Europaweites Kartell
ThyssenKrupp soll gesündigt haben, genauer:
das Töchterchen GfT Gleistechnik.
Und das nicht alleine. Etwa zehn Jahre
lang haben sich Vertreter mehrerer Schienenhersteller
regelmäßig getroffen, um
illegale Preisabsprachen und Marktaufteilungen
vorzunehmen. Weitere Firmen, die
im Verdacht stehen, am Kartell der sogenannten
Schienenfreunde beteiligt gewesen
zu sein, sind der österreichische Konzern
Voestalpine mit mehreren Tochterunternehmen
(z. B. das von Thyssen-Krupp
erworbene Duisburger Schienenwerk
TSTG), die bayerische Neue Maxhütte, der
tschechische Großhändler CMC Trine, die
schwedische INEXA, die niederländischbritische
Corus-Gruppe, das polnische
Schienenwerk Huta Katowice (damals zu
Thyssen-Krupp gehörend), der Essener
Stahlhändler Ferrostaal (MAN-Konzern)
und andere.
Durch dieses Kartell soll die Deutsche
Bahn als Hauptgeschädigte der „Schienenfreunde“
zwischen 1998 und 2008
nach eigenen Angaben um bis zu 20 Prozent
überhöhte Preise beim Einkauf von
Gleisen gezahlt haben. Das gilt möglicherweise
auch für die von der GfT gelieferten
Gleise und Weichen am Berliner Hauptbahnhof.
Auf etwa eine Milliarde Euro
(1 000 000 0000 Euro) schätzen Insider
den wirtschaftlichen Schaden allein für
den deutschen Markt. Doch betroffen sind
davon noch viel mehr. Die Preise, die die
DB als größter Abnehmer zahlte, legten
die Messlatte für andere Kunden. Betroffen
wären demnach auch Infrastruktureigentümer
wie Privatbahnen und Firmen
mit eigenen Gleisanschlüssen. Auch SBB
und ÖBB sollen die vom Kartell diktierten
Preise angenommen haben.
Ende der Freundschaft
Erst nachdem der Stahlkonzern Arcelor-
Mittal das polnische Werk Huta Katowice
kaufte und infolgedessen 2008 die „Schienenfreunde“
bei einer Ausschreibung
unterboten hatte, war Schluss mit der
Freundschaft.
2011 wurde das Debakel durch eine anonyme
Anzeige eines ehemaligen Mitarbeiters
sowie eine Selbstanzeige von Voestalpine
öffentlich. Die Staatsanwaltschaft
Bochum sowie das Bundeskartellamt haben
im Mai 2011 die Ermittlungen aufgenommen
und sehen noch kein Ende, da es
sich offensichtlich um ein weit verzweigtes
Netz vieler Beteiligter in verschiedenen
Ländern handelt. Von ursprünglich 30
Beschuldigten in etwa 10 Firmen soll die
Zahl auf mittlerweile etwa 120 Beschuldigte
gestiegen sein.
Ablasszahlungen statt Gerichtsverfahren
Trotzdem versuchen die Beteiligten, den
Schaden schon jetzt zu regulieren, obwohl
die tatsächliche Schadenssumme
noch gar nicht ermittelt ist. Schließlich
müssen nach Bahnangaben circa 15 000
Einzelvergaben überprüft werden.
Im Dezember 2011 gaben Sprecher von
ThyssenKrupp und DB bekannt, man habe
sich in Verhandlungen angenähert. Genaue
Zahlen wurden nicht genannt, die
Kompensation soll aber einen dreistelligen
Millionenbetrag erreichen, berichtete
das Handelsblatt unter Berufung auf
Branchenkreise. Verständlich, wenn man
berücksichtigt, dass die GfT Gleistechnik
sich bereits 2012 wieder an neuen Ausschreibungen
der DB beteiligen möchte.
Genauso wie Voestalpine, die eine außergerichtliche
Entschädigung anbot, um
keine allzu großen Marktanteile zu verlieren.
Sie muss gegen CMC und Arcelor erfolgreich
mitbieten können, da sonst nach
Informationen aus Gewerkschaftskreisen
Betriebsschließungen mangels Auslastung
drohen.
Und die DB? Die freut sich über den regen
Ablasshandel, mit dem sich die „Sünder“
ihr Gewissen erleichtern. Schließlich
spart sie sich durch die Verhandlungen
langwierige Schadenersatzprozesse, von
denen jeder (mit Vor- und Nachlauf) schon
mal drei bis fünf Jahre dauern kann, bis
Geld fließt.
Wo bleibt das Geld?
Apropos fließen. Wohin fließt eigentlich
das Geld der „Sünder“? Aussagen dazu
sind nirgends zu finden. Für den Berliner
Fahrgastverband IGEB ist die Antwort klar:
Die Gelder dürfen weder für den Firmenkaufrausch
der Deutschen Bahn noch zum
Stopfen von Haushaltslöchern verwendet
werden.
Sie wurden dem Gleisbau vorenthalten,
darum müssen sie ihm auch wieder zugeführt
werden. Sie sollen allerdings nicht
zum Schließen von Finanzierungslücken
bei den großen Prestigeprojekten eingesetzt
werden, sondern für die allzu oft
vernachlässigte Instandhaltung und den
Ausbau jener Netzbestandteile, auf denen
kein ICE fährt und Langsamfahrstellen
zum Alltag gehören.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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