Planung

Trassenfreihaltung einer Bahnstrecke S21

von Yorckstraße über Gleisdreieck, Potsdamer Platz und Lehrter Bahnhof zum Nordring

Der Senat hat in seiner 183. Sitzung am 31. Januar 1995 folgendes beschlossen:

I. 1.

Der Senat beschließt aufgrund der in der Staatssekretärkonferenz am 30. Januar 1995 ausgelegten Beratungsunterlage der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe vom 27. Januar 1995 in Abänderung des Senatsbeschlusses Nr. 5412/94 vom 13. Dezember 1994 den mit Senatsvorlage Nr. 5412/94 der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe vom 9. Dezember 1994 vorgelegten Bericht über "Trassenfreihaltung Für eine zusätzliche S- bzw. Regionalbahnstrecke auf dem Abschnitt von Yorckstraße über Gleisdreieck und Lehrter Bahnhof zum Nordring" mit der Maßgabe, daß in der Mitteilung an das Abgeordnetenhaus die Seiten 1, 3, 4 und 6 durch die mit der Beratungsunterlage vom 27. Januar 1995 verteilten Austauschseiten zu ersetzen und dabei folgende weitere Maßgaben zu berücksichtigen sind:

a) Bei den Aussagen zu den Vorhaltekosten ist ein Hinweis auf zusätzliche. nicht bezifferbare Gründungskosten für die öffentliche Infrastruktur südlich der ABB-Bebauung aufzunehmen.

b) Durch eine entsprechende textliche Ergänzung ist zu verdeutlichen, daß die Trassenfreihaltung vorhersehbare technische Entwicklungen, die bis zum Zeitpunkt einer möglichen Realisierung eintreten können. einschließt.

I. 2.

a) Die Trasse für die mögliche spätere Realisierung einer S- oder Regionalbahnstrecke von Yorckstraße über Bf Gleisdreieck, Potsdamer Platz, Reichstag, Lehrter Bf zum östlichen Nordring (Bf Wedding bzw. Bf Gesundbrunnen) - Arbeitstitel "S21" wird in Abänderung des Senatsbeschlusses Nr. 4080/93 vom 30. November 1993 freigehalten.

b) Zur Trassensicherung der S21 sind alle planungsrechtlichen Voraussetzungen (Eintrag der S21 in den Flächennutzungsplan '94 in einem der nächsten Änderungsverfahren, Trassendarstellung in den in Aufstellung befindlichen betroffenen Bebauungsplänen, Berücksichtigung des Punktes 1.2.d dieses Beschlusses im laufenden Planfeststellungsverfahren die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich - ein Zeitverzug entsteht hierbei gemäß einem externen Gutachten nicht - und entsprechende Vertragsgestaltungen bei Grundstücksveräußerungen) zu schaffen und ggf. notwendige dinglìche Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen.

c) Beim Bauvorhaben des Investors Roland Emst/ABB [am Potsdamer Platz] ist zu veranlassen, daß der Bauherr die spätere Trasse der S21 nicht verbaut. Hierfür sind auf den bisherigen Grundstücken des Landes Berlin und des Rechtsnachfolgers des Reichseisenbahnvermögens Vorleistungen notwendig, die nach Ermittlungen der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen auf Grundlage einer Machbarkeitsstudie des Investors einen Finanzumfang von nach heutiger Kenntnis ca. 20,9 Mio DM haben. Ferner könnten nach Fertigstellung des Gebäudes nach dann erst durchzuführenden Messungen Maßnahmen zum Schall- und Erschtütterungsschutz mit Kosten in Höhe von 4 Mio DM erforderlich werden. Bei der Veräußerung der Grundstücke an Roland Ernst/ABB kann als Wertausgleich bei der Festlegung des Grundstückspreises ein gewisser Betrag nachgelassen werden.

d) lm Planfeststellungsverfahren für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich ist dafür Sorge zu tragen, daß bei der Planfeststellung der in diesem Verfahren befindlichen Anlagen eine spätere Planfeststellung und Realisierung der S21 berücksichtigt wird. Hierzu ist sicherzustellen, daß zum einen im Bereich des Lehrter Bahnhofs die oberirdischen Bahnhofsanlagen (Stadtbahn, Mantelgebäude etc.) so gegründet werden, daß sie die spätere Führung der S21 hier nicht ausschließen. Zum anderen ist im Bereich Perleber­ger Brücke/Nordring zu beachten, daß das unterhalb der Fernbahntrasse für die S 21 erforderliche Lichtraumprofil eingehalten wird. Im laufenden Planfeststellungsverfahren für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich von Berlin ist darauf hinzuwirken, daß die Stützen für die Fernbahntrasse in einer Weise planfestgestellt werden, die das Lichtraumprofil der entweder bereits berücksichtigt oder einen späteren Umbau zur Profilfreimachung für die S21 ermöglicht.

I. 3.

Der Senat nimmt nach ausführlicher Erörterung seiner bisherigen ablehnenden Beschlußfassung und der dafür maßgeblichen Gründe und nach Aussprache über die nunmehr erneut von Senator Prof. Dr. Haase empfohlene Entscheidung für eine Trassenfreihaltung dessen Erklärung zur Kenntnis, daß negative Auswirkungen auf das Planfeststellungsverfahren die Verkehrsanla­gen im Zentralen Bereich nicht zu erwarten seien; die freizuhaltende Bahntrasse schließe alle künftigen technischen Optionen für eine S- bzw. Regionalbahnstrecke in ihrer gesamten Länge ein. ...

Protokollnotizen

1. Senator Nagel legt Wert auf die Feststellung, daß

a) die eigentlichen Gründe die Freihaltung der Trasse nach seinem Eindruck nicht in der Optimierung des lägen, sondern in einer Trassenfreihaltung für die mögliche Strekenführung des Transrapid; dies solle man dem Abgeordnetenhaus dann auch so mitteilen;

b) er die Verantwortung wegen der Gefährdung des laufenden Planfeststellungsverfahrens nicht tragen könne und er sich deshalb der Stimme enthält.

2. Der Regierende Bürgermeister verweist nochmals auf die beschlossene Trassenfreihaltung, die sich ausdrücklich eine S- bzw. Regionalbahn bezieht.

*

[IGEB] In SIGNAL 1/95 berichteten wir über "Die unendliche Geschichte" der S21 -Planung und freuten uns über den vorstehend abgedruckten Senatsbeschluß zur Trassenfreihaltung, warnten aber, daß damit die S21 noch lange nicht gebaut sei. Der Wortlaut des Senatsbeschlusses, der uns damals noch nicht vorlag, zaigt nun, wie richtig diese Einschätzung war. Es drängen sich viele Fragen und Befürchtungen auf:

Aufstellung
Fast 16 Millionen Reisende pro Jahr erwartet der Berliner Verkehrssenator für den Lehrter Bahnhof. Doch trotz dieser Prognose plant er eine unattraktive, weil mit Umwegen verbundene Straßenbahn anbindung und eine (S21), deren Realisierung überhaupt nicht absehbar ist.

Beschlossen hat der Berliner Senat die Freihaltung einer "Trasse für die mögliche spätere Realisierung einer S- oder Regionalbahnstrecke". Warum ist hier von einer Regionalbahnstrecke die Rede? Stimmen also die Befürchtungen, daß die Trassenfreihaltung nur erfolgt, um die Regionalbahn von den vier Fernverkehrsgleisen zwischen Lehrter Bahnhof und Yorckstraße herunternehmen und damit zwei der Gleise im Tiergarten-Tunnel fur die Transrapid-Verlängerung zum Großflughafen und Richtung Dresden/Prag reservieren zu können? Die erstaunlich deutlichen, von Bausenator Nagel zu Protokoll gegebenen Anmerkungen verstärken diesen Verdacht. Ein weiteres Indiz für diese Gefahr ist der Satz, "daß die Trassenfreihaltung vorhersehbare technische Entwicklungen, die bis zum Zeitpunkt einer möglichen Realisierung eintreten können, einschließt."

Zu kritisieren ist auch, daß zwar stets von einer Tressenfreihaltung "auf dem Abschnitt von Yorckstraße über Gleisdreieck und Lehrter Bahnhof zum Nordring " gesprochen wurde und wird, tatsächlich aber lediglich eine Trassenfreihaltung "zum östlichen Nordring (Bf Wedding bzw. Bf Gesundbrunnenn)" erfolgen soll. Diese nur an einer Stelle zu findende, aber wichtige Präzisierung entwertet das ganze Projekt erheblich. Noch zur Vorentwurfsplanung für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich im März 1993 war für die S21 nur die Westkurve zum Nordring geplant und mit der Möglichkeit geworben worden, so "eine direkte Anbindung des Parlamentsbereiches und des Dienstleistungsschwerpunktes Potsdamer Platz/Leipziger Platz an den Flughafen" Tegel zu schaffen. Kurz darauf wurde eine Planung mit West- und Ostkurve entwickelt, also eine Führung der vom Lehrter Bahnhof sowohl Richtung Westhafen als auch Richtung Wedding/Gesundbrunnen. Ende 1993 wurde dann die komplette S21 aufgegeben, bevor sie nun nach gut einem Jahr "wiederbelebt" wurde. Aber jetzt gibt es sie nur noch mit Ostkurve, obwohl die Führung der neuen Nord-Süd-S-Bahn in Richtung Gesundbrunnen teilweise in Konkurrenz zum vorhandenen Tunnel der S-Bahn steht. Durch diesen leistungsfähigen Tunnel verkehren derzeit vier Zuggruppen innerhalb von 20 Minuten, und ab Jahresfahrplan 1995/96 werden es sechs sein. Ein Verkehrsbedarf für eine zweite ist damit nur durch die Zubringerfunktion zum Lehrter Bahnhofzu begründen (also ohne Option z.B. in Hichtung Gartenfeld/Wasserstadt Spandau), und ob allein damit ein Milliardenprojekt wie die S21 jemals zu rechtfertigen sein wird, muß bezweifelt werden.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Senatskanzlei

aus SIGNAL 2/1995 (April 1995), Seite 13-14

 

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