|
Die Feiern zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn-Strecken nach Lichterfelde
Ost und Tegel werden überschattet durch einen Milliardenverlust. 8,9 Mrd DM
hatte Bundesverkehrsminister Wissmann im November 1993 dem Berliner Senat für
die Wiederherstellung des S-Bahn-Netzes versprochen und sich damit u.a. die Zustimmung zur
Bahnreform gesichert. Skandal Nr. 1: Der zugesagte Betrag ist inzwischen auf
weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft. Das Land Berlin hatte der
Bahnreform zugestimmt, aber der Bund hat danach sein Versprechen nicht
gehalten. Skandal Nr. 2: Der Berliner Senat hat sich gegen die Mittelkürzungen
nicht gewehrt, schlimmer noch, er hat indirekt sein Einverständnis
signalisiert. Erst als der Tagesspiegel (dankenswerterweise) am 12. April
diesen (keineswegs neuen) Vorgang zur "Seite 1-Skandalgeschichte" beförderte, kam die nötige
Bewegung in das Thema. Nun besteht dank des in Berlin beginnenden
mWahlkampfes die Chance, dieses Thema "am Kochen" zu halten - um der willen.
Und deshalb soll nachfolgend auch der verkehrspolitische Sprecher einer
Oppositionspartei zu Wort kommen:
Michael Cramer (Bündnis 90/Grüne), der inzwischen auch über die Parteigrenzen
hinweg als Verkehrsexperte anerkannt ist.
Über die 10 Kardinalfehler des Senats hinsichtlich der S-Bahn-Finanzierung
Am 04. November 1993 einigten sich der Regierende Bürgermeister von Berlin,
Diepgen, Bahnchef Dürr und Bundesverkehrsminister Wissmann darauf, daß der
Bund für die Grundsanierung in Berlin Bundesmittel in Höhe von 8,9 Mrd. DM
bereitstellen will (sogenannter Nachholbedarf). Nach dieser Vereinbarung
sollten 6,3 Mrd. DM in den Fahrweg und 2,6 Mrd. DM in die Fahrzeuge investiert
werden. In der SFB-Abendschau vom 6.11.1993 bezeichnete Finanzsenator
Pieroth diese Vereinbarung als einen "großen Verhandlungserfolg" von Eberhard
Diepgen.
Hintergrund für diese Vereinbarung war der § 22 des
Deutsche-Bahn-Gründungsgesetzes: "Mit 22 Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz kann
sich dann für Berlin eine neue Rechtsgrundlage und die wesentliche
Finanzierungsquelle Investitionen ergeben, die neben dem steht." (aus der
Begründung zum Senatsbeschluß vom 5.10.1993). Deshalb formulierte
Verkehrssenator Haase in derselben Senatsvorlage 3963/93 auch weiter: "Der
Senat vertritt gegenüber dem Bund seine Erwartung, daß dieser seinen
Verpflichtungen, die aus der S-Bahn-Sanierung und der Fahrzeugmodernisierung
resultieren, nachkommt, und die im Zuge der Bahnreform in Aussicht
gestellten Mittel gemäß § 22 Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz hierfür einsetzt und
insoweit die ansonsten zur Finanzierung heranzuziehenden Mittel aus dem
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) ersetzt werden".
Als Konsequenz spitzte Senator Haase dann folgendermaßen
zu: "Berlin muß diese Forderungen mit Nachdruck an den Bund
herantragen und seine Zustimmung zur Bahnreform von einer klaren
Regelung der Altlastenfrage abhängig machen." Nach Abschluß der
Verhandlungen hat Berlin im Bundesrat der Bahnreform
zugestimmt, deren Inkraftsetzung eine Zweidrittelmehrheit notwendig war.
So positiv dieser vermeintlich "große Verhandlungserfolg" (Pieroth) von
Eberhard Diepgen Berlin auch war, so negativ schlägt der Dilettantismus
des Senats bei der Einforderung der Verhandlungsergebnisse für Berlin zu
Buche: Insgesamt 10 Kardinal fehler sind dem Senat vorzuwerfen, durch
die er die Verhandlungsmasse von 8,9 Mrd. DM so verspielt hat, daß
mittlerweile nur 3,58 Mrd. DM übriggeblieben sind.
Kardinalfehler Nr.1: Vertrag ohne Mitzeichnung des Finanzministers
Eigentlich hätte auch der Regierende Bürgermeister wissen müssen
(wahrscheinlich wußte er es auch), daß eine Vereinbarung mit einem
Regierungsmitglied über 8,9 Mrd DM nur dann rechts
verbindliche Qualität hat, wenn diese Vereinbarung vom Kabinett
beschlossen wird bzw. zumindest der für die Finanzen
zuständige Minister in diesem Fall Finanzminister Waigel - dieses
Verhandlungsergebnis mitzeichnet. Weil der Senat darauf nicht bestanden
hat, ist seine eigentlich positive Verhandlungsposition - pacta sunt servanda -
ins Gegenteil verkehrt.
Kardinalfehler Nr.2: Auch im Hauptstadtvertrag S-Bahn-Finanzierung
Obwohl die Sanierung des S-Bahn-Netzes, orientiert am Netz von 1961, mit
dem Vermerk vom 4.11.1993 geklärt war, taucht die S-Bahn-Sanierung knapp
ein Jahr später, am 30.6.94, im Hauptstadtvertrag wieder auf: "S-Bahn-Linie
S 4, Abschnitt Westend - Schönhauser Allee/Pankow (350 Mio. DM)". Damit
hat Berlin ohne Not schriftlich das Abrücken vom ursprünglichen
S-Bahn-Vertrag bestätigt und sich im Grunde die Zusagen des Bundes zweimal
abhandeln lassen: Zum einen als teilungsbedingte, zum anderen als
hauptstadtbedingte Maßnahme, obwohl auch im Selbstverständnis des Senats das
eine mit dem anderen nichts zu tun hat. So schreibt Finanzsenator Pieroth in
einem Vermerk vom 28.03.1994
für Verkehrssenator Haase und den Regierenden Bürgermeister:
"Der Bundesminister für Verkehr muß einen Weg ñnden, seine
schriftlich gegebene Zusage zu erfüllen, die Kosten der S-Bahn-Sanierung zu
tragen." Und weiter heißt es: "Berlin muß insbesondere darauf bestehen, daß
die Finanzierung der S-Bahn-Sanierung nicht zu Lasten der Mittel für die
Hauptstadtfinanzierung gehen darf, die der Bund auf 1,3 Mrd. DM (10 Jahre)
plafondiert hat".
|
Endstation Lichterfelde Ost. Foto: Tariq Kaddoura |
|
Ab dem 28. Mai 1995 fährt auf der Anhalter Bahn endlich wieder die S-Bahn, doch wann die Züge nach Lichterfelde Süd und Teltow weiterfahren können, ist noch immer ungewiß. Foto: Marc Heller |
|
Diese Verhandlungsposition wurde besonders leichtfertig verspielt, denn
von den 1,3 Mrd. DM aus dem Hauptstadtfonds werden 350 Mio DM für die
Sanierung des S-Bahn-Nordrings zur Verfügung gestellt, obwohl sie schon in der 8,9-Mrd-DM-Vereinbarung
vom 04.11.93 verbindlich enthalten waren. Ein unerwartetes Geldgeschenk
für den Bund, ein Verlust von 350 Mio DM für Berlin.
Noch am 1. Juni 1994 meinte Verkehrssenator
Haase vor dem Verkehrsausschuß des Abgeordnetenhauses: "Welcher Anteil
der S-Bahn-Grundinstandsetzung aus dem Hauptstadtfonds fließe, müsse ebenfalls noch
diskutiert werden. Er jedoch halte diese Quelle nicht fur die richtige, da
es sich um Nachholbedarf, nicht um Erfordernisse der Hauptstadt handele."
(Zitat aus dem Inhalts-Protokoll der 64. Sitzung des Ausschusses Verkehr und
Betriebe)
Dieser Position von Herrn Haase kann sich die Fraktion Bündnis 90/Grüne nur
anschließen, sie fragt sich jedoch, warum dennoch 350 Mio DM aus dem
Hauptstadtfonds für die Grundsanierung der S-Bahn genommen worden sind, obwohl es
sich hier einwandfrei um "Nachholbedarf" handelte.
Kardinalfehler Nr. 3: Einvernehmliche Kürzung um 1,9 Mrd. DM
Am 28. September 1994 teilte Staatssekretär Ingo Schmitt in
einem "Medien-Info" der Öffentlichkeit mit, daß die Mittel des Bundes
bereits auf 7 Mrd. DM heruntergestuft worden sind, und zwar von 6,3
auf "ca. 5 Mrd. DM" für Investitionen
und von 2,6 Mrd. DM auf "ca, 2 Mrd. DM" für die Fahrzeuge. Diese völlig
unkritische Mitteilung an die Öffentlichkeit kann nur als Einvernehmen
über die Mittelkürzung von 1,9 Mrd. DM gewertet werden. Statt dessen
hätten der Senat und die ihn tragenden Parteien wegen der Mittelkürzung
von 1,9 Mrd. DM bei der S-BahnSanierung Alarm schlagen müssen.
Kardinalfehler Nr. 4: Schweigen bei Kürzung um 4 Mrd. DM
Am 19.12.1994 teilte die Fraktion Bündnis 90/Grüne anläßlich einer
Pressekonferenz der Öffentlichkeit mit, daß für die S-Bahn-Sanierung statt der
ursprünglichen 8,9 Mrd. DM für Investitionen und Fahrzeugbeschafïung bis zum
Jahr 2002 insgesamt nur noch 4,9 Mrd. DM zur Verfügung stehen, also 4 Mrd. DM
weniger, als im November 1993 vereinbart waren. Anstatt gegen die Kürzungen
lautstark zu protestieren, dokumentierte der Senat öffentlich sein
Einverständnis. Der Tagesspiegel zitiert am 20.12.1994: "Während der
verkehrspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, Michael Cramer,
er rechnet hat, daß der Bund auch die Kosten für die Instandsetzung und den
Wiederaufbau der Strecken von versprochenen 6,3 Milliarden DM auf nun nur
noch 3,9 Milliarden DM gesenkt habe, räumt man in der Verkehrsverwaltung zwar
Küzungen ein, die jedoch vereinbart seien. Die Summe werde nur gestreckt,
sagte Chefplaner Ural Kalender. Dies sei ja auch sinnvoll, da man mehr als
700 Millionen DM im Jahr gar nicht ausgeben könne, weil dies keine Planung
schaffe. Schon in diesem Jahr müßte die Bahn deshalb fast 80 Millionen DM
zurückgeben." Mit solcher Leisetreterei gegenüber Bonn und Verharmlosung
gegenüber der Öffentlichkeit ist die S-Bahn-Finanzierungszusage natürlich nicht
durchzusetzen. Dies betrifft neben dem Senat auch und vor allem, wegen der
großen Krokodilstränen, die Koalitionäre von SPD und CDU gleichermaßen.
Kardinalfehler Nr.5: Schweigen zur Auskunft der Bundesregierung
Aus einer nicht veröffentlichten, dem Senat aber bekannten Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Klaus-Dieter Feige und der
Gruppe Bündnis 90/Die Grünen geht hervor, daß es für die S-Bahn-Fahrzeuge
außer den bereits fest zugesagten 420 Mio für 100 Viertelzüge der Baureihe 481 gar
nichts mehr vom Bund gibt. Die S-Bahn Berlin GmbH soll nach den
Vorsteliungen der Bundesregierung die aus den "Einnahmen" finanzieren. In
der Antwort auf die Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Klaus-Dieter
Feige und der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen betr. "Wiederaufbau der S-Bahn
Berlin" (Drs. 12/8571) heißt es nämlich: "Die Deutsche Bahn AG, die in
Fragen der Abwicklung und Angebotsgestaltung im Personennahverkehr in eigener
Zuständigkeit entscheidet, hat den Fahrzeugbedarf der Berliner mit 800
Viertelzügen angegeben. Ausgehend von der gegenwärtigen Struktur des
Fahrzeugparkes müssen 550 Viertelzüge als Ersatz für überalterte Fahrzeuge
neu beschaft werden. Davon hat die Bundesregierung die Finanzierung von 100
Viertelzügen, die im Zeitraum 1995 - 1997 in Betrieb gehen, als investive
Altlast zugesagt. Die Beschaffung weiterer Fahrzeugeinheiten soll zu Lasten
der Deutschen Bahn AG erfolgen, wobei sich die Zugangsquoten nach den
Betriebsprogrammen und denjeweìligen Finanzierungsmöglichkeiten und -prioritäten der
Deutschen Bahn AG richten." Auch hierzu gab es keinen kritischen Kommentar
des Senats oder der ihn tragenden Parteien, obwohl der Sachverhalt
alarmierend war. Denn von den 470 Mio DM aus dem Bundeshaushalt sind mit
den 100 Viertelzügen 420 Mio DM finanziert worden. 350 Mio DM fehlen noch
aus dem GVFG Brandenburg und 1,78 Mrd. DM von seiten der Deutschen Bahn AG. Da
Bahnchef Dürr die Vereinbarung vom 4.11.1993 mitgetragen hat, hätte die
Deutsche Bahn AG schon längst aktiv werden müssen, um die 1,78 Mrd. DM für
die Beschaffung neuer Fahrzeuge bereitzustellen. Nicht vom Senat und auch
nicht von den Parteien CDU und SPD wurde weder bei der Bundesregierung, dem
Land Brandenburg, noch bei Bahnchef Dürr die Erfüllung des Vertragstextes
hinsichtlich der neuen Fahrzeuge eingefordert. Ein Fiasko angesichts der
finanziellen Situation. Erinnert sei auch daran, daß Berlin einst
dem IOC weismachen wollte. im Jahre 2000 gäbe es einen komplett neuen
Fahrzeugpark.
Kardinalfehler Nr. 6: Bedingungslose Freigabe der S-Bahn-Trasse
Als die Deutsche Bahn AG für die Sanierung des Streckenabschnitts Eichkamp
Spandau die Trasse der stillgelegten S-Bahn benutzen wollte, war Berlin in einer
äußerst günstigen Verhandlungsposition. Für die Nutzung dieser Trasse durch
die Fernbahn mußte zunächst nämlich auf der S-Bahn-Trasse ein neues
Fernbahngleis verlegt werden, um den Zugbetrieb nach Hamburg nicht
unterbrechen zu müssen. Da mit dem Vertrag vom 4.11.1993 die finanziellen
Grundlagen für die gelegt waren und Senat, Bahn und Bundesregierung bei allen
möglichen und unmöglichen Gelegenheiten bekundeten, daß die schnellstmögliche
Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Netzes auf dem Stand von 1961 oberste
Priorität hatte, hätte der Senat der Nutzung der S-Bahn-Trassen für die
Fernbahn nur unter der Bedingung zustimmen dürfen, daß zuvor beide
S-Bahngleise für den Streckenabschnitt bis Rathaus Spandau verlegt werden.
Dann wäre es nämlich möglich gewesen, nach Abschluß der Baumaßnahmen die
Fernbahntrassensanierung im Jahre 1997 nach kurzer Zeit die bis Rathaus
Spandau in Berieb zu nehmen, weil nur noch die Stromschienen hätten
angebracht werden müssen. Da der Senat darauf nicht bestand, ist das Datum 1997 für die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn nach Spandau nicht zu halten.
Offiziell wurde die Öffentlichkeit auf das Jahr 1999 vertröstet.
Kardinalfehler Nr. 7: Zustimmung zur Fernbahn ohne S-Bahn-Trasse
Auch bei der Neutrassierung der Fernbahn Spandau - Falkensee, wofür ein
Planfeststellungsverfahren notwendig war, hatte der Senat eine äußerst
günstige Verhandlungsposition. Da er sich auf die Finanzierungszusage der
S-Bahn berufen konnte, hätte er leicht durchsetzen können, daß mit dem
Planfeststellungsverfahren für die Fernbahn gleichzeitig auch das für die
S-Bahn nach Falkensee hätte durchgeführt werden müssen. Denn es wurde
seit 1987 die Verschiebung der S-Bahn-Wiederinbetriebnahme nach Spandau immer
wieder mit dem Hinweis auf die notwendige Gleichzeitigkeit der Baumaßnahmen
von S-Bahn und Fernbahn begründet. In dem Moment, wo die gleichzeitigen
Baumaßnahmen realisiert werden können und müssen, verzichtete der Senat
jedoch darauf. Der gesamte Bahnbau wäre dann nicht nur billiger gewesen -
alles hätte in einem Zug gebaut werden können - auch die Inbetriebnahme der
S-Bahn hätte spätestens mit Abschluß der Bauarbeiten 1997 erfolgen können. Da der
Senat aber nicht in der Lage und willens war, die Unterlagen für die
Planfeststellung der S-Bahn ebenfalls rechtzeitig abzuschließen, wurde diese
einmalig günstige Chance vertan. Das Ergebnis ist sichtbar: Bis heute ist
das Planfeststellungsverfahren für die S-Bahn nach Falkensee nicht eingeleitet
worden, der Bund nimmt sukzessive seine Finanzierungszusagen zurück, und
obendrein erklärt die Senatsverkehrsverwaltung die S-Bahn Spandau Falkensee
überflüssig,
weil dort ja eine Regionalbahn im 60-Minuten-Abstand fahren soll. Im
Medien-Info vo 12.4.1995 erklärt nämlich die Senatsverkehrsverwaltung:
"Die Lücken Spandau - Falkensee und
mLichterfelde Süd - Teltow Stadt werden demächst durch die Regionalbahn
bereits geschlossen, im Spandauer Bereich bereits Mai 95 und in
Lichterfelde mit Fertigstellung der Anhalter Bahn, voraussichtlich 97/98,
so daß in diesen Abschnitten die Gleichstrom-SBahn dadurch
substituiert sein würde und erst
später baulich in Angriff genommen wird. Unter dieser Voraussezung werden
für die Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Netzes keine empfindlichen Defizite
erkennbar. Die wichtigen Lückenschlüsse sinf damit alle abgedeckt."
Kardinalfehler Nr. 8: BAB Neuköln wichtiger als S-Bahn-Ringschluß
Mit dem Lückenschluß der zwische Neukölln und Treptower Park hätte schon 1991
begonnen werden können, weil es auch oberste Priorität der rot-schwarzen
Koalition war, die: Lücke schnellstmöglich wieder zu schließen. Die
Verkehrsverwaltung zögerte aber mit der Erstellung der notwendigen
Planunterlagen, weil ihr erst Ende 1994 definitiv bekannt war, wie groß der
Querschnitt für die Straße "Am Treptower
Park" sein würde. Der Querschnitt dieser Straße war abhängig von der Planung
für die Verlängerung der Neuköllner Autobahn nach Treptow. Selbstverständlich
hätte man auch an dieser Stelle - wie z. B. bei der S-Bahn-Verbindung
Wannsee - Potsdam über den Teltowkanal - mit einer Behelfsbrücke diese
lanungsunsicherheit provisorisch beseitigen können. Die Senatsverkehrsverwaltung
zog es jedoch vor, überhaupt nicht zu reagieren. Noch am 17.3.1994
sagte anläßlich eines Ortsterrnins des Verkehrsausschusses Nordkreuz der
Leiter des Regionalbereichs Netzprojekte, Herr Dipl.-Ing. Beiche: "Die Bahn
wartet auf die Mitteilung der Abmaße für das Brückenbauwerk über die Straße Am
Treptower Park".
Mittlerweile ist das Planfeststellungsverfahren eingeleitet worden, mit den
Bauarbeiten ist aber auch im Mai 1995
noch nicht begonnen worden. Ein Zeitpunkt, den Bausenator Nagel anläßlich der
Eröffnung des Südrings im Dezember 1993 als Inbetriebnahmedaturn vorgesehen
hatte.
Kardinalfehler Nr. 9: Nordring-Gelder wurden nicht abgerufen
Die rotschwarze Koalitionsmehrheit hat für den Haushalt 1992 extra 40 Mio DM
für die Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Nordrings von Westend nach Jungfernheide zur Verfügung
gestellt um den schnellstmöglich an die U anbinden zu können. Bis heute ruhen
auch auf diesem Teilstück die Bauarbeiten, wobei es schon 1993 hätte
fertiggestellt werden können. Gelder waren vom Abgeordnetenhaus
zur Verfügung gestellt worden, die Planungshoheit für die S-Bahn hatte
bis 31.12.1993 der Senat. Alle Beteiligten wollten die schnellstmögliche
Wiederherstellung des S-Bahn-Rings. Auf dem Ring war es anders als bei
den Strecken nach
Hennigsdorf oder Falkensee auch allen
Beteiligten klar, daß hier nur eine Gleichstrom-S-Bahn in
Frage kommt. Wo diese 40 Mio DM geblieben sind, und warum sie nicht
abgerufen worden sind, ist unbekannt. Verkehrssenator Haase waren
diese Chancen Für die Berliner S-Bahn einfach gleichgültig. Er
kümmerte sich lieber um die Aufhebung von Tempo 30-Zonen und
Busspuren oder die
Umbenennung von Straßennamen.
Kardinalfehler Nr. 10: 200 Mio DM Verlust wegen fehlender Planung
Da Berlin über keine ausreichenden Planungen fir die S-Bahn verfügte,
wurden 1992 25 Mio DM und 1994 150 Mio DM an Bonn zurückgegeben. Inklusive
der dafür notwendigen Komplementärmittel gingen so der S-Bahn insgesamt
ca. 200 Mio DM verloren. Über diese Gelder freuten sich andere Kommunen, die
vielfältige Schubladenprojekte auf Halde hatten und dank der Berliner
Rückgabe diese verwirklichen konnten. Eigentlich hätte es in Berlin so
sein müssen (die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat in den vergangenen Jahren
immer wieder darauf hingewiesen), daß durch umfangreiche Schubladenprojekte
- vor allem zum Wiederaufbau stillgelegter Strecken - nicht benötigte
Gelder andere Kommunen für
Berlin gewonnen worden wären. Unbegreiflich ist, daß Strecken in Berlin
stilliegen, für deren Wiederherstellung keine Planfeststellungsverfahren
notwendig sind, daß projektierte Bahnhöfe wie Oderstraße oder Kolonnenstraße
allein aus finanziellen Gründen immer wieder zurückgestellt werden müssen,
daß es noch weiterhin Bahnhofszugänge gibt, die seit dem Mauerbau
geschlossen sind und daß selbst im Bau befindliche Maßnahmen wie Wartenberg
Sellheimbrücke und Westkreuz - Spandau - Falkensee nicht realisiert werden.
Dies ist die Bilanz des Senats nach fast 5-jähriger Regierungstätigkeit in Sachen S-Bahn:
Kein neues Projekt ist begonnen worden. Gerade mal die Maßnahmen, die der
rot-grüne Senat eingeleitet hatte, sind abgeschlossen worden.
Fazit
Aufgeschreckt durch den Tagesspiegel-Artikel vom 12. April 1995 und der
am selben Tag stattfindenden Sitzung des Verkehrsausschusses, auf der
S-Bahn-Chef Nawrocki das S-Bahn-Betriebs- und Finanzkonzept vorstellte, ist der Öffentlichkeit
klar geworden, daß die S-Bahn-lnvestitionsmittel gegenüber der Aussage
von 1993/94 mehr als halbiert worden sind. Deshalb sahen sich der Senat
und die ihn tragenden Parteien plötzlich genötigt, aufzuwachen und
Stellung zu nehmen. Aus Peking meldete sich der Regierende Bürgermeister,
die SPD-Spitzenkandidatin Stahmer glaubte auch, sich äußern zu müssen, die
Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD beschäftigten die Medienöffentlichkeit
ebenfalls. Für den 10. Mai 1995 wurde von der Großen Koalition sogar eine
Sondersitzung des Verkehrsausschusses über die S-Bahn-Finanzierung
beantragt, aber inzwischen schon wieder auf den 31. Mai verschoben.
Obwohl die Fakten seit mehr als einem halben Jahr bekannt sind und der
Senat in Gänze wie auch die Parteien CDU und SPD fast viereinhalb Jahre
geschlafen haben (die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Grüne bezüglich der
schnellstmöglichen Wiederinbetriebnahme von S-Bahn-Strecken datieren aus dem
Jahr 1991), will man jetzt der Öffentlichkeit Aktivität vorgaukeln. Diese
rhetorischen Kraftanstrengungen können jedoch nicht über die organisierte
rot-schwarze Tatenlosigkeit in Sachen S-Bahn hinwegtäuschen. Denn fast nostalgisch
mutet es an, den Landespressedienst vom 14.6.1991 zu lesen. Auf seiner
ersten Pressekonferenz kündigte Senator Haase u.a. die Schließung des
S-Bahn-Rings 1995 (!) an. Stattdessen gab es mit Ausnahme des auch damals
schon im Bau befindlichen Südrings auf dem Ring bis heute einen fünfjährigen
Baustopp. So wird nicht nur der Stau nicht aufgelöst; so bleibt auch
gespalten, was zusammnengehört.IGEB
|