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Durch das seitliche Absenken des Busses (Kneeling) wird den BVG-Fahrgästen der Einstieg erleichtert. Das soll, um Kosten zu sparen, künftig nicht mehr automatisch erfolgen, sondern nur noch „bei Bedarf“. Foto: Marc Heller |
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Dienstagvormittag. Als
Peter das Büro betritt, erwartet
ihn bereits Ulricke
mit finsterer Miene und
verschränkten Armen. Mit
den Augen deutet sie auf
den Tisch vor sich. „Nicht
schon wieder der R-TZ-
2000!“ denkt er laut. Ulricke
erwidert: „Oh doch! Diese
Fehlfunktionen häufen
sich. Es scheint, als ob das
Sofortlügen-Modul keine
Plausibilitätsprüfungen
mehr durchführt!“
„Was hat es diesmal wieder
angestellt?“ fragt Peter
vorsichtig. „Diesmal”, antwortet
Ulricke schnippisch,
„diesmal hat es behauptet,
kein einziger
Behinderter
hätte sich über die testweise
Abschaffung des automatischen Kneelings
bei unseren Bussen beschwert! Kein
einziger! Nicht ‚wenige’, nicht ‚eine geringe
Anzahl’, nicht ‚einige vernachlässigbare
Einzelfälle’! Sondern ‚kein einziger’! Hast du
gehört?! KEIN EINZIGER!”
Ulricke redet sich in Rage: „Das erkennt
doch jeder Idiot sofort, dass das gelogen ist!
Und es ist vor allem so leicht widerlegbar!
Meine Güte, ich persönlich hab allein sechs
Beschwerden zum abgeschalteten Kneeling
abwimmeln müssen, und das, obwohl ich
faktisch nie ans Telefon gehe …“ Sie rennt
im Büro auf und ab.
Peter nutzt die Sprechpause seiner Kollegin,
um laut Ursachenforschung zu betreiben:
„Das zweite Mal innerhalb von zwei
Wochen. Erst kürzlich hatte es öffentlich
verkündet, die Monatskarte wird nur aus
Kulanz einen Tag vor und einen Tag nach
dem Monat noch akzeptiert, obwohl diese
Regel ganz klar im Tarif steht, also Vertragsbestandteil
ist. Und der Tarif ist sogar lokal
auf dem Festplattenspeicher abgelegt.”
„Vergiss nicht die Sache mit
dem Video,” betont Ulricke,
„wo der R-TZ-2000 behauptete,
es gibt zwar kein Verbot fürs
Filmen und fotografieren, es
wäre aber trotzdem verboten,
auch wenn das nirgends steht.
So was trau nicht einmal ich
mich zu behaupten!“ Peter
muss beipflichten.
Ulricke tobt: „Wir waren mal
bekannt für unsere hinterhältigen
Lügen und aufwändigen
Statistikfälschungen! Aber
das? Am liebsten würd ich das
Ding …“, doch Peter unterbricht
sie. „Du weißt, das geht
nicht. Schon seit Jahren gibt
es keinen Menschen mehr, der
diese Arbeit mit seinem Gewissen
vereinbaren kann. Seitdem
müssen wir auf die Marketing-
Lügenroboter zurückgreifen.
Die Alternative wäre: Fehler eingestehen
und fortan im Sinne der Fahrgäste zu handeln.
Willst du das etwa?!“ Ulricke schweigt.
Nach ein paar Minuten bedrückender Stille
bietet sie ihrem Kollegen einen Schokoriegel
zur Versöhnung an. (hm) IGEB Stadtverkehr
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