Nahverkehr

Gedämpfte Neujahrsfreude

Die BVG erprobte ein verändertes Sylvester-Angebot.

In den letzten Jahren war es üblich, neben S- U-Bahn und auch die Tageslinien von Tram und Bus von wenigen Ausnahmen abgesehen - die ganze Sylvesternacht verkehren zu lassen. Während S- und U-Bahn auch in diesem Jahr wie gewohnt unterwegs waren, wurde bei Tram und Bus statt der Tageslinien das alltägliche Nachtnetz gefahren, ergänzt durch einige wenige, zusätzlich verkehrende Tagesbuslinien wie z.B. die Omnibuslinie 100.

Was auf den ersten Blick sinnvoll aussieht, hatte es bei Gebrauch dann aber in sich: Während es vorallen übrigen Nächten des Jahres sicher richtig ist, das überwiegend sternförmige, von der City in alle Bezirke führende Nachtnetz zu betreiben, so deckt dieses Netz die in der Sylvesternacht nachgefragten Verkehrsströme nur teilweise ab. Nicht alle feiern Sylvester in der City, sondern es gibt auch starke, an den Tagesverkehr angelehnte innerbezirkliche und bezirksübergrei­fende tangentiale Verkehrsströme, die nicht auf das Zentrum ausgerichtet sind. Und für diesen Kundenkreis reichte das diesjährige Sylvester-Verkehrsangebot bei weitem nicht aus.

Wer Sylvester z.B. vom Breitenbachplatz nach Steglitz in die Birkbuschstraße wollte, hätte dieses Jahr besser zu Hause bleiben sollen. Zum letzten Jahreswechsel war das kein Problem: OL 383 bis Rathaus Steglitz und weiter mit der OL 186 in die Birkbuschstraße. Im Nachtnetz aber ist die Bìrkbusehstraße ein weißer (bzw. dunkler) Fleck, gänzlich unerschlossen. Und da nutzte es auch kaum etwas, daß am Breitenbachplatz die U-Bahn fuhr, denn mit der hätte man nur über Spichernstraße (!) zur U9 und dann zum Rathaus Steglitz fahren können - von wo aus man dann endgültig hätte laufen müssen. Auch die Alternative, mit der U1 zum Rüdesheimer Platz zu fahren, dort in den N86 umzusteigen, diesen bis Walther-Schreiber-­Platz zu nutzen und dort entweder in den N48 oder die U9 umzusteigen, ist wohl nicht als ernsthaftes Verkehrsangebot zu sehen.

Es muß wohl auch der BVG aufgefallen sein, daß es eine ganze Menge solch unerschlossener Gebiete in Berlin gibt, weshalb einige wenige Tageslinien auf Teilstreeken doch verkehrten. Die Auswahl, welche Linienabschnitte bedient wurden, ist allerdings schwer nachvollziehbar. So fuhr z.B. die OL 115 zwar zwischen Düppel und U-Bf Oskar-­Helene-Heim, der innerstädtische Bereich Hohenzollerndamm wurde aber überhaupt nicht bedient.

Aber auch wegen der am Neujahrsmorgen auftretenden Verkehrsströme wurde klar, daß das Betreiben des Nachtnetzes (am Neujahrstag bis ca. 10 Uhr) nicht ausreicht; denn auf nicht weniger als 20 Buslinien mußten am Neujahrsmorgen "gezielte Fahrten" vor allem für den Schichtwechsel in den Krankenhäusern durchgeführt werden, weil der normale Tagesverkehr erst gegen 10 Uhr aufgenommen wurde.

Insgesamt betrachtet ist mit dem diesjährigen Sylvester-Verkehrsangebot eine erhebliche Verschlechterung eingetreten kein gutes Omen für das kommende Jahr. Bleibt nur zu hoffen, daß dieser Versuch ein Einzelfall bleibt und die BVG im nächsten Jahr ihre Chance besser nutzt, durch ein gutes Verkehrsangebot zu Sylvester neue Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen; denn bekanntlich lassen ja zu Sylvester viele Autofahrer ihren Untersatz einmal stehen.

IGEB

aus SIGNAL 1/1995 (Februar 1995), Seite 19

 

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