Die Busse und Straßenbahnen der Verkehrsbetriebe
im Land Brandenburg werden älter.
Die Unternehmen und Kommunen haben
kaum finanzielle Mittel für bald notwendige
Neuanschaffungen. Das sind die Auswirkungen
einer verfehlten Förderpolitik von Land
und Bund. Es wird Zeit zum Umsteuern!
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Brandenburg an der Havel. Aus einer Straße wurde eine zentrale Fußgängerzone, die ausschließlich von der Straßenbahn erschlossen wird. Der Attraktivität des gesamten Umfeldes ist dies sehr zuträglich. Foto: Benjamin Karl |
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Die vier Straßenbetriebe der kreisfreien
Städte Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder)
und Brandenburg (Havel) müssen ihren Betrieb
mit zunehmend älteren Fahrzeugen
abwickeln, die sogar zum Teil keine oder nur
Mindestanforderungen an barrierefreie Mobilität
erfüllen. Ein kompletter Ersatz des in
wenigen Jahren abgeschriebenen Wagenparkes
ist nicht in Sicht. Umso enttäuschter
ist der DBV, dass die Brandenburger Landesregierung
keinen Handlungsbedarf sieht.
Stattdessen verweist sie darauf, dass es sich
beim „übrigen ÖPNV“ – das ist der kommunale
Bus- und Straßenbahnverkehr – um
eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe
der jeweiligen Kommune handele und die
Landesregierung „die Sicherung eines bedarfsgerechten,
attraktiven ÖPNV-Angebotes“
unterstützt. Es ist genau dieser lähmende
Entscheidungsunwillen der Landesregierung,
sich hier aus der Verantwortung zu
stehlen. Kommunen, die wegen Überschuldung
komplett unter der Finanzaufsicht des
Innenministers stehen, haben wenig Spielraum
bei der Finanzierung von notwendigen
Straßenbahn-Neubeschaffungen.
Selbst die ab 2013 geplante „Extra-Förderung“
von 5 Millionen Euro durch das Land
wird an diesen Problemen nichts ändern.
Denn diese Pauschalzuweisung für die sieben
Straßenbahnbetriebe und Eberswalde
(mit seinem Obus) wird an anderer Stelle
von den Zuweisungen weggenommen. Es
ist lediglich eine Umverteilung innerhalb
der 22 Millionen Euro GVFG-Mittel (jetzt
Entflechtungsgesetz-Mittel).
Bei der notwendigen Erneuerung des
Wagenparks werden die Betriebe weiterhin
alleine gelassen. Mit kleinen Ausnahmen in
der Landeshauptstadt Potsdam gibt es in
den städtischen Haushalten keinen Spielraum,
über Sonderzuweisungen den Betrieben
beim Kauf neuer Fahrzeuge zu helfen.
Das Bereitstellen einer zusätzlichen Förderung
könnte strategisch sogar sinnvoll
sein. Die Straßenbahnbetriebe würden nahezu
gleichzeitig neue Fahrzeuge ordern.
Durch gemeinsame Beschaffungen könnte
eine hohe Losgröße erzielt. Wenn bei der
Fahrzeugauswahl darauf geachtet wird, einen
„Standardwagen“ zu bestellen und auf
technisch Bewährtes zurückzugreifen (z. B.
Drehgestellwagen, Teilniederflurigkeit, keine
Klimaanlage etc), ließe sich ein günstiger
Stückpreis realisieren.
Der DBV ist sich der finanziellen Lage des
Landes Brandenburg bewusst, aber gerade
in Zeiten klammer Kassen sind Investitionen
in den schienengebundenen ÖPNV im Sinne
nachhaltiger Verkehrspolitik umso wichtiger,
denn die Straßenbahnlinien sind der Grundstein
attraktiver, nachhaltiger, umwelt- und
stadtbildverträglicher Mobilität. Der Subsidiaritätsgrundsatz
im Verhältnis des Landes
Brandenburg zu seinen Kommunen darf
nicht bedeuten, dass die schlechte Finanzausstattung
der „Straßenbahn-Kommunen“
dazu führt, dass diese alleine gelassen werden.
Die Nutzungsdauer eines Straßenbahnwagens
mit einer Lebensdauer von ca. 25
Jahren übersteigt die eines Busses (sieben
Jahre) deutlich, er befördert in dieser Zeit
ein Vielfaches an Fahrgästen. Abgesehen
vom wirtschaftlichen und ökologischen
Nutzen, erfüllt ein attraktiver ÖPNV auch
andere, monetär schwer fassbare Aufgaben.
Als Teil der Daseinsvorsorge ermöglicht er
nicht nur die Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Er hilft sogar nachweislich, die räumlichen
sozialen Trennungen einer Stadt abzumildern
– ein Aspekt der in den kreisfreien
Städten Brandenburgs zunehmend an
Brisanz gewinnt. Was wären Brandenburg
(Havel), Frankfurt (Oder) oder Cottbus ohne
ihre Straßenbahnen? Sie sorgen mit dafür,
dass die berlinfernen Brandenburger Regionen
attraktiv bleiben. Sie haben laut Bevölkerungsprognose
bis 2030 das geringste
negative Wanderungssaldo (Abnahme der
Bevölkerung) in Brandenburg zu verzeichnen.
Sie sind häufig Ziel für umzugswillige
Brandenburger. Deshalb ist der Wert der
Straßenbahn als „weicher Standortfaktor“
nicht zu unterschätzen und nicht nur unter
fiskalischen Gesichtspunkten zu sehen.
Noch größer wird die Enttäuschung über
die aktuelle Lage, wenn man das Ganze in
der bundespolitischen Dimension betrachtet.
Während Millionen Fördergelder für
Elektroautos ausgegeben werden, bleibt
das Verkehrsmittel Straßenbahn gänzlich
unbeachtet. Dabei bietet die Straßenbahn
schon seit über 100 Jahren ressourcenschonende
und umweltfreundliche Mobilität –
und das mit einer Effizienz, die für ein Elektroauto
unerreichbar ist. Ausgereifte Technik,
in Deutschland vorhandene Lieferindustrie
und breiter Zuspruch der Bevölkerung machen
die Straßenbahn eigentlich unschlagbar.
Andere, grundlegende Probleme des
Autoverkehrs bleiben auch mit einem neuen
Elektroantrieb ungelöst: Flächenverbrauch
und Unfallhäufigkeit. Für die Städte liegt die
Zukunft in elektrisch angetriebenen öffentlichen
Verkehrsmitteln!
Das besagt auch der „Fahrplan zu einem
einheitlichen europäischen Verkehrsraum“,
ein Dokument, an dem derzeit bei der Europäischen
Kommission gearbeitet wird. „Danach
drohen Städten wie Cottbus massive
Einschnitte beim Individualverkehr. Während
Pkw und Lkw mit Diesel- oder Benzinmotoren
aus den Innenstädten verbannt
werden sollen, wollen die Verkehrsplaner
Bus und Bahn stärken. (…) Land und Bund
müssen ihre Förderpolitik grundlegend
ändern“, sagte der Landtagsabgeordnete
Jürgen Maresch (Linke) nach dem Studium
des in Brüssel erarbeiteten Expertenpapiers.
Derzeit fahre der Zug freilich genau in die
entgegengesetzte Richtung. „Wir brauchen
viel mehr Unterstützung für Bus und Bahn“,
sagte Maresch laut Lausitzer Rundschau
vom 3. Februar 2012.
2009 wurde in Cottbus ein vielbeachtetes
und erfolgreiches Bürgerbegehren zum
Erhalt der Straßenbahn durchgeführt. Sie
scheint erst einmal im Bestand gesichert;
noch fährt sie weiter. Aber ansonsten ist es
sehr ruhig um sie geworden, Probleme der
Überalterung des Wagenparks und der anstehenden
Neuinvestitionen sind nach wie
vor nicht gelöst. Die Ruhe vor dem Aus? 2015
läuft für den ersten Streckenabschnitt
(Stadtring—Sportzentrum)
die Zweckbindung aus.
2016 und 2017 folgen weitere
Abschnitte (Stadtring—Jessener
Straße, Bahnhofstraße, Berliner
Platz—Sandow und Sportzentrum—
Madlow). Andererseits
hat Cottbus an vielen Stellen mit
dem ständigen Überschreiten
der Feinstaub-Grenzwerte zu tun.
Die Stadtspitze um Bürgermeister
Frank Szymanski (SPD) scheint
nicht so recht an die Zukunft der
Straßenbahn in der Lausitz zu
glauben.
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Brandenburg an der Havel. Mit der Straßenbahn schnell ins Zentrum, am Stau vorbei. Auf dem Weg in die Wohngebiete steht den Bahnen auf allen Ästen ein eigener Bahnkörper zur Verfügung. Foto: Benjamin Karl |
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Um eine mögliche Stilllegung der Straßenbahn
in Brandenburg an der Havel ist es seit
vielen Jahren sehr ruhig geworden. In einem
Fernsehinterview 2009 überraschte Oberbürgermeisterin
Dietlind Tiemann sogar mit
der Einsicht, dass „die Einstellung der Straßenbahn
nach Kirchmöser ein Fehler war“
und „der Busverkehr die Stadt teurer käme“.
Aktuell werden die letzten Schwachstellen
des Straßenbahnnetzes beseitigt. Die Gleisanlagen
am Hauptbahnhof werden saniert
und auch die Situation am Nicolaiplatz wird
sich nach einem Umbau in den kommenden
zwei Jahren deutlich verbessern. Grund zur
Entwarnung? Aufgrund des politischen Willens
bzw. Unwillens bleiben der ÖPNV und
besonders die Straßenbahn leider bislang
hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Mit der Umstellung der heute stark
nachgefragten Buslinie B auf Straßenbahnbetrieb
(wofür seit den 1960er Jahren teilweise
schon entsprechende Trassen freigehalten
wurden) würde die Straßenbahn
alle nachfragestarken Relationen der Stadt
bedienen – und das effizient, sauber, leise
und attraktiv. Die Pläne für diese Erweiterung
wurden 2003 nach einem Beschluss
der Stadtverordneten zu den Akten gelegt.
Statt dessen wurden im Jahr 2005 seitens
der Stadt Sparvorgaben erlassen, in deren
Folge sich die Verkehrsbetriebe in Brandenburg
an der Havel gezwungen sahen, dass
Angebot auf das Allernötigste zusammenzustreichen.
Gefahren wird nun mit einem
schlecht merkbaren Takt, bei dem die Abfahrtszeiten
über den Tag, teils sogar stündlich,
variieren. Das ist ein Umstand, der nicht
gerade zur Attraktivität beiträgt.
Und während das Gleisnetz mit Abschluss
dieser Maßnahmen zwar fast durchgehend
erneuert ist, lebt man beim Wagenpark
von der Substanz. Für die Beschaffung von
Neufahrzeugen fehlt das Geld. Gleiches gilt
für die barrierefreie Gestaltung vieler Haltestellen
– und das, wo Brandenburg an der
Havel im bundesweiten Vergleich eine der
Städte mit dem höchsten Altersschnitt ist.
Der Betrieb der Straßenbahn ist mittelfristig
gesichert, das wirkliche Potenzial dieses
Verkehrsmittels bzw. des ÖPNV als Ganzes
haben die Entscheidungsträger aber offenbar
noch nicht erkannt.
DBV Berlin-Brandenburg
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