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Eine für Berliner Verhältnisse ungewohnt offensive und zugleich humorvolle
Werbekampagne präsentierte die S-Bahn Berlin GmbH zur Wiederinbetriebnahme
der S-Bahn nach Tegel und Lichterfelde Ost. Umso bedauerlicher war, daß nicht nur am
Eröffnungstag mit seinen erfreulich vollen Zügen, sondern auch nach dem 28. Mai nur
ein Teil der Züge fahrplanmäßig fuhr. Warum hat der Betreiber, die S-Bahn Berlin GmbH, versagt?
Wer so fragt, zeigt, daß er die komplizierten Zuständigkeiten bei der Berliner
S- Bahn (verständlicherweise!) noch nicht durchschaut, denn für viele der
Ärgernisse ist der Betreiber nicht verantwortlich.
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Dieses Bild vom 19. Juni veranschaulicht in mehrfacher Hinsicht das betriebliche Durcheinander in den ersten Wochen nach der S-Bahn-Wiederinbetriebnahme. Foto: Marc Heller |
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Die lange Liste der Mängel fing schon mit den Hinweisen auf den Bahnhöfen an: Entweder
war die Beschilderung zu den beiden neuen Linien S25 (Lichterfelde Ost - Tegel)
und S26 (Lichterfelde Ost - Waidmannslust) unvollständig oder gar nicht vorhanden.
Das ärgert auch den Betreiber, denn hier hatte der Geschäftsbereich Personenbahnhöfe der
DB AG die Wiederinbetriebnahme "verschlafen". Nachdem zur Südring-Eröffnung
Ende 1993 voreilig Umsteigehinweise zu S25 nach Lichterfelde Süd ausgehängt worden
waren, wurde jetzt auf den bisher schon betriebenen Bahnhöfen von Priesterweg bis Schönholz
fast gar nichts getan. Erst seit Juni werden ganz allmählich die neuen Linienhinweise aufgehängt
- und die sind z.T. leider schon wieder veraltet (siehe unten).
Fragwürdig ist auch der Einfall, auf den Glasscheiben der Zugzielanzeiger die Schrift in
Buchstaben aufzukleben. statt sie in bewährter Weise in das Milchglas zu kratzen. So
sind jetzt zwar alle potentiell anfahrbaren Zugziele auf einen Blick zu erfassen, wohin
aber der gerade einfahrende Zug fährt, ist bei Tageslicht nur schwer zu erkennen.
Abzuwarten bleibt auch, wie lange die Klebebuchstaben halten. Immerhin wurde
mit dem Unfug Schluß gemacht, Zugziele wie "Richtung Blankenfelde" anzugeben.
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S-Bahn-Wiederinbetriebnahme am 28. Mai mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen als einem Redner. An solchen Tagen entdecken alle Politiker ihr Herz für den öffentlichen Nahverkehr, insbesondere in Wahljahren. Es sind dieselben Politiker, die tatenlos zusehen, wie die im November 1993 vom Bundesverkehrsminister versprochenen 8,9 Millarden DM für die Berliner S-Bahn Millarde um Millarde gekürzt werden. Foto: I. Schmidt |
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S-Bahnhof Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, ehemals Wittenau (Kremmener Bahn), auf der eingleisig wiederhergestellten Strecke zwischen Schönholz und Tegel. Die Schönheit dieses für die Berliner S-Bahn typischen Bahnsteigdaches werden die Fahrgäste wohl noch viele Jahre genießen können, denn es gibt wichtigere Projekte als die Verschiebung des S-Bahnhofs zum nahegelegenen gleichnamigen U-Bahnhof auf der U8-Nord. Foto: I. Schmidt |
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Trotz mehrwöchiger Probefahrten gab es zu Beginn des Fahrgastbetriebes große Probleme. Schon am 29. Mai überwog diese Anzeige. Foto: I. Schmidt |
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Dadurch verpaßten viele Fahrgäste am S-Bf Tegel den Bus 224 nach Hennigsdorf. Inzwischen klappen die Anschlüsse besser. Dennoch sind viele Fahrgäste je nach Gemüt enttäuscht oder sauer, daß noch nicht einmal mit den vorbereitenden Arbeiten zur Weiterführung der S-Bahn nach Hennigsdorf begonnen wurde. Foto: I. Schmidt |
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Weil die Verlängerung über Tegel hinaus nach Hennigsdorf erst für 1998 geplant ist, wäre ein ebenerdiger Ausgang zwischen den Gleisen nach Norden zur Gorkistraße sinnvoll gewesen. Daß soch eine kostengünstige und fahrgastfreundliche Lösung sogar als Dauerlösung möglich ist, zeigt das abgebildete Beispiel vom S-Bf Grünbergallee. Foto: I. Schmidt |
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Keine Werbung für die S-Bahn sind diese Hinweisschilder. Foto: Marc Heller |
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Dafür ist zwar der Geschäftsbereich Personenbahnhöfe der DB AG verantworlich, aber das interesiert die Fahrgäste nicht. Sie haben wenig Verständnis dafür, daß noch einen Monat nach der S-Bahn-Wiederinbetriebnahme und den damit verbundenen Linienänderungen veraltete Hinweistafeln hängen, so z.B. auf dem wichtigen Bf. Friedrichstraße (oben) und - besonders kurios - nur zur Hälfte aktualisierte Tafeln am S-Bf Bornholmer Straße. Foto: Marc Heller |
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Keine gute Idee war die Umstellung der Zugzielanzeiger auf Schwarze Schrift über weißem Grund. Es muß nicht einmal die Sonne scheinen. Ein heller Tag genügt, um - wie hier auf dem S-Bf Bornholmer Straße - nicht mehr erkennen zu können, welche Lampe leuchtet, sprich: wohin der Zug fährt. Foto: Marc Heller |
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Verschiedentlich hat die S-Bahn Berlin GmbH aber auch mit Sünden der Senatsbauverwaltung
zu kämpfen. Unverständlich sind z.B. die für viel Geld auf den Stationen der
Kremmener Bahn errichteten Zäune, die den größten Teil der Bahnsteige unzugänglich
machen und den Fahrgästen ein leicht beengendes Käfiggefühl vermitteln. Viel gravierender aber ist
der eingleisige Abschnitt auf der Anhalter Bahn im Bereich des Teltowkanales, der von
der Senatsbauverwaltung noch verlängert wurde, so daß sich Verspätungen in der einen
Richtung sofort auf die Gegenrichtung auswirken. Wer in Lichterfelde Ost die S-Bahn knapp
verpaßt, kann dort nicht nur die Rücklichter des abfahrenden Zuges sehen, sondern
auch, wie der Zug kurz hinter dem Bahnsteig wieder zum Stehen kommt, um auf einen
verspäteten Gegenzug aus Lankwitz zu warten.
Das Überlagern von nun drei Linien (S2, S25 und S26) mit eingleisigen Streckenabschnitten
(Lichtenrade - Blankenfelde, Schönholz - Tegel und im Bereich Lankwitz) sei, so der
S-Bahn-Betreiber, dei Hauptursache für die große Störanfälligkeit des neuen
Angebotes auf der Nord-Süd-S-Bahn - ein Mißstand, der sich nur mit großem
Bauaufwand beheben ließe. Mit im Vergleich dazu geringem Aufwand wäre
aber eine andere "Sünde" gutzumachen: der zu große Signalabstand auf der
vierten Nord-Süd-S-Bahn-Linie, der
Wannseebahn. Zur Erinnerung: Weil BVG und Senat die
Wannseebahn mit der modernsten Zugsicherungstechnik ausrüsten wollten
(EZS 800), deren Entwicklung vom Hersteller aber nicht abgeschlossen werden
konnte, passierte gar nichts - bis heute. Deshalb fehlen noch immer Signale zwischen
Yorckstraße und Feuerbachstraße sowie westlich von Zehlendorf, so daß während
des täglichen 10-Minuten-Taktes weder ein Ausgleichen von Verspätungen noch das
Zwischenschieben von Überführungsfahrten möglich sind - vom wünschenswerten
Fünf-MinutenTakt im Berufsverkehr ganz zu schweigen. Hinzu kommt, daß mit der von der
BVG zu verantwortenden Stillegung des Stellwerks Sgr nicht nur das Ausfahrsignal
in Schöneberg enrfiel, sondern auch die (kürzlich mit Millionenaufwand erneuerte)
Kehranlage praktisch unbenutzbar wurde. Hier wäre mit einfachen Mitteln eine
Verbesserung zu erreichen, doch ist der Geschäftsbereich Netz der DB AG zuständig,
die S-Bahn Berlin GmbH ist auch hier nur Bittsteller.
Mit neuen Signalanlagen ist das allerdings so eine Sache: Von den schon notorischen
Anfangsschwierigkeiten blieben auch die neuen Ks-Signale auf der S25 nicht verschont.
Trotz relativ reibungslosem Probebetrieb gab es nach Aufnahme des Fahrgastverkehrs
anfangs fast täglich Signalstörungen. Anscheinend ist es heutzutage nicht mehr möglich,
funktionierende Signalanlagen zu installieren die traurigen Erfahrungen mit
Westkreuz, Potsdam - Madgeburg und Altona fanden auf der S25 ihre Fortsetzung.
Verstärkt wurde die Anfälligkeit des Fahrplanes auf den Nord-Süd-Strecken auch durch
die neue Fahrplangestaltung auf der S l. So erfreulich die auch vom Berliner
Fahrgastverband IGEB geforderte Straffung des Fahrplanes ist, so erweist sich nun, daß
die Herausnahme von gleich 5 bis 6 Minuten zwischen Berlin-Wannsee und Oranienburg
möglicherweise doch zu viel war. Noch mehr Probleme verursacht die Verlagerung der
fahrplanmäßigen Zugbegegnung von Frohnau nach Hohen Neuendorf - und damit an das
stadtauswärtige Ende dieses eingleisigen Abschnittes. Da die Züge aus der Stadt häufiger
verspätet sind, als die vom Endbahnhof kommenden, sollten solche Begegnungen
immer am stadteinwärtigen Ende einer eingleisigen Strecke liegen, um die Verspätungen
nicht auch noch auf den Gegenzug zu übertragen.
Das Faß zum Überlaufen brachte dann ein Schaden an den Yorckbrücken - auch dieser
nicht durch die GmbH verursacht, sondern durch einen Lkw, und nicht durch die
GmbH zu beheben, sondern durch den Geschäftsbereich Netz der DB AG. Die durch
den Autounfall erzwungene Langsamfahrstelle, die noch unbestimmte Zeit nötig sein
wird, machte den Fahrplan endgültig zur Makulatur.
Unter diesen Umständen war es nachvollziehbar, daß der S-Bahn-Betreiber entschied,
die Linie S26 vorübergehend von Waidrnannslust nach Anhalter Bahnhof zurückzuziehen.
(Tatsächlich kehren die Züge in Potsdamer Platz, wo der Bahnsteig aber nicht für
Fahrgäste nutzbar ist.) Damit gelang es, die nun statt sechs Zuggruppen innerhalb von
20 Minuten weitgehend pünktlich durch den Nord-Süd-Tunnel fahren zu lassen. Nicht nachvollziehbar ist
aber, warum die Züge der S2 nicht als Ersatz für den Nordabschnitt der S26 über
Nordbahnhof hinaus bis Waidmannslust durchgezogen werden. Nicht verständlich und
ebenfalls allein von der S-Bahn GmbH zu verantworten ist auch die anfangs völlig
unzureichende und jetzt noch immer verbesserungsbedürftige Information der Fahrgäste
über die Änderungen.
Unter diesen Umständen besonders erfreulich ist die über den Erwartungen liegende
Besetzung der Züge nach Tegel. Nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint nun auch
der Anschluß zum "S-Bahn-Vorlaufverkehr" nach Hennigsdorf, zur BVG-Buslinie 224, zu
klappen der dank des Reinickendorfer Baustadtrates bisher einzigen Buslinie, die zum
Bahnhofsvorplatz fährt. Unakzeptabel sind aber die Betriebs- und Taktzeiten dieser
Linie. Ein sonntäglicher Stundentakt und eine letzte Fahrt ab Tegel um 22.04 Uhr sind
kein attraktives Angebot. Wer aus Hennigsdorf zum Kneipen- oder Theaterbesuch nach
Berlin fährt oder einen Sonntagsausflug in den Berliner Zoo machen will, dem kann
man nur abraten, sich auf diese Buslinie zu verlassen. Hier sollte man doch erwarten,
daß vor allem abends zu jeder S-Bahn ein Anschlußbus bereit steht, solange die
Schienenverbindung nach Hennigsdorf immer noch unterbrochen ist.
Noch nicht zufrieden ist man bei der S-Bahn GmbH mit der Besetzung der Züge
nach Lichterfelde Ost. Doch bekanntlich dauert es rund ein Jahr, bis Fahrgäste ein
neues Angebot in vollem Umfang annehmen, insbesondere bei derartig
vielen Startschwierigkeiten des Betreibers - auch wenn dieser sie nur zu einem geringen
Teil zu Verantworten hat. Denn es interessiert die Fahrgäste überhaupt nicht, ob der
DB-Geschäftsbereich X oder die Senatsverwaltung Y Schuld sind, sie erwarten regelmäßige und
pünktliche Züge - und zwar vom Betreiber. Damit muß die S-Bahn GmbH leben.
Kurzfristig scheint es nur eine sinnvolle Lösung zu geben: Um den Fahrplan nicht
innerhalb der Fahrplanperiode zu ändern, dürfen auf der S l und der S25 nur noch
Neubaufahrzeuge eingesetzt werden. Ihre Schnelligkeit bietet die Chance, kleine
Verspätungen innerhalb des vorhandenen Fahrplanes wieder "herauszufahren". IGEB
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