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Diese Uhr hat fünf Jahre Verspätung. Pünktlich zum Jubiläum wurde erstmals eine Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz aufgestellt. Außerdem will die DB erstmals beheizte Warteräume einrichten, die man auch ohne Comfort-Fahrkarte oder Verzehrzwang nutzen darf. Foto: Florian Müller |
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Mehr als fünf Jahre Verspätung hat das Empfangsgebäude des Bahnhofs Gesundbrunnen: 2011 soll nun mit der Errichtung eines eingeschossigen Baus begonnen werden. Foto: Florian Müller |
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Fernzüge fahren am Bahnhof Zoo nach wie vor. Nur halten dürfen sie seit 2006 nicht mehr. Foto: Marc Heller |
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Besser gestaltet als die meisten Berliner U-Bahnhöfe der letzten Jahrzehnte: der unterirdische Regionalbahnhof Potsdamer Platz. Foto: Marc Heller |
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Nein, es war nicht der Messerstecher, und es
waren auch nicht herabfallende Stahlteile, es
war nicht die Architektur oder das Brimborium
um die Eröffnung. Am meisten hat sich mir aus
der Frühzeit des neuen Berliner Hauptbahnhofs
eingeprägt, wie ein Journalist seinerzeit
von der europäischen Bedeutung dieser Anlage
schrieb: Von den „Züge(n) zwischen Paris
und Moskau, Stockholm und Rom“, welche
fortan durch den Hauptbahnhof und
letztere auch durch den Tiergartentunnel
brausen würden. Quasi mitten hinein
in eine neue Renaissance der Eisenbahn
und ein Zeitalter des ewigen Friedens,
wenigstens in Europa. Weshalb, so wurde
suggeriert, sich kleingeistige Berechnungen,
ob es nicht auch ein paar Milliarden
preiswerter gegangen wäre, von
selbst verböten.
Dies Zeugnis der Journalisten-Dichtkunst
ist ein schönes Beispiel dafür, wie
vor fünf Jahren gefühlte fünfundneunzig
Prozent der Berichterstattung über
Hauptbahnhof, Tiergartentunnel und
„Pilzkonzept“ aussahen: Die Medien
waren begeistert, sie feierten mit, und
die Journalisten plapperten eifrig Pressemitteilungen
und Reklamematerial
der DB AG nach. Nicht von ungefähr
fand sich praktisch überall die mit Stolz
und Wichtigkeit verkündete Zahl von „1100
Zügen“, welche von nun an täglich auf dem
Berliner Hauptbahnhof halten würden. Zehn
Minuten Recherche hätten genügt, um herauszufinden:
Von diesen „1100 Zügen“ waren
die allermeisten S-Bahnen (die funktionierten
ja damals noch), und der zweitgrößte Posten
waren Regionalverbindungen. Am Bahnhof
Gesundbrunnen hielten ungefähr ebenso viele
Züge. Nicht mitgerechnet die U-Bahn, an die
in ernstzunehmender Weise angebunden zu
werden der Hauptbahnhof ja bis heute wartet
(wobei man darüber streiten kann, welchen
Wert die U 5-Verlängerung, wenn sie denn einmal
fertig ist, haben wird – als weitgehender
Parallelverkehr zur S-Bahn).
Schwedt und Elsterwerda
statt Stockholm und Rom
Sollte sie mir entgangen sein, die Renaissance
viele Grenzen überschreitender Züge, welche
unablässig quer durch Europa schnaufen?
Was wird fünf Jahre nach dem Jubel beispielsweise
in Berlin Südkreuz angeboten? Der
gesamte abgehende grenzüberschreitende
Verkehr laut Aushang in der Zeit vom 11. April
bis 11. Juni 2011: 6.00 Uhr Interlaken Ost (nur
sonntags), 6.55 Uhr Budapest, 9.41 Uhr Krakau,
10.55 Uhr Budapest, 11.09 Uhr Stettin,
12.49 Uhr Innsbruck, 12.55 Uhr Wien, 14.55 Uhr
Brünn, 16.55 Uhr Prag, 18.19 Uhr Budapest,
19.00 Uhr (Fanfare!) Paris Est, 22.21 Uhr Zürich.
Für den Bahnhof Gesundbrunnen ziehe man
Budapest, Krakau, Prag, Paris und Zürich ab
und zähle je einmal Amsterdam und Stettin
hinzu. War vielleicht nur gemeint gewesen, jeder
Zug, der durch den Berliner Tunnel fahre,
bewege sich ja irgendwo zwischen Stockholm
und Rom? Insofern fährt natürlich auch die S 3
(Spandau—Erkner) beständig zwischen Paris
und Moskau.
In Gesundbrunnen verkehren, sieht man
von S- und U-Bahn ab, im Schnitt acht Züge
pro Stunde. Nein, nicht pro Richtung, sondern
acht Züge insgesamt. Die Ziele, welche man
hier vor allem antrifft, sind Elsterwerda, Rostock,
Lutherstadt Wittenberg, Schwedt (Oder),
Stralsund, Falkenberg (Elster), Basdorf oder
Klosterfelde.
Bahnverkehr in Berlin bedeutet 2011, was
es schon 2006 oder 2001 bedeutet hat: Die
allermeisten Züge enden bereits in den neuen
Bundesländern. Es gibt natürlich im Stundenoder
wenigstens Zweistundentakt Verbindungen
in die anderen deutschen Ballungszentren,
doch nur wenige Wagen, welche die Bundesgrenze
überschreiten. Nicht einmal nach Polen,
welches fast vor der Berliner Haustür beginnt.
Zu klären wäre auch noch die Frage, wer eigentlich
dauernd durch Berlin hindurchfährt.
Einige mögen es auf der Relation Hamburg—
Dresden tun. Aber welcher enorme Verkehrsbedarf
schrie nördlich und nordöstlich Berlins
danach, mit ICEs gedeckt zu werden? Wo sind
die Direktverbindungen Wien—Stockholm
oder Stuttgart—Stettin? Eher nicht zu erwarten?
Und einen Zug Hamburg—München
legt natürlich niemand über Berlin? Aber wozu
brauchte man denn dann diesen teuren Tunnel?
Für eine Beschleunigung der Verbindung
Schwedt—Elsterwerda? Unter Tilgung des
Zwangs, in Berlin aussteigen zu müssen, denn
täglich reisen doch sicher Hunderttausende
zwischen den verschiedenen Ecken der Brandenburger
Provinz hin und her?
Mahnmal Gesundbrunnen
Welcher Fehlplanung sie aufgesessen und wie
viele Nummern zu groß die schönen neuen
Kleider daher sind, haben diverse Herrschaften
offenbar selbst bemerkt. Deshalb
ist das „Pilzkonzept“, wie es sich für
ein großes, ambitioniertes Berliner Verkehrskonzept
traditionell gehört, nicht
vollständig realisiert worden. Reden wir
nicht über Sinn oder Unsinn des Ausbaus
weiterer Strecken. Reden wir nicht vom
vermutlich für immer verkürzten Dach
des Hauptbahnhofs (für Kunden der DB
AG ist es schließlich nichts Neues, im
Regen stehen gelassen zu werden) oder
von der Un-Architektur der platten Decke
in seiner unteren Bahnsteighalle. Reden
wir nicht von den ungebauten Parkhäusern
am Südkreuz. (Hat man auf den
errichteten Rumpfbauten jemals viele
Autos gesehen?) Und sicher behaupten
bloß böse Zungen, die Stadtbahn habe
den Fernverkehr Richtung Hannover
allein deshalb behalten, weil ihr sonst
keiner mehr geblieben wäre. Woraufhin
sich die Frage gestellt hätte, ob denn der
Tunnel überhaupt notwendig war – er sollte
ja eine Ergänzung darstellen, keinen Ersatz.
Allerdings hat die Aufteilung des Verkehrs für
die DB AG auch den Charme, viele ICEs nicht
in Südkreuz enden lassen zu müssen, sondern
sie zum Ostbahnhof führen zu können, also
sehr viel näher an das Instandhaltungswerk in
Rummelsburg.
Aber reden wir über Gesundbrunnen, eine
Station, welche vor einigen Jahren im Überschwang
gar in „Nordkreuz“ umbenannt
werden sollte – andernfalls gäbe es Orientierungsprobleme.
Allerdings verirrt sich hier,
wo für die erwähnten acht Züge pro Stunde
sechs Bahnsteigkanten bereitstehen, wohl
kaum jemand. So wenig wie das Fehlen eines
Wartesaals ein Problem darstellt – es gibt ja
außer Nahverkehr kaum etwas, auf das man
am Bahnhof Gesundbrunnen warten könnte.
Er ist geradezu ein Mahnmal des Berliner
Bahnbau-Größenwahns der vergangenen
zwanzig Jahre: Die Treppenhäuser münden
unvermittelt auf eine große Betonfläche, ein
Container bietet Bahnminimalstservice, auch
noch fünf Jahre nach der feierlichen Eröffnung.
Leben herrscht immerhin vor den Zugängen
zu den S-Bahnsteigen: Dort werden die Fahrgäste
von Ständen und Buden geradezu bedrängt,
es ist schwer durchzukommen. Hoffentlich
kann die Bahn wenigstens mit diesen
Flächen Geld machen.
Längst ist nicht mehr die Rede von dem
preisgekrönten Entwurf eines Empfangsgebäudes.
Demnächst soll wenigstens ein Flachbau
entstehen – zu dessen Architektur bezeichnenderweise
nichts gesagt wird. Leider
war der Bahn ja zu spät aufgefallen: Hier gibt es
bereits ein Einkaufszentrum, und zwar direkt
neben dem Bahnhof. In Spandau hat sich die
Bahn das Problem übrigens selbst zuzuschreiben
– der Shoppingtempel erhebt sich auf
dem Areal des einstigen Güterbahnhofs.
Doch wer klagt über die harte Investorensuche
am Gesundbrunnen? Auch beim Hauptbahnhof
hatte sich bekanntlich niemand gefunden,
der die tollen Bügelbauten errichten
wollte. Und danach wollte – obwohl doch der
Bahnhof und erst recht seine Umgebung Bahn,
Senat und Medien zufolge ein so großer Erfolg
sind – niemand in sie einziehen. Weshalb die
DB AG das nun einfach selbst tut. Allerdings
nicht die Konzernspitze. Sie bleibt im gemieteten
Hochhaus am Potsdamer Platz. Ob sie
weiß, warum?
Ein Hauch von München
Der aufgesetzte Jubel über den Hauptbahnhof
war auch deshalb ärgerlich, weil er den Blick
ablenkte von dem, was wirklich bemerkenswert
war: Zum Beispiel in Südkreuz das Konzept,
die Nord-Süd-Bahnsteige nicht durch
einen Tunnel zu erschließen, der immer droht,
düster, verwahrlost und bedrohlich zu wirken,
sondern den Weg von, zu und zwischen diesen
Perrons über den Ringbahnsteig zu führen. Eigentlich
naheliegend, dennoch konnte es so
gut nur funktionieren, weil sich die Überdimensionierung
der Berliner Bahnbauten hier
einmal segensreich auswirkte: Es war die Bereitschaft
vorhanden, eine – für zwei S-Bahngleise
– riesige Bahnsteighalle zu errichten.
Mit der Lichtfülle und dem schönen Ausblick
dürfte es dort allerdings vorbei sein, sollten die
flankierenden Parkhäuser doch noch errichtet
werden. Und vor niedrigen Temperaturen bietet
die Halle natürlich auch kaum Schutz.
Für Berliner Verhältnisse spektakulär war
und ist der Regionalbahnhof Potsdamer Platz.
Wie hier mit ganz einfachen gestalterischen
Mitteln, mit der Wirkung simpler Baumaterialien
ein nobler Eindruck erzielt wird – das wäre
bei der Münchner U-Bahn nichts Besonderes.
Den Berlinern aber zeigt der Regionalbahnhof
Potsdamer Platz, was sie auch in Spandau und
Reinickendorf besitzen könnten, hätte man
die dortigen U-Bahn-Stationen der U 7 und
U 8 nicht von der Verwaltung gestalten lassen.
Natürlich ist auch am Potsdamer Platz alles
vandalismusresistent – Glas, Stahl, Naturstein,
es findet sich sogar der verpönte Sichtbeton –,
wirkt deshalb aber nicht billig. Das Ambiente
wirkt frisch, sauber, zurückhaltend, jedoch
durchdacht. Selbst der Blindenleitstreifen
erscheint nicht als Fremdkörper, sondern als
Teil der Gestaltung. Und man beachte nur, welchen
Effekt man mit hinterleuchteten Milchglasscheiben
erzielen kann!
Als Berliner U-Bahn-Benutzer bemerkt man
in diesem Regionalhalt im Übrigen gleich: Man
befindet sich hier nicht im Zuständigkeitsbereich
der BVG. Diese ist ja seit Jahren der Meinung,
man müsse nur möglichst viel Licht
möglichst gleichmäßig in die Räume kippen,
dann klappe das auch mit der Sicherheit. Im
Regionalbahnhof Potsdamer Platz hingegen
wird der Raum mit Licht modelliert, mit Spots
an der Decke, an manchen Stützen, an den Sockeln
der Rolltreppen und mit Leuchten unter
deren Handläufen, wodurch die Ausgänge betont
werden. Erst richtig zur Geltung kommen
auf diese Weise die beleuchteten Stations- und
Hinweisschilder. Wenn momentan einige Teile
des östlichen Bahnsteigs düster wirken, ist dies
aber keine Absicht, sondern der Nachlässigkeit
der DB AG zu verdanken, die Defektes nicht repariert.
Ob man mehr täte, wenn der Bahnhof am
Potsdamer Platz ein Einkaufszentrum wäre?
Als solches scheint der Hauptbahnhof gut zu
funktionieren. Der Shoppingspaß wird nur etwas
getrübt durch Leute, die hektisch mit Koffern
und Taschen herumrennen und in dem
Gewirr von Ebenen, Treppen und Rolltreppen
versuchen, endlich nach ganz oben oder ganz
unten zu gelangen (die Idee, daraus ein Videospiel
zu machen, lasse ich mir patentieren).
Denn dort – ja, man glaubt es kaum, fahren
in dem Einkaufszentrum auch noch ein paar
Züge. Bahnhofstypische Einrichtungen wie
Fahrkartenschalter, Gepäckaufbewahrung
oder Wartesaal – pardon, natürlich: „ReiseCenter“, „GepäckCenter“ und „Lounge“ – wurden
geschickt zwischen den Läden versteckt. Es ist
bemerkenswert sauber, und es wimmelt vor
Polizei.
Bahnhofsatmosphäre kommt hier so gut
wie nicht auf, im Negativen wie im Positiven.
Wenn sich jemand zum Hauptbahnhof begibt,
um dort zu träumen, dann vermutlich
nicht von der Ferne. Vom Konsum kann man
dies aber auch in mehreren Dutzend weiteren
Einkaufszentren in und um Berlin. Einige von
ihnen sind deutlich besser zu erreichen, als
der Hauptbahnhof. Und ein wirklich urbanes
Bahnhofsumfeld gibt es in Berlin seit 2006 nur
noch, wo keine Fernzüge mehr halten (dürfen):
am Zoo, an der Friedrichstraße oder am Alexanderplatz.
Vor Tunneln wird gewarnt
Vor Tunneln wird gewarnt
Nach fünf Jahren „Pilzkonzept in Aktion“ ist alles
immer noch ein paar Dimensionen zu groß,
und vermutlich wird es das auch bleiben. Berlin
dürfte kaum in absehbarer Zeit doch noch
zur Vier-, Fünf- oder gar Sechs-Millionen-Stadt
heranwachsen, mit einem Speckgürtel, der
diesen Namen wirklich verdient. Insofern kein
Wunder, wenn alles funktioniert – verglichen
mit dem Tiergartentunnel ist selbst auf der
unterirdischen Hauptstrecke der Bielefelder
Stadtbahn mehr los.
Was wohl auch der Grund ist, weshalb Züge
nicht dort halten dürfen, wo viele Fahrgäste
ein- und aussteigen wollen: am Bahnhof Zoo.
Charlottenburgern oder Wilmersdorfern
brachte das real existierende Pilzkonzept
vor allem den „Vorteil“, umständlich nach
Spandau fahren zu müssen oder aber nach
Moabit – um vom Hauptbahnhof aus womöglich
wieder durch den Bahnhof Zoo zu fahren.
Den auch viele Reinickendorfer, Weddinger
oder Steglitzer besser erreichen können als
den großen, neuen, tollen Hauptbahnhof,
dem offenkundig die Fahrgäste mit Zwang zugeführt
werden müssen, der nicht einmal die
Konkurrenz des kleinen Bahnhofs Zoo verträgt.
War er dann überhaupt notwendig?
Große Projekte wollen eben gut überlegt
sein – manchmal sollte man mit dem Überlegen
niemals aufhören. Vielleicht könnte
Berlins Eisenbahntunnel manche Stuttgarter
bei näherer Betrachtung nicht zu Neid,
sondern zu Kopfschütteln anregen? Wenn
sie sich denn schon nicht über steigende
Kosten und schwindenden Sinn der Leipziger
Buddelei informieren mögen.
In Berlin kann man nur noch auf Korrekturen
hoffen: Ein Ende des Unfugs, Züge
ohne Halt den Bahnhof Zoo passieren zu
lassen. Den Bau von mehr als einer besseren
Baracke am Gesundbrunnen. Irgendwann
wird vielleicht sogar die Straßenbahn
zum Hauptbahnhof fertig. Und ganz Kühne
können nicht nur von deren Weiterführung
durch Moabit träumen. Sondern auch von
einer endlich besseren Nord-Süd-Anbindung
des Hauptbahnhofs – und zwar nicht
erst durch den langwierigen und teuren
Bau einer „S 21“. Über fünf Jahre nach seiner
Eröffnung. Jan Gympel
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