Die Parameter des Fahrtenangebots sind
an die Vorgaben des Nahverkehrsplans für
die Jahre 2006 bis 2009 angelehnt. In Anlage
1 Teil 3 der Verkehrsvertrages werden
sie explizit erwähnt: Demnach muss in einem
Gebiet mit weniger als 7000 Einwohnern
bzw. Beschäftigen je km² spätestens
nach 500 Metern Fußweg eine Haltestelle
erreichbar sein. Dies soll für 96 Prozent
der Menschen dieser Gebiete gelten. Für
Gebiete mit dichterer Bebauung gelten
höhere Standards.
Mindesttakt 20 Minuten
Des Weiteren ist exakt festgelegt, wie häufig
ein Verkehrsmittel fahren muss (mindestens
alle 20 Minuten) und dass die Reisezeit ins
Stadtzentrum maximal 40 Minuten für 95
Prozent aller Verkehrsbeziehungen betragen
darf. Somit würde eine massive Streichung
von Linien am Stadtrand, wie sie derzeit
in Berlin diskutiert wird, zu einer Abkehr
von diesem Standard führen.
Anlage 9 des Vertrages verweist direkt
darauf, dass im Falle einer Fortschreibung
des Nahverkehrsplans 2006-2009 die
Werte des neueren Plans anzuwenden
sind. Zwar haben der Berliner Senat im
November 2009 und das Abgeordnetenhaus
im Juli 2010 die Eckpunkte des Nahverkehrsplans
für die Jahre 2010 bis 2014
beschlossen, aber bekanntlich hat sich
Finanzsenator Ulrich Nußbaum bereits
vor den Abgeordnetenhauswahlen 2011
verweigert, den fertig ausgearbeiteten
Entwurf des
neuen Nahverkehrsplans, der
im Wesentlichen die vertraglich vereinbarten
Leistungen fortschreiben sollte, zu
unterschreiben.
Die Regierungsparteien SPD und LINKE
waren leider nicht in der Lage, ihre Nahverkehrspolitik
gegen den parteilosen Finanzsenator
durchzusetzen.
Auch im neuen SPD-CDU-Senat hält der
Finanzsenator an seiner Ablehnung des
Nahverkehrsplans 2010-2014 fest. Deshalb
hat der Berliner Senat entschieden, den
ausgearbeiteten Entwurf zu verwerfen
und einen neuen Nahverkehrsplan aufzustellen,
für den Senator Nußbaum bereits
eine Senkung der Standards angekündigt
hat. Damit bleibt trotz Verkehrsvertrag offen,
wie sich das BVG-Angebot in Zukunft
entwickeln wird.
Finanzierung
Die BVG hat einen
sogenannten Nettovertrag.
Das heißt,
dass die erzielten Fahrgeldeinnahmen der
BVG und nicht dem Besteller zustehen. Somit
hat sie einen direkten Anreiz zur Erzielung
hoher Fahrgeldeinnahmen. Und hier
kann die BVG eine sehr erfolgreiche Entwicklung
vorweisen. Einhergehend mit den
in den letzten Jahren deutlich gestiegenen
Fahrgastzahlen stiegen die Fahrgelderträge
(unter Einbeziehung der gesetzlich geregelten
Ausgleichszahlungen für Schülertarifabsenkung
und Schwerbehindertenfreifahrt
sowie Sozialticket) seit Vertragsstart im Jahr
2008 von 492 Mio. Euro auf 548 Mio. Euro
im Jahr 2011. Diese Entwicklung ist deutlich
positiver, als bei Vertragsabschluss erwartet
und dem Vertrag zu Grunde gelegt wurde.
Gemäß Verkehrsvertrag erhält die BVG
jährlich einen Zuschuss in Höhe von 75 Mio.
Euro als Bestellentgelt für den Betrieb und
175 Mio. Euro für Vorhaltung und Betrieb
der Infrastruktur. Aufgrund vertraglicher
Regelungen zum Inflationsausgleich unterliegen
diese Zahlungen seit 2011 einer
Preisgleitungsregelung, die zukünftig voraussichtlich
zu jährlichen Anpassungen der
Zahlungen führen wird.
Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die
BVG ergänzend zu den vertraglichen Regelungen
für Investitionszwecke jährlich weitere
Zuschüsse für Neuinvestitionen in die
Infrastruktur erhält. Diese Sonderfinanzierungen
sind in den letzten Jahren nicht zuletzt
wegen der dem Land Berlin zusätzlich
zur Verfügung stehenden einbehaltenen
S-Bahn-Gelder deutlich angestiegen und
erreichten 2011 über 150 Mio. Euro.
Wie es nun weitergeht, ist völlig offen. Die
BVG hat für die Erbringung der Leistungen
gemäß Verkehrsvertrag einen Mehrbedarf
von derzeit 44 Mio. Euro pro Jahr ermittelt.
Sie hält es zwar für möglich, 20 Prozent
durch Einsparungen ohne Auswirkungen
auf die Fahrgäste zu erbringen, der Rest
müsse aber vom Finanzsenator aufgebracht
werden, wenn der Verkehrsvertrag eingehalten
und die Verschuldung der BVG nicht
weiter steigen soll. Senator Ulrich Nußbaum
lehnt das jedoch ab und erwartet von der
BVG Einsparungen auch zu Lasten des Verkehrsangebotes.
Was interessieren mich meine
Worte von 2009
Ob BVG-Finanzierung oder Nahverkehrsplan
– vor drei Jahren hatte Senator Nußbaum
noch ganz andere Auffassungen.
Am 6. Juli 2009 meldete der Berliner Tagesspiegel:
„Für einen ‚deutlich höheren
Landeszuschuss‘ an die BVG hat sich Finanzsenator
Ulrich Nußbaum (parteilos)
ausgesprochen. Die gezahlten 250 Millionen
Euro pro Jahr reichten nicht aus, um
die BVG wirtschaftlich zu führen, sagte
Nußbaum, der BVG-Aufsichtsratsvorsitzender
ist.“ Und einen Tag später berichtete
der Tagesspiegel: „Der Vorschlag
des Finanzsenators Ulrich Nußbaum, den
Landeszuschuss für die Berliner Verkehrsbetriebe
‚deutlich zu erhöhen‘, stößt in
den Regierungsfraktionen teilweise auf
Zustimmung. (…) ‚Das ist ein Fortschritt
gegenüber der Politik, die der vorherige
BVG-Aufsichtsratschef Thilo Sarrazin betrieben
hat‘, sagte der SPD-Verkehrsexperte
Christian Gaebler.“ Gaebler ist heute
Verkehrsstaatssekretär beim Senator für
Stadtentwicklung und Umweltschutz.
Finanzsenator verweigert Unterschrift
Ähnlich ist der Wandel des Finanzsenators
beim Nahverkehrsplan. Mit einer Pressemitteilung
des Landes Berlin sei daran erinnert,
dass Nußbaum noch vor drei Jahren
die Inhalte des Nahverkehrsplans im Senat
mittrug, die er nun seit 2011 bekämpft. Die
Landespressestelle meldete am 10.11.2009:
„Berlin entwickelt sein öffentliches Nahverkehrsnetz
kontinuierlich weiter. Dazu wird
der Nahverkehrsplan in Mehrjahresabständen
durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
aktualisiert. Der aktuell gültige
Nahverkehrsplan läuft Ende 2009 aus. Die
Fortschreibung des Plans bis zum Jahr 2014
hat bereits begonnen. In seiner heutigen
Sitzung hat der Senat dazu auf Vorlage von
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-
Reyer die Eckpunkte zum Nahverkehrsplan
2010-2014 beschlossen. (…) Bewährte
Vorgaben des alten Nahverkehrsplans sollen
beibehalten werden. Dies betrifft etwa die
hohen Erschließungsstandards (…).“
Das Land Berlin hat 2007 mit der BVG einen „Verkehrsvertrag über
die Erbringung von Verkehrs- und Infrastrukturleistungen der Verkehrsmittel
U-Bahn, Straßenbahn, Bus und Fähre in Berlin in der
Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. August 2020“ geschlossen (siehe
SIGNAL 6/2007 ). In diesem sind Rechte, Pflichten sowie deren
Finanzierung geregelt. Die genauen Details der dort getroffenen
Regelungen waren der Öffentlichkeit bisher jedoch nicht zugänglich
(siehe SIGNAL 2/2012 ).
Seit Anfang dieses Jahres ist der Vertrag mit Anlagen auf einer
privaten Internetseite verfügbar
unter http://personal.crocodoc.com/5SWQH5L
Die Verkehrsverträge mit der S-Bahn sind beim Land Berlin einsehbar
unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/oepnv/s_bahn Berliner Fahrgastverband IGEB
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