Der Bahnhofsvorsteher informiert

Personalmangelwirtschaft gefährdet Eisenbahnverkehr

Mittlerweile ist es ein offenes Geheimnis, dass Ausfälle von Zügen nicht mehr nur auf technische Störungen oder Verzögerungen im Betriebsablauf zurückzuführen sind. Zunehmend bleibt ein fahrtüchtiger Zug einfach mal stehen, weil keiner da ist, der ihn fährt! Überall in Deutschland. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sowie viele Betriebsräte schlagen Alarm.

Bereits bei der Planung von Verkehrsleistungen kalkulieren viele Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die sich des Problems bewusst sind, eine Personalunterdeckung von 2 bis 3 Prozent mit ein. Was im Fernverkehr bisweilen den Reisenden noch nicht gravierend aufgefallen ist, schlägt im Regional- und Stadtschnellbahnverkehr umso höhere Wellen. Beispielsweise musste die S-Bahn Berlin zeitweise einzelne Linien auf einen 20- statt 10-Minuten-Takt reduzieren, zahlreiche Verstärkerzüge im Berufsverkehr ausfallen lassen oder einzelne Linien verkürzen.

Fahrer
Besonders rar waren die Fahrpersonale im vergangenen halben Jahr bei der Berliner S-Bahn. Deshalb fielen monatelang Züge aus. Foto: Florian Müller

Bei der Münchener S-Bahn sieht es nicht anders aus. Auch hier kann mitunter nur eine Grundversorgung angeboten werden. Privatbahnen wie beispielsweise Vectus, Eurobahn oder Trans Regio sehen sich ebenfalls gezwungen, Zugfahrten ausfallen zu lassen, was sich vor allem im Osterverkehr medienwirksam zuspitzte. Unternehmenssprecher machten vor allem den hohen Krankenstand dafür mitverantwortlich. Die Probleme sind jedoch hausgemacht.

Arbeit ist belastend – Mehrarbeit macht krank

Bedingt durch den Personalmangel werden von den vorhandenen Mitarbeitern bisweilen enorme Zusatzleistungen abverlangt, zum einen durch die von vornherein länger geplanten Schichten, zum anderen auch durch “Überreden”, hier mal eine Stunde länger zu machen und da mal eine Extraschicht für einen ausgefallenen Kollegen zu übernehmen. Die Überstunden stapeln sich.

Allein die Mitarbeiter der DB AG schieben gegenwärtig 6,4 Millionen Überstunden vor sich her, gab die EVG im Mai 2012 bekannt. Das entspricht der Arbeitsleistung von rund 4000 Mitarbeitern, die zusätzlich benötigt würden, um den Eisenbahnern die Masse an Mehrleistungen abzunehmen. Die zahlreichen Nichtbundeseigenen Eisenbahnen (NE) sind da noch gar nicht mit eingerechnet. Ein Abbummeln von Überstunden ist oft in nur geringem Umfang möglich, weil wiederum Ersatzpersonal für den “Ausruhenden” fehlt.

Die Erholung bleibt dabei auf der Strecke, vor allem wenn man berücksichtigt, dass nicht selten Schichten zu Zeiten beginnen oder enden, wo ein Heran- bzw. Fortkommen mit Bahn oder Bus schwer, langwierig oder gar unmöglich ist, und Arbeitswegezeiten sich enorm verlängern. In allen Branchen sind die durch Arbeitsbelastungen und vor allem Arbeitsverdichtungen hervorgerufenen Erkrankungen drastisch gestiegen. Kopfschmerzen und Schlafprobleme sind erst der Anfang.

Bekämpft man nur die Symptome mit bunten Pillen (meist “selbstverordnet”), jedoch nicht die Ursachen, führt das nicht selten zu psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen wie z. B. Burnout. Besonders betroffen seien die 40- bis 60-jährigen, informiert die AOK. Diese Altersgruppe mache 55 Prozent der Betroffenen aus. Genau in diese Spanne fällt laut EVG mit 45,9 Jahren der Altersdurchschnitt der DB-Bahnpersonale. 53 Prozent der Mitarbeiter seien heute schon über 50 Jahre alt.

Gegenwärtig läge der Krankenstand der Fahrpersonale bisweilen bei bis zu 10 Prozent, heißt es aus Betriebsratskreisen mehrerer EVU. Zusammen mit den ohnehin schon fehlenden Personalen ist es nachvollziehbar, dass kein vernünftiger Fahrplan mit dem Personalbestand zu halten ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass man für dieses Personalmangelmanagement Verständnis haben muss!

Personalengpässe auch beim EBA

Ein ähnliches Personalproblem besteht auch beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA), der Aufsichtsbehörde für Eisenbahnen in Deutschland. Die Fahrzeugindustrie und Lobbyisten beklagen die schleppende Zulassung von neuen Schienenfahrzeugen. Auch wenn man sagt, „Gut Ding will Weile haben“, was ja die zahlreichen Pannenserien bei neuen Fahrzeugserien zu bestätigen scheinen, so könnte eine schnellere Prüfungsabarbeitung möglich sein.

Das findet auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und kündigte deshalb im Februar 2012 an, die Behörde umzubauen. Doch das wird kaum helfen, meint die EVG. Denn seit 1994 ist der Personalbestand um 20 Prozent gesunken, der Arbeitsumfang aber gestiegen, was die eigentliche Ursache der Überlastung der Beamten und Angestellten ist.

Demografische Entwicklung verschärft Personalprobleme

Um den gegenwärtigen Verkehrsbedarf auf der Schiene im Personen- und Güterverkehr abdecken zu können, fehlen aktuell allein bei der Deutschen Bahn 800 Lokomotivführer, hat die Lokführergewerkschaft GDL errechnet. Bezieht man die nicht zur DB gehörenden EVU mit ein, sollen es gar 1000 sein!

Die EVG hat auch die anderen Berufsfelder bei der Bahn im Blick und dabei festgestellt, dass bedingt durch den hohen Altersdurchschnitt jährlich 8000 neue Mitarbeiter eingestellt werden müssten, um überhaupt die laufende Fluktuation auszugleichen und eine weitere Verschlechterung der Personalsituation zu vermeiden.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Wie kommt man rasch an Fahrpersonale? Diese Frage bringt Personalverantwortliche überall um den Schlaf. Der Arbeitsmarkt ist regelrecht leergefegt. Ältere sehen sich der enormen Belastung nicht mehr gewachsen oder wollen die letzten Jahre ihres Arbeitslebens eher ruhiger ausklingen lassen. Jüngere Mitarbeiter mit entsprechenden Befähigungen, Schienenfahrzeuge zu führen, die das angenehme Leben anderer Dienstposten kennengelernt haben, wollen kaum auf den Führerstand zurückkehren.

Angeführt werden vor allem die wenig attraktiven Arbeitsbedingungen als Triebfahrzeugführer. Die Zeiten, als Lokomotivführer ein Traumberuf vieler Jungen war und Bewerber Schlange standen, sind vorbei. Als kurzfristige Überbrückung krankheitsbedingter Personallücken hat die S-Bahn München zum Beispiel zur Auffüllung leerer Führerstände bisweilen auch Mitarbeiter aus dem Innendienst im Fahrdienst eingesetzt, die noch im Besitz gültiger Fahrbefähigungen sind. Das ist jedoch keine Lösung auf Dauer.

Basis für eine solide Personalpolitik sind attraktivere Arbeitsbedingungen, eine lohnende Bezahlung und ein umfangreiches wie kontinuierliches, betriebseigenes Ausbildungsprogramm mit realistischen Zugangsvoraussetzungen. So etwas kostet natürlich viel Geld. Die Kosten zum Großteil auf das Arbeitsamt abzuwälzen und primär auf Bewerber mit einem sogenannten Bildungsgutschein zu setzen, war ein fataler Fehler in der Vergangenheit. Der Geiz ging nach hinten los, denn die Ausfallquoten waren enorm. Einige Unternehmen haben gelernt, dass man in gute Personale investieren muss.

Leider haben sie da wohl was falsch verstanden. Denn als einfachste Lösung investiert man mittlerweile nicht nur in Ausbildungsplätze, sondern auch in einen regelrechten Abwerbungskampf. Angefangen haben die NE-Bahnen, und auch bei der DB ist zur „Jagd geblasen“ worden. Die Deutsche Bahn schickt ihre Mitarbeiter in die Spur und hat Vermittlungsprämien für jeden geworbenen Lokführer in Höhe von 1000 Euro ausgelobt und für jeden, der eine Lokführerausbildung bei der Bahn absolviert, immerhin 500 Euro. Bei einigen NE-Bahnen sollen sogar Kopfgelder von bis zu 5000 Euro geflossen sein, heißt es „hinter vorgehaltener Hand“.

IGEB fordert solide Personalpolitik!

Zug
Nicht nur bei der Berliner S-Bahn, sondern deutschlandweit sind die Fahrpersonale knapp. So wurden bei der Münchner S-Bahn zur Begrenzung krankheitsbedingter Zugausfälle auch Mitarbeiter aus dem Innendienst im Fahrdienst eingesetzt. Foto: Johann Hartl

Seit langem fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB, die Personalbestände aufzustocken und auch Reserven für Urlaubs- und Krankenzeiten zu schaffen, damit die bestellten bzw. im Fahrplan ausgewiesenen Bahnfahrten auch stattfinden. Frühere Warnungen von IGEB und auch Gewerkschaften und Betriebsräten wurden in den Wind geschlagen. Nun ist das Gejammer groß. Doch eine kurzfristige Lösung gibt es nicht! Da helfen unmittelbar auch nicht die Strafzahlungen bzw. Abzüge bei den Geldzahlungen für vom Land bestellte, aber vom EVU nicht erbrachte Verkehrsleistungen.

Die Eisenbahnverkehrsunternehmen stehen nun in der Pflicht, schnellstmöglich attraktive Arbeitsbedingungen für alle Eisenbahner zu schaffen, um Nachwuchs zu gewinnen und alsbald auszubilden. Wichtig ist dabei, unternehmensübergreifend zusammenarbeiten, um einheitliche gute Qualitätsstandards für viele Eisenbahnberufsgruppen zu schaffen, da es hier zwischen den EVU gravierende Unterschiede – von wünschenswert grundsolide bis hin zur knappen Schnellbesohlung – gibt.

Bund und Länder sind mit in der Verantwortung

In der Ausschreibungspolitik ist ein Umdenken erforderlich. Viele Politiker haben nur die Registrierkasse im Blick. Bei Ausschreibungen ist oft der günstige Bewerber der Gewinner. Jedoch sind es die Personalkosten an denen am meisten gespart werden kann und wird. Hier muß die Angebotsqualität mehr in den Fokus der Länder rücken – nicht das “wer kann es am billigsten”. Die Anwendung des einheitlichen Branchentarifvertrages SPNV als Ausschreibungsgrundbedingung für alle EVU wäre ein erster wichtiger Schritt.

Langfristig betrachtet: Gäbe es einen Branchentarifvertrag für alle Berufsgruppen in allen Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen, unabhängig ob Nah-, Fern- oder Güterverkehr, der vom Bund für allgemeinverbindlich erklärt wird, ließen sich bessere Arbeitsbedingungen effektiver durch- und umsetzen, um so die Attraktivität der unterbesetzten Arbeitsplätze und den Zulauf auf diese zu erhöhen.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 3/2012 (Juli 2012), Seite 21-22

 

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