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Im Herbst letzten Jahres wurde im Koalitionsvertrag
zwischen SPD und Linkspartei
vereinbart, auch in Berlin eine Schlichtungsstelle
für ÖV-Kunden einzurichten. Damit
wurde ein Vorschlag des Berliner Fahrgastverbands
IGEB aufgegriffen. Inzwischen hat
die VDV-Landesgruppe Ost die Initiative
ergriffen und bereitet den Aufbau einer
Schlichtungsstelle Nahverkehr gemeinsam
für die Länder Berlin, Brandenburg und
Sachsen-Anhalt vor, die 2008 ihre Arbeit
aufnehmen soll. Daher sollen hier einige
Anregungen gegeben werden.
Wozu eine Schlichtungsstelle?
Schlichtungsstellen vermitteln als neutrale
Dritte zwischen den Beteiligten eines Streits,
wenn diese ihren Konflikt nicht selbst lösen
können. Sie werden im Allgemeinen erst
dann tätig, wenn ein Einigungsversuch zwischen
den Parteien gescheitert oder einer
der Beteiligten mit der vorgeschlagenen Lösung
nicht einverstanden ist. Erst wenn also
Fahrgäste ihr Anliegen beim Kundendienst
(oder anderen Stellen) der Unternehmen
vorgebracht und keine sie zufriedenstellende
Antwort erhalten haben, wird eine
Schlichtungsstelle tätig. Ein solches Angebot
ist daher besonders für komplizierte
oder langwierige Fälle wichtig.
Schlichtung ergänzt so den Kundendienst
der Unternehmen, findet jedoch außerhalb
des Rechtsweges statt, was verschiedene
Vorteile mit sich bringt: Entlastung der Justiz,
kostengünstiger, einzelfallorientiert,
konsensorientiert. Die Schlichtung wird
daher auch als „alternative Streitbeilegung“
bezeichnet.
Schlichtung ist ferner unabhängig von der
Ausgestaltung von „Fahrgastrechten“ sinnvoll,
da diese nur einen Teil der Fahrgastprobleme
abdecken und eine konkrete Situation
in jedem Fall unterschiedlich erlebt werden
und so Anlass zu Meinungsverschiedenheiten
bieten kann.
Worauf ist zu achten?
Alternative Streitbeilegung wird in unterschiedlichen
Konstellationen betrieben, was
auch die Vielzahl der Bezeichnungen solcher
Stellen zeigt. Typische Begriffe sind „Schlichtungsstelle“,
„Schiedsstelle“, „Ombudsmann“
oder „Bürgerbeauftragte“, die noch dazu
nicht einheitlich verwendet werden. Eine
Typenbildung wird dadurch erschwert. Zentrale
Fragen sind aber:
- wie sich die Stelle positioniert – versteht
sie sich eher als „Anwalt“ eines Beteiligten,
als „Richter“ oder als „Vermittler“? – und
- wie die Schlichtung erfolgen soll, also
wie der Dialog zwischen den Beteiligten
gestaltet wird, wer ihn durchführt (Einzelpersonen,
Schlichtungsgremien etc.), wie
die sonstigen Aufgaben verteilt werden
und welche weiteren Mittel der Stelle zur
Verfügung stehen.
Angesichts der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten
hat die EU-Kommission 1998 die
Empfehlung 98/257 erlassen, in der sieben
(Qualitäts-)Kriterien festgelegt sind, die jede
Einrichtung erfüllen sollte:
- Unabhängigkeit. Wichtigster Grundsatz
ist ein unparteiisches Handeln der Stelle.
Dies wird durch fachliche Kompetenz der
benannten Person(en), ihre Ernennung
für eine angemessene Dauer und hohe
Hürden für eine Abberufung gewährleistet.
Ferner dürfen sie zuvor nicht bei dem
Unternehmen tätig gewesen sein, dessen
Aktivitäten zum Arbeitsgebiet der Stelle
gehören. Bei kollegialen (aus mehreren
Personen bestehenden) Schlichtungsgremien
sind Anbieter- und Verbrauchervertreter
paritätisch, ggf. mit einem neutralen
Vorsitzenden, zu berücksichtigen.
- Transparenz. Die Stelle kommuniziert ihr
Tätigkeitsgebiet, ihre Arbeitsweise und
die möglichen Ergebnisse des Verfahrens
in geeigneter Form an die Verbraucher
und informiert die Öffentlichkeit in einem
Jahresbericht über ihre Arbeit.
- Kontradiktorische Verfahrensweise. Die
Parteien müssen die Möglichkeit haben,
ihren Standpunkt zu vertreten und auf
Stellungnahmen der Gegenseite zu antworten.
- Effizienz. Die Stelle soll sich um eine zügige
Bearbeitung mit klaren Fristen bemühen.
Sie muss sich die erforderlichen Informationen
von beiden Seiten beschaffen
können. Zweitens soll der „niedrigschwellige
Zugang“ aus Verbrauchersicht als zentrales
Merkmal von Schlichtung gesichert
werden. Dazu gehört eine kostengünstige
oder kostenfreie Fallbearbeitung ohne
Zwang zur Einschaltung eines Rechtsvertreters.
- Rechtmäßigkeit. Die Stelle darf nicht die
zwingenden Verbraucherschutzbestimmungen
des jeweiligen Landes außer
Acht lassen. Ihre Entscheidung hat sie
schriftlich und begründet mitzuteilen.
- Handlungsfreiheit. Die Entscheidung
darf nur dann bindend sein, wenn dies
vorher bekannt war und beide Parteien
dem zugestimmt haben.
- Vertretung. Zu jedem Zeitpunkt muss es
dem Verbraucher möglich sein, sich durch
einen Dritten vertreten zu lassen oder diesen
hinzuzuziehen.
Außerdem ist von den Streitbeteiligten – insbesondere
den Unternehmen – Bereitschaft
zur Kooperation mit der Schlichtungsstelle
zu fordern. Fälle sollten individuell geprüft
und die Position nachvollziehbar begründet
werden, es sind Ansprechpartner zu benennen
und vereinbarte Fristen einzuhalten.
Deutschland:
Bisher uneinheitlich und unvollständig
Seit der Jahrtausendwende sind auch in
Deutschland verschiedene neue Ombudsund
Schlichtungsstellen geschaffen worden,
die jeweils in Teilbereichen des öffentlichen
Verkehrsangebots außergerichtliche Streitbeilegung
anbieten. Im europäischen Ausland
haben solche Dienstleistungen jedoch
zum Teil eine deutlich längere Tradition; die
ausländischen Stellen können mitunter auf
wesentlich umfangreichere Ressourcen und
günstigere Rahmenbedingungen zurückgreifen
als hierzulande. Beim Aufbau einer
solchen Einrichtung für Berlin ist es daher
sinnvoll, etwas weiter Umschau zu halten.
In Deutschland besteht seit 2001 die
Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-
Westfalen, die organisatorisch der
Verbraucherzentrale zugeordnet ist und
Streitfragen im Nahverkehr (mit SPNV, aber
ohne Fernverkehr der DB) behandelt. Ende
2004 wurde die Schlichtungsstelle Mobilität
beim VCD ins Leben gerufen, die bisher
vom Verbraucherministerium finanziert
wird. Ihr Zuständigkeitsbereich wurde politisch
festgelegt und umfasst den Fernverkehr
auf Schiene, Straße, Wasser und in der
Luft. Die DB hat sich in ihrer Kundencharta
zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der
Schlichtungsstelle verpflichtet und hält dies
bisher auch ein, während viele Fluggesellschaften
jede Kooperation verweigern. Die
Schlichtungsstelle Mobilität berichtet im
SIGNAL regelmäßig von ihrer Arbeit und
betreibt auch sonst eine recht intensive Öffentlichkeitsarbeit.
Weniger bekannt sind dagegen die sogenannten
Ombudsstellen Nahverkehr in
Bayern und Baden-Württemberg, die von
den Verbänden der Verkehrsunternehmen
initiiert wurden und von deren Landesbüros
quasi nebenher betrieben werden. Sie sind
nicht nur in ihrem öffentlichen Auftreten
deutlich bescheidener, sondern beschränken
sich in ihrer Arbeit auch auf den Kundendienst
und Qualitätsprobleme.
Einziges Verkehrsunternehmen mit einer
„eigenen“ Ombudsstelle waren die Leipziger
Verkehrsbetriebe, die 2002 bis 2004 eine
Ombudsfrau beschäftigten. Sie konnte sich
unabhängig von den Fachabteilungen des
Unternehmens um die Fahrgäste kümmern
und nahm (anders als andere Einrichtungen)
auch Erstbeschwerden an. Um keine „Betriebsblindheit“
entstehen zu lassen, wurde
sie nur für zwei Jahre ernannt, die Stelle
nach der ersten Amtszeit allerdings auch
nicht neu besetzt.
Europa: Teilweise besser
Deutlich umfangreichere Schlichtungsangebote
für Fahrgäste gibt es etwa in den Niederlanden,
Belgien, Großbritannien und der
Schweiz.
In den Niederlanden kümmert sich eine
Schlichtungskommission um Fahrgastbeschwerden,
die aus einem Juristen als Vorsitzendem,
einem Vertreter der Anbieter und
der Verbraucherverbände gebildet wird. Sie
gehört wie rund 30 weitere branchenspezifische
Gremien zu einer „Stiftung für die
Schlichtung in Verbraucherfragen“. Die Kommission
erhebt eine Bearbeitungsgebühr von
25 Euro, die aber im Rahmen der Einigung
vom Unternehmen ganz oder teilweise übernommen
werden kann. Das Verhandlungsergebnis
ist für beide Seiten bindend. Zuvor
sieht das Verfahren allerdings eine schriftliche,
dann mündliche Erörterung mit beiden
Seiten vor. Nur wenn dort keine Einigung erzielt
wird, kommt es zum formellen Schlichtungsspruch.
In Belgien kümmern sich insgesamt vier
„Ombudsdienste“ um den ÖV. Sie arbeiten
dabei auf nationaler oder regionaler gesetzlicher
Grundlage, die Verfahren und Aufgabenbereich
festlegt und ihnen auch Rechte
gegenüber den Anbietern (z. B. Akteneinsicht
und Zeugenvernehmung) garantiert. Der
Ombudsdienst der Bahn kümmert sich etwa
mit zwölf Mitarbeitern um rund 2 400 Fälle
pro Jahr.
Großbritannien und Nordirland verfügen
dagegen über eine Reihe sogenannter
„Watchdogs“, die sich der Vertretung von
Verbraucherinteressen auf allgemeiner Ebene
wie auch im Einzelfall widmen. Solche
Einrichtungen gibt es für den Bahnverkehr
landesweit, im Busbereich nur in einigen Regionen.
Hier sind es also quasi „amtlich anerkannte“
Fahrgastvertreter, die die Kunden bei
Streit mit dem Unternehmen – einem Anwalt
vergleichbar – diesem gegenüber vertreten.
Im übrigen Busbereich gibt es stattdessen
spezielle Schlichtungseinrichtungen (etwa
„Bus Appeals Body“), die sich als Teilzeitgremien
mit Fahrgastbeschwerden befassen, aber
immerhin paritätisch von Kunden- und Unternehmensorganisationen
getragen werden.
Im Eisenbahnbereich besteht außerdem
noch eine spezielle Organisation (IPFAS) für
den Umgang mit erhöhtem Beförderungsentgelt
(EBE). Die Verkehrsunternehmen
stellen nur die EBE-Bescheinigungen aus,
die weitere Bearbeitung erfolgt durch IPFAS.
Damit sollen eine neutrale Beurteilung und
ein einheitliches Vorgehen im Umgang mit
Widersprüchen sichergestellt werden. Die
Unternehmen müssen das EBE notfalls rechtfertigen
und haben kein Widerspruchsrecht
gegen Entscheidungen des Büros.
In der Schweiz wurde 2001 auf Initiative
des Branchenverbands VöV die „Ombudsstelle
öffentlicher Verkehr“ gegründet. Als
Ombudsleute wurden Anwälte rekrutiert, die
ihre Tätigkeit fallbezogen mit dem Verband
abrechnen. Da so kein dauerhaftes Büro besteht,
kann flexibel auf Schwankungen des
Fallaufkommens reagiert werden. Während
die meisten anderen Schlichtungsstellen
überwiegend schriftlich mit den Beteiligten
kommunizieren, versuchen die Schweizer
Ombudsleute möglichst viel im persönlichen
Gespräch zu klären. Die Stelle führt im Jahr
rund 60 vollständige Schlichtungen durch
und benötigt dafür einen mittleren fünfstelligen
Euro-Betrag.
Was bringt Schlichtung?
Schlichtungsfälle können im Prinzip alle
Aspekte des ÖV betreffen, in der Praxis dominieren
aber eindeutig Kundendienst und
Servicequalität. Besondere Bedeutung haben
dabei
- Tarife, insbesondere Funktion und Verfügbarkeit
von Automaten, Entwertern etc.
- Fahrscheinkontrollen und erhöhtes Beförderungsentgelt
- Fahrgastinformation
- Kundendienst und Personalverhalten
- Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf, vor
allem Verspätungen, Ausfälle, Anschlussverluste
und ihre Folgen für die Fahrgäste
Streitfälle in diesen Bereichen sind stets
stark von den Umständen des Einzelfalls und
den beteiligten Personen geprägt, stehen
allerdings im Kontext des durch allgemeine
Regeln, technische und betriebliche Randbedingungen
geprägten Systems.
Schlichtung muss sich daher in jedem Fall
um die konkrete Situation bemühen, darf
aber den Blick nicht vor grundsätzlichen
Problemen – etwa unverständlichen Tarifbedingungen,
falsche Kapazitätsplanung – verschließen.
In vielen der genannten Fälle haben die Betroffenen
kaum Möglichkeiten, ihre Anliegen
– wenn nötig – auf dem Rechtsweg klären
zu lassen, was Unternehmen dazu verleiten
kann, im „Kundendienst“ eine harte Linie zu
fahren.
Daher ist es umso wichtiger, mit einer
Schlichtungsoption die Möglichkeit der Berufung
zu geben – und zwar auf eine transparente
und effektive Art, die die Frustration
minimiert und auch den Versuch, es über die
Politik oder Geschäftsführung zu versuchen,
entbehrlich macht.
Es geht dabei nicht darum, im Schlichtungsverfahren
in jedem Fall der Fahrgastsicht
zum Sieg zu verhelfen – dies würde
dem Neutralitätsgebot widersprechen. Die
neuerliche Begutachtung durch neue Personen
und frei von den Zwängen des unternehmensinternen
Beschwerdemanagements
schafft jedoch in jedem Fall die Möglichkeit
zur Neubewertung des Sachverhalts,
zu Kompromissen und zu besserem gegenseitigem
Verständnis, wovon letztlich beide
Seiten profitieren.
Merkpunkte und Stolpersteine
Daher ist in jedem Fall zu begrüßen, wenn
nun auch in Berlin eine Schlichtungsstelle für
den Nahverkehr eingerichtet wird. Gerade
die BVG hat in den letzten Jahren mit ihren
privatisierten Fahrscheinkontrollen und dem
häufigen Nicht-Antworten auf Kundenbeschwerden
fehlendes Fingerspitzengefühl
gezeigt und für (vermeidbare) schlechte
Presse gesorgt.
Der bisherige Umgang mit Schlichtung in
Deutschland hat aber auch einige Defizite gezeigt,
die besser von Anfang an vermieden
werden sollten. Diese Probleme lassen sich
oft darauf zurückführen, dass Schlichtungsangebote
von Anbieterseite (Branchenverbände,
Handelskammern) initiiert und
betrieben werden und eine übergreifende
politische Koordination und Qualitätskontrolle
kaum verbreitet ist. Im Vergleich zu anderen
Ländern und im Hinblick auf die oben
genannten Qualitätskriterien betrifft dies vor
allem die Bereiche Unabhängigkeit, Transparenz/
Qualitätssicherung und Effizienz/rechtliche
Absicherung.
Unabhängigkeit lässt sich etwa durch die
institutionelle Zuordnung der Stelle, Auswahl
der Schlichter und ggf. ein paritätisches
Schlichtungsgremium erreichen. In Deutschland
wird Schlichtung jedoch oft durch
unternehmensnahe Einrichtungen (etwa
Handelskammern) durchgeführt, die sehr
auf formlose Verhandlungen setzen, ohne
dass die Verbraucherperspektive institutionell
berücksichtigt ist. Dies betrifft auch die
o. g. „Ombudsstellen“. Damit setzen sie sich
in jedem Fall dem Verdacht aus, unternehmensnah
zu sein, auch wenn die handelnden
Personen nach ihrer Einschätzung meinen,
neutral zu sein.
Transparenz: Zu den Grundsätzen des Beschwerdemanagements
gehört es, die Anzahl
der unzufriedenen Kunden zu minimieren,
aber auf der anderen Seite den Anteil der
unzufriedenen Kunden, der sich beschwert,
zu maximieren. Daher sollten auch Schlichtungseinrichtungen
ihr Angebot so weit
wie möglich bekannt machen und für einen
niedrigschwelligen Zugang sorgen. Eine zu
große Zurückhaltung senkt ihren Beitrag zur
Kundenzufriedenheit und erweckt eher den
Eindruck einer Alibiveranstaltung.
Effizienz bedeutet unter anderem, die
Arbeitsfähigkeit der Stelle zu gewährleisten.
Problematisch ist dies vor allem bei
fehlender Kooperationsbereitschaft seitens
der Unternehmen, wie die Erfahrungen der
Schlichtungsstelle Mobilität im Luftverkehr
zeigen. Den deutschen Schlichtungsstellen
fehlt eine rechtliche Absicherung und politische
Unterstützung, um gegen solche
Widerstände vorzugehen. Daher hat zwar
eine freiwillig konstruktive Zusammenarbeit
Vorrang, die Stelle muss jedoch auch
bei Meinungsverschiedenheiten in der
Lage sein, ihre Aufgabe zu erfüllen. Hierfür
sind entsprechende Festlegungen im ÖPNVGesetz,
in Verkehrsverträgen und weiteren
Vereinbarungen zu treffen. Martin Schiefelbusch, nexus Institut Berlin
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