sowie
die Fertigstellung weiterer Verkehrsprojekte
für den Kfz-Verkehr wie die Öffnung der
Axel-Springer-Straße am Spittelmarkt oder
die Verlängerung der A100 nach Treptow. In
weiten Teilen des Korridors kann damit ein
Fahrbahnrückbau auf eine Richtungsfahrspur
für den motorisierten Individualverkehr
begründet werden. Im Gegenzug dazu
greift die Studie den aktuellen Trend in Berlin
zum Fahrradfahren auf und sieht daher
die Installation von Fahrradspuren entlang
des gesamten Korridors vor.
Straßenbahnbau ist Stadtentwicklung
Der Bau einer Straßenbahntrasse zeitigt jedoch
nicht ausschließlich verkehrliche Wirkungen.
Insbesondere die französischen
Projekte wie beispielsweise in Paris oder
Montpellier zeigen, dass eine Straßenbahnneubaustrecke
ein Mittel der städtebaulichen
Aufwertung sein kann, Entwicklungsimpulse
für angrenzende Quartiere gibt und als
Imageträger zur Stärkung der lokalen Identität
beitragen kann. Voraussetzung dafür ist
allerdings die Verknüpfung des Verkehrsinfrastrukturprojekts
mit umfassenden Stadtentwicklungsmaßnamen
und einer frühzeitigen
Bürgerbeteiligung. Insbesondere letzteres
kann entscheidenden Einfluss auf die Akzeptanz
eines Neubauprojektes haben.
Die Kosten für solche Maßnahmen sind
dabei von den tatsächlichen Investitionskosten
für den Straßenbahnneubau zu
trennen. Letztere schätzt die Studie
für die 10,6 km lange Neubaustrecke auf
etwa 110 Mio. Euro. Ein U-Bahn-Bau entlang
dieses Korridors würde – trotz der bereits
erbrachten baulichen Vorleistungen – bis
zu zehnfach höhere Investitionskosten verursachen.
Dabei würde im Gegensatz zur
Straßenbahnvariante eine direkte Konkurrenzsituation
zwischen der U-Bahn und der
S-Bahn-Linie 1 entstehen. Folglich hätte diese
Strecke nach Auffassung der Autoren der
Studie nur als Straßenbahn eine realistische
Chance auf Umsetzung.
Fazit
Anhand der Verkehrsprognose konnte gezeigt
werden, dass das Straßenbahnprojekt
dem Modal Split in Berlin zugute kommt.
Dabei kann zudem eine hohe Wirtschaftlichkeit
erzielt werden. Die städtebaulichen,
ökologischen und sozio-ökonomischen Potenziale
einer Straßenbahntrasse entlang
der B1 können dabei nicht häufig genug
hervorgehoben werden. Die derzeitige
Situation mit bis zu 55 000 Kfz täglich und
den damit verbundenen Lärm- und Feinstaubbelastungen
gibt dringenden Anlass
zur Neuorganisation des Verkehrs in dem
untersuchten Korridor.
Die Studie empfiehlt daher die rasche und
ernsthafte Auseinandersetzung mit dem
Thema, um rechtzeitig auf das veränderte
Mobilitätsverhalten der Berliner, insbesondere
angesichts der steigenden Kraftstoffpreise,
reagieren zu können.
Projektbetreuung: Prof. Elke Pahl-Weber,
Technische Universität Berlin, Institut für
Stadt- und Regionalplanung, Fachgebiet
Bestandsentwicklung und Erneuerung von
Siedlungseinheiten
Projektmitglieder: Lukas Foljanty, Oliver Hoffmann,
Marie-Luise Hornbogen, Jakob Köhler,
Dominik Stanonik
Laufzeit: August 2007 bis Oktober 2008
Kurzfassung der Ergebnisse unter
www.busersatzverkehr.de.
Die komplette Studie soll noch 2008 veröffentlicht
werden.
EINLADUNG
Busersatzverkehr –
Eine Straßenbahn für den Südwesten Berlins
Ergebnisse des Studienprojekts an der TU Berlin
Vortrag mit Diskussion
Zeit: 11. November 2008, 19 Uhr
Ort: Rathaus Lichtenberg, Möllendorffstraße 6, 10365 Berlin, Raum 114. (S+U Frankfurter Allee)
Veranstalter: Berliner Fahrgastverband IGEB
Alle Interessierten sind eingeladen
Eintritt frei.
Lukas Foljanty
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