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Die Ausgangslage ist wenig mutmachend.
Das gegenwärtig aus zwei Linien (690, 691) bestehende O-Busnetz
in Potsdam kann oder könnte nur überleben, wenn umfangreiche
Investitionen getätigt werden. Die Fahrleitungsmaste sind fast
durchweg auswechslungsbedürftig, die Stromversorgung muß
modernisiert werden. Erneuert werden müssen ebenfalls die
1983 gebauten OBusse des Typs Skoda 14 Tr, die sich in
in den letzten Einsatztagen nicht gerade im besten Zustand befanden.
Lediglich ein Wagen (976) wurde im vergangenen
Jahr für 90.000 DM aufgearbeitet
(die Überholung weiterer Fahrzeuge wäre übrigens beim Hersteller
für weitaus weniger Geld möglich - und das bei besserer Qualität
als zum Zeitpunkt ihrer Fertigung).
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Für die offizelle Abschiedsfahrt setzte der ViP den Wagen 976 ein (links, Marke Skoda), der erst 1994 für 90.000 DM aufgearbeitet worden war. Nach der nun erfolgten Außerdienststellung aller O-Busse der Marke Skoda stehen dem Verkehrsbetrieb nur noch die beiden Duo-Busse, Marke Daimler Benz, zu Verfügung (rechts), die 1993 nach der Unterbrechung der Oberleitung am Bf Drewitz beschafft wurden. Foto: Marc Heller |
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Die gegenwärtige Netzstruktur mit zwei Linien hängt mit der Elektrifizierung
der über Drewitz führenden Eisenbahnstrecke für den ICE zusammen.
Auf eine technisch zwar mögliche, aber nur
äußerst aufwendig zu realisierende Kreuzung der Fahrleitungen
von und Eisenbahn am Bahnhof Drewitz wurde verzichtet
(eine Brücke wird auf sich warten lassen). Man entschloß sich stattdessen,
die entstehende Lücke mittels neu beschaffter Duo-Busse zu überbrücken.
Zwei Wagen konnten mit Landesmitteln (ca. 3 Mio DM, Marke Daimler-Benz)
beschafft werden. Daraus resultierte die Aufteilung der früheren Linie 691
in eine reine O-Bus-Linie 691 Bahnhof Drewitz - Babelsberg-Nord und die
überlappende Duo-BusLinie 690 Goethestraße - Steinstraße. Sie fährt mit
drei, im Berufsverkehr fünf Umläufen, so daß hier mindestens ein bzw.
drei Dìeselbusse permanent vertreten waren.
Die Situation wurde zum Ende vergangenen Jahres mehr als kritisch,
da Entscheidungen zu fälligen lnvestitionen für die Fahrleitungsanlage
(schätzungsweise l,5 bis 4 Mio DM), zur Überholung der alten Fahrzeuge
(350.000 DM) und
langfristig für einen zeitgemäßen Betriebshof anstanden.
In der Stadtpolitik wurde, ausgehend von der gegenwärtig ein Inseldasein
führenden O-Bus-Stammstrecke, die prinzipielle Frage nach Straßenbahn oder
O-Bus gestellt.
Dem allgemeinen Trend folgend, sollten in der Stadt Investitionen
lediglich einen Verkehrsträger mit Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur erfolgen.
In diesem Sinne wurde zugunsten des Straßenbahnausbaues auf eine Stillegung
der O-Bus-Anlage zum I8. Dezember 1994 orientiert.
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Foto: Frank Lammers |
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"... mit klarem Blick in die Zukunft", dafür fehlten den Potsdamer Politikern offensichtlich die richtigen Brillen. Denn viele Bewohner der Stadt empfinden das, was die AG Traditionsbus zur O-Bus-Abschiedsfahrt unübersehbar auf ihren Doppeldecker schrieb: "Potsdam braucht den ÖK(O-BUS)" Foto: Marc Heller |
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Nach harten öffentlichen Auseinandersetzungen faßten die Stadtverordneten
am 14. Dezember zu später Stunde mit 19 zu 18 Stimmen den Beschluß, den O-Bus in
Babelsberg weiter zu betreiben. Der Witz hierbei war, daß dem verbalen
Bekenntnis zu dem ökologisch vorteilhaften und weitaus mehr Sympathien als
Dieselbusse genießenden O-Bus keine Taten folgten. Denn der Haushaltsentwurf
für 1995 sah trotz des oben genannten Beschlusses keine Mittel für dieses System vor.
Zwar wurde der Verkehrsbetrieb aufgefordert, ein Sofortprogramm zur Erhaltung des Betriebes
aufzustellen, alle anfallenden Kosten sollte er aber selber tragen. Diese Forderung
war natürlich nicht erfüllbar, so daß der Verkehrsbetrieb das ungeliebte Anhängsel
O-Bus nun auf kaltem Wege "entsorgte". lm Laufe des 16. Januar l995 wurden alle Fahrzeuge
einer Prüfung durch die DEKRA unterzogen, der ausnahmslos die sofortige Stillegung folgte.
Mit fadenscheinigen Begründungen: fehlende Nummernschildbeleuchtung, fehlende Hinweise auf
Verbandskasten und Feuerlöscher. Zuvor wurde derartiges nie beanstandet.
Zwar verweist schon der optische Zustand der Wagen auf die dringende Notwendigkeit einer
Instandsetzung. Ob aber die überstürzte Außerdienstslellung mit rechten Dingen zuging,
bleibt zu bezweifeln
Das Netz bleibt zwar offiziell bestehen, und die beiden fast neuen sollen
weiter "am Draht" fahren, aber daß dieser Zustand lange
durchgehalten wird, ist angesichts der bisherigen Praxis zu bezweifeln.
Bis März 1995 soll es ein Verkehrsentwicklungsplan geben,
in dem die weitere Entwicklung des gesamten Potsdamer Nahverkehrs
festgeschrieben wird. Bis dahin soll zumindest von einer Demontage
der gesamten Anlage abgesehen werden.
Was dann geschieht, bleibt abzuwarten.
Gab es keine Alternativen?
Es stellt sich die Frage, ob es nicht Alternativen zu diesem
Pokerspiel zwischen Stadt, Verkehrsbetrieb und sensibler öffentlicher
Meinung gegeben hätte. Gewiß, die Strecken- und Betriebshof-Sanierung würde
Investitionen bedeuten, die aus betriebwirtschaftlicher Sicht den abgasfreien
Busverkehr mit zusätzlichen Abschreibungen verteuern. Andererseits würden
Stadt, Land und Bund mit neuen, modernen Skoda-O-Bussen (mit Hilfsmotor)
finanziell günstiger fahren, als mit aufwendigeren Dieselbussen aus namhafter
deutscher Produktion (einschließlich Wartungsverträgen). Man ist vielerorts
offensichtlich bereit, für letztgenannte Fahrzeuge sehr großzügig
knappe öffentliche Gelder zu aktivieren. Es sei der Hinweis gestattet, daß auch modernste
deutsche Technik auf schlechten brandenburgischen Straßen eher "klappert" als auf gut
asphaltierten Pisten im Musterländle (der "gute Stern" fiel mehrfach durch
Rahmenbrüche oder lose Fensterscheiben auf). Viele Fachleute favorisieren
daher die robusten osteuropäischen Fabrikate wegen der angepaßteren Technik.
Auch diese Hersteller haben inzwischen besseres zu bieten als in früheren
Tagen mit minderwertigem Stahl und mangelndem Korrossionsschutz. Wer wagt
nun den Anfang für ein gesundes Mittelmaß zwischen einer Fahrzeugherstellung
in Osteuropa und einer Fahrzeugausstattung in Deutschland? Und wer trägt
Sorge dafür, daß günstige Finanzierungsinstrumentarien den Landeskassen
besser täten, würden sie für preiswertere Fahrzeuge genutzt?
Eine Prioritätensetzung zugunsten des O-Busses bietet sich für Potsdam an.
Der Kulturstadt darf es keinesfalls genügen, über viele Anziehungspunkte ohne
Bezug auf deren umweltverträgliche Erreichbarkeit zu verfügen. Statt den Kulturgenuß
in den Abgasschwaden des Individualverkehrs zu vernebeln, sollte man hier anspruchsvoller sein.
22 Zustiegsmöglichkeiten zum überhaupt nicht anrüchigen O-Bus-Verkehr sind im sehenswerten
Babelsberg sowie in Drewitz eine Option für einen kultivierten Stadtverkehr, die niemand
achtlos vernichten darf! Und das alles ohne Konkurrenzsituation zur weiterhin eine wichtige
Rolle spielenden Straßenbahn.
Bei den auf den ersten Blick erschreckend hoch erscheinenden Investitionskosten
müssen aber auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen beachtet werden - bis hin zur
Schonung von Baudenkmälern durch die Verringerung von aggressiven Abgasen. Ferner
relativieren sich die Kosten für Fahrdraht und Betriebshofsanierung angesichts der
vielen Millionen DM, die in Potsdam jährlich für den Straßenbau ausgegeben
werden - ohne daß hier jemals eine Wirtschaftlichkeitsberechnung gemacht würde.
Gute Gründe für den O-Bus
Wie bereits herausgearbeitet, bedeutet der Erhalt des Systems in der brandenburgischen
Landeshauptstadt die Bereitschaft zu Investitionen in den Infrastrukturbereich.
Vordergründig betrachtet könnte es dem Fahrgast gleichgültig sein, ob auf dem
heranrollenden Transportgefäß Stangen sind oder ob ein Dieselmotor für Bewegung sorgt.
Dennoch verzeichnet der O-Bus eine höhere Attraktivität, ablesbar an zumeist höheren
Fahrgastzahlen im Vergleich zum Dieselbus. Und es gibt einen Trend hin zu elektrischen
Antrieben, ablesbar an den Neuentwicklungen in der Fahrzeugindustrie und unabhängigen
Forschungsprojekten.
Das Argument der Umweltfreundlichkeit wird oft gebraucht, soll aber auch hier nicht fehlen.
Denn für weitaus mehr erbrachte Leistung muß weitaus weniger Energie zugeführt werden.
Gewiß verschmutzt ein Kohlekrafìwerk die Umgebung, aber durch neue Technik wurde und
wird die Luftbelastung pro gewonnener Energieeinheit kontinuierlich abgebaut, sehr viel
schneller und wirksamer als beim Dieselmotor im Fahrzeug. Die Elektroantriebe bieten
geräuscharmes Fahren, zügiges und ruckfreies Beschleunigen, Steigungen werden problemlos
bewältigt, und beim Bremsen auftretende Energie kann zurückgespeist werden.
Die für stehende Fahrgäste immer noch akzeptablen hohen Beschleunigungswerte ermöglichen
bei entsprechender Netzausdehnung die Reduzierung des Fahrzeug- und Personaleinsatzes
gegenüber Dieselbussen.
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Am . Januar stand Wagen 976 noch einmal im Mittelpunkt des Interesses. Foto: Marc Heller |
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Auch die anderen, ebenfalls nur 12 Jahre alten O-Busse der Marke Skoda könnten nach einer Aufarbeitung wieder eingesetzt werden. Hinzu kommt, daß eine Überholung beim Hersteller für weitaus weniger als die bei Wagen 976 ausgegebenen 90.000 DM möglich wäre - und das bei besserer Qualität als zum Zeitpunkt der Fertigung. Foto: Marc Heller |
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Interessant sind Überlegungen eines Getriebeherstellers, der ermittelt hat,
daß bei der Herstellung von etwa 2000 E-Antrieben pro Jahr ungefähr die gleichen
Beschaffungskosten anfallen wie bei den üblichen hydromechanischen Antrieben.
Dabei sinkt das Gewicht der im Bus eingebauten Kraftübertragungselemente; die erzielten
Energieeinsparpotentiale liegen alleine dadurch bei 5 bis 21 Prozent. Hierbei spielt
weiterhin eine Rolle. daß die mittlerweile hochgezüchtete Dieseltechnologie beim
O-Bus weitaus einfacherer Elektronik Platz macht und eine stufenlose und damit
verlustärmere Leistungswandlung erfolgt. Auch nahmhafte Bushersteller beschäftigen
sich ernst mit elektrischen Antrieben als zukunftsträchtige Alternative.
Dieselelektrische Antriebe spielen kaum eine Rolle. da die installierte
Leistung höher wäre als bei reinem Dieselbetrieb. Batteriebetrieb steht wegen
der hohen Eigenmasse der marktüblichen Speichertechnik ebenfalls nicht zur Debatte.
Was bleibt da noch? Richtig, der O-Bus!
Eines muß klar Sein: Bleibt es bei den gegenwärtig anderthalb Linien, hat der O-Bus in
Potsdam keine Zukunft. da das geringe Betriebsergebnis die getätigten Aufwendungen
nicht rechtfertigt. Es muß ernsthaft an einem flächendeckenden Regionalnetz gearbeitet
werden, das nicht auf die gegenwärtigen Bedienungsgebiete der jeweiligen
Verkehrsunternehmen (ViP und HVG) beschränkt bleiben darf und das auch nicht in
Konkurrenz zu höherwertigen Straßenbahntrassen tritt. Ein solches erweitertes
Netz kann gemäß den 1991 publizierten Überlegungen von ARGUS Teile der gegenwärtigen
Buslinien 692 und 693 umfassen, muß aber ebenso in die Region gehen, insbesondere in
Richtung Kleinmachnow und Teltow (Linien 601, 602). Der Ortsverkehr Teltow/Stahnsdorf
verdient ebenfalls Beachtung. Das alles zusammen ergibt eine betriebswirtschaftlich
sinnvolle Größe. Die Errichtung der Infrastruktur muß bzw. landespolitische Aufgabe
sein, die Vergabe der Verkehrs
leistungen gemäß EU-Richtlinien aufgrund von
Ausschreibungen erfolgen. So können im Netz durchaus mehrere Anbieter operieren,
das Verkehrsangebot einschließlich der Systemfrage bleibt aber frei von
unternehmenspolitischen Erwägungen. IGEB
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