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Diebstahl und die Erfindung des Koffers mit Rollen haben die DB veranlasst, im Februar 2011 auch am Berliner Hbf das Angebot von Kofferkulis zu beenden. Die letzten der einst 300 Wagen werden jetzt DB-intern zum Warentransport genutzt. Foto: Marc Heller |
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Mit der Überarbeitung des Ersten Eisenbahnpaketes,
dem sogenannten „Recast“, wird
2011 eine neue Seite der europäischen Eisenbahngesetzgebung
aufgeschlagen und die
Schaffung eines „Einheitlichen Europäischen
Eisenbahnraumes“ angestrebt. Doch so notwendig
dieser Schritt ist, so sehr untergräbt
der Protektionismus der EU-Mitgliedstaaten
und vieler etablierter Eisenbahnunternehmen
bisher diese Anstrengungen.
Viele Mitgliedstaaten – auch Deutschland
– setzen seit Jahren das geltende EUEisenbahnrecht
nicht oder nur mangelhaft
um. Nach den EU-weiten Erfahrungen ist
es allerdings erstaunlich, dass ein EU-weiter
Wettbewerb weniger von der Trennung von
Netz und Betrieb abhängt, als von einer unabhängigen
Regulierungsbehörde. Wichtig
ist außerdem, dass die Entscheidungen für
eine Trassenvergabe schnell erfolgen und die
Trassen- und Stationspreise transparent und
nachvollziehbar sind.
Eine Analyse zeigt, dass seit der Öffnung
der Netze die Schiene enorm gewonnen hat.
So hat der Schienengüterverkehr in Großbritannien
um 60 Prozent, in den Niederlanden
um 42 Prozent, in Polen um 30 Prozent und
in Deutschland um 25 Prozent zugenommen,
während er in Frankreich, das sein Netz abschottete,
einen Verlust von 28 Prozent verzeichnen
musste. Das bedeutete dort eine
Verlagerung von der umweltfreundlichen
Schiene auf die klimafeindliche Straße und einen
Verlust von Arbeitsplätzen.
Deshalb brauchen wir den „Einheitlichen
Europäischen Eisenbahnraum“ in der EU. Wie
weit wir davon aber noch entfernt sind, soll an
drei Beispielen verdeutlicht werden.
Obwohl die Trennung von Netz und Betrieb
entgegen der EU-Gesetzgebung noch immer
nicht vollzogen wurde, fahren auf dem deutschen
Schienennetz mehr als 300 Eisenbahnunternehmen.
Gäbe es diese Zustände in der
EU, dann wäre der Einheitliche Europäische
Eisenbahnraum keine Utopie mehr. Trassenanfragen
müssen in Deutschland innerhalb von
14 Tagen entschieden werden, und eine unabhängige
Regulierungsstelle verhindert mögliche
Diskriminierungen von Wettbewerbern.
Ob aber das deutsche Modell – Trennung der
Sparten innerhalb eines Konzerns – mit dem
EU-Recht vereinbar ist, wird der Europäische
Gerichtshof demnächst entscheiden. Wir Grünen
sind nach wie vor dafür!
Kritikwürdig ist in Deutschland jedoch die
fehlende Transparenz bei den Trassenpreisen
und den Investitionen. So sind die Trassenpreise
z. B. für die S-Bahn in Berlin doppelt so hoch
wie in Hamburg und dort doppelt so hoch
wie im Rhein-Main-Gebiet. Die Bundesländer
zahlen zwar 84 Prozent der Stationspreise
und 64 Prozent der Trassenentgelte, haben
aber keinen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen.
Beispielsweise wird am Berliner
S-Bahnhof Waidmannslust seit mehr als 20
Jahren der südliche Zugang versperrt, anstatt
die Treppe vom Fußgängertunnel zum Bahnsteig
zu sanieren. Der Zugang von der Rönnestraße
(Wohngebiet am Lietzensee) zum
Berliner S-Bahnhof Westkreuz wird von der DB
AG in der Schublade abgelegt, obwohl er vom
Berliner Senat im Zusammenhang mit der Verschiebung
des S-Bahnhofs Charlottenburg bereits
vor sechs Jahren bestellt wurde und eine
Finanzierungszusage vorliegt. Offensichtlich
spielt die Fahrgastfreundlichkeit keine Rolle.
In Italien muss zwar innerhalb von zwei
Monaten über eine Trassenvergabe entschieden
werden – aber nur, wenn die Angaben
vollständig sind. Das sind sie selten, so dass
eine Entscheidung oftmals auch nach 18
Monaten noch aussteht. Außerdem hatte
die italienische Regulierungsbehörde einem
Gemeinschaftsunternehmen von Deutscher
Bahn und Österreichischer Bundesbahn im
letzten Moment untersagt, dass die bereits
genehmigten Personenfernverkehrszüge von
München nach Mailand bzw. nach Venedig auf
italienischen Zwischenbahnhöfen halten.
In Frankreich versuchte man mit anderen
Mitteln den Netzzugang zu erschweren.
Nachdem dort die Gewerbesteuer abgeschafft
wurde, führte man zum Jahresbeginn
2010 eine Pauschalabgabe auf rollendes Material
ein, die „Imposition Fortfaitaire sur les
Entreprises de Réseaux“ (IFER), die alle Eisenbahnunternehmen
zu entrichten haben. Für
die französischen Eisenbahnunternehmen
blieb die Höhe der Abgaben gleich, nur das
Wort änderte sich. Aber die nicht-französischen
Eisenbahnunternehmen zahlen nun
doppelt: zuhause die Gewerbesteuer und in
Frankreich zusätzlich die IFER.
Kein Wunder, dass es auf dem französischen
Eisenbahngüterverkehrsnetz gerade mal ein
gutes Dutzend – vorwiegend regionale – Eisenbahnunternehmen
gibt. Beschwerden
gibt es auch darüber, dass Trassenanfragen
zum Teil selbst nach 24 Monaten noch nicht
beantwortet, geschweige denn erteilt werden.
Durch Interventionen der Europäischen
Kommission, der deutschen Bundesregierung
und auch von uns Grünen im Europäischen
Parlament konnte inzwischen zwar erreicht
werden, dass Italien die Halteverbote zwischen
München und Mailand – nicht aber
zwischen München und Venedig – für drei
Monate aussetzte und dass Frankreich die
grenzüberschreitenden Verkehre von der neuen
Abgabe ausnahm. Doch die Ereignisse zeigen,
dass man vom Geist einer gegenseitigen
Öffnung des Bahnsektors in Europa noch weit
entfernt ist und dass jeder Erfolg im Einzelfall
hart erkämpft werden muss.
Solange sich an diesem Zustand nichts
ändert, ist eine Weiterentwicklung der europäischen
Eisenbahngesetzgebung nur bedingt
sinnvoll. Notwendig ist
vor allem eine diskriminierungsfreie
Regelung bei der Vergabe von Trassen
und der Behandlung von Beschwerden. Was
in einem Mitgliedstaat schon funktioniert, wird
in einem anderen noch Jahre dauern. Eine EUweite
Standardisierung der Ablaufprozesse ist
überfällig. Und – natürlich – muss die Kommission
als „Hüterin der Verträge“ bei Verstößen
unverzüglich Verletzungsverfahren einleiten,
damit durch entschiedenes Vorgehen diskriminierende
Nachahmer abgeschreckt werden.
Michael Cramer, MdEP,
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
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