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1972 für den Sprechfunk im Störungsfalle eingeführt, hat sich das bei den
Züricher Verkehrsbetrieben verwendete datengesteuerte Funkleitsystem laut
dem Vize-Direktor Horst Schaffer zum
"unverzichtbaren Betriebsführungsinstrument" entwickelt. Nach Schaffers
Darstellung sind sämtliche Busse und
(Straßen-)Bahnen an eine automatische
Standortermittlung angeschlossen.
Etwa alle 12 Sekunden aktualisieren die
Computer der Leitstelle die Ist-Standorte sämtlicher Kursfahrzeuge der
"Züri-Linie", vergleichen diese mit den
Soll-Standorten gemäß Fahrplan und
senden in gleicher Kadenz die Fahrplanabweichungen an die Kursfahrzeuge
zurück, wo sie im Führerstand angezeigt werden. Diese Flut von aktuellen
Betriebsdaten wird darüber hinaus gespeichert und gezielt ausgewertet.
Schaffer: "Damit wird es möglich, realistische Fahrplanvorgaben zu erarbeiten,
die Stadtpolizei bei der Justierung der
Lichtsignalanlagen zu unterstützen und
Politiker von der Notwendigkeit von
Beschleunigungsmaßnahmen zu überzeugen. Durch die konsequente
Nutzung dieser vielfältigen Möglichkeiten
konnte die Regelmäßigkeit des Betriebs
trotz Behinderungen durch den Privatverkehr deutlich gesteigert werden."
Solche positiven Erfahrungen überzeugten auch die BVG. Die Berliner
Studiengesellschaft Nahverkehr (SNV)
wurde beauftragt, sich auf dem Markt
der Anbieter nach möglichen technischen Lösungen für ein den Berliner
Verhältnissen angepaßtes elektronisches Betriebsleitsystem umzusehen.
Zunächst möchte die BVG in einer
neuen Leitstelle per Computer rergistrieren, wo sich ein Bus gerade befindet und wie groß
die Abweichung vom
Fahrplan ist. Geht es nach einer schon
vor rund zwei Jahren erstellten Wunschliste der BVG-Betriebsabteilung
“Oberfläche”, kann künftig über Datenfunk automatisch der jeweilige
Standort sämtlicher Busse erfaßt werden. Zu diesem Zweck will man, wie in
Zürich vorexerziert, in allen großen und
kleinen “Gelben" winzige elektronische
Displays installieren, die den Fahrerinnen und Fahrern sowie der Leitstelle
sekundengenau die Abweichungen vom
Fahrplan aufzeigen. Ein wesentlicher
Vorteil laut dem für die Busse zuständigen BVG-Abteilungsleiter Wolfgang
Jähnichen: "Das System kann dann anhand der Fahrpläne beispielsweise errechnen,
wie lange ein Wagen an den
Umsteigepunkten festgehalten werden
kann, ohne daß durch eine Art Dominoeffekt alle anderen Anschlüsse kaputtgehen."
Jähnichen zufolge wäre das
Leitsystem ebenso in der Lage, die
momentan auf der Linie 92 in Spandau
getestete "Grüne Welle" für Busse zu
optimieren. So bestünde die Möglichkeit, daß verspätet an Anforderungsampeln
heranfahrende Busse sich vor anderen das "Grün"-Signal verschafften.
Für die Fahrgäste ärgerliche Verspätungen sollen indes mit Hilfe der Elektronik
überhaupt so weit wie möglich
ausgeschlossen werden. Ohne auf einen
festen Fahrplantakt verzichten zu müssen, ließe sich dieses Ziel künftig durch
die rechnergestützte Entwicklung von
realistischeren Fahrzeitvorgaben erreichen, so die enthusiastischen BVG-Planer.
Konkrret ist daran gedacht, die den
Fahrerinnen und Fahrern vorgegebenen Zeiten besser an die zu unterschiedlichen Tageszeiten
auf bestimmten Streckenabschnitten tatsächlich realisierbaren Fahrzeiten anzupassen. Das
hieße unter Umständen, daß Busse und
Bahnen von der morgendlichen rushhour bis zu den Schwachverkehrszeiten
am Abend über den Tag verteilt nach
vielleicht vier, fünf oder sechs variierenden Fahrplänen fahren. Die heute üblichen
Tages-, Nacht-, Wochenend- und
Feiertagsfahrpläne, die im Busnetz oft
zu Verspätungen führen oder aber die
Fahrer zwingen, zwischen Haltestellen
unnötig zu schleichen, fielen weg.
"Dampfleitstellen" statt Computer
Obwohl heute in Berlin (West) auf
knapp 1,000 Kilometem Straßenlänge
immerhin 83 Buslinien durch das halbstädtische Verkehrsgewühl zu
dirigieren sind, muß sich die BVG im Oberflächenverkehr derzeit noch mit so
geheißenen "Dampfleitstellen" begnügen.
Nirgendwo erleichtern Rechner die Arbeit der Disponenten. Meldet sich ein
Busfahrer über Datenfunk, wird lediglich seine Busnummer automatisch auf
einem Display angezeigt. Der zuständige Abteilungsleiter Jahnichen: "Jetzt
kann der Fahrer rein theoretisch sagen,
ich bin in Heiligensee. In Wirklichieit
ist er in Spandau - und wir merken’s
nicht." Vorsintflutlich müssen die routinemäßigen Meldungen per Bleistift
oder Kugelschreiber auf Vordrucken
vermerkt werden, sind Anschlüsse noch
per Hand aus dem Fahrplanheft herauszusuchen. Dagegen würden Rechner
den Chauffeuren auch die Sprechfunkdurchsagen über Staus und hinderliche
Verkehrsunfälle ersparen. Jähnichen:
"Dann gibt es eine ausgedruckte Weg-Zeit-Erfassung, und ich weiß das erst
einmal sofort."
Immerhin wurde das gute alte Sprechfunksystem im Zuge der Umstellung
des Bus-Nachtliniennetzes im Mai 1987
noch einmal so weit als möglich zur Sicherstellung der Anschlüsse von Bus
und Bahn perfektioniert. An wichtigen
Knotenpunkten wie beispielsweise den
U-Bahnhöfen Walther-Shhreiber-Platz
oder Rathaus Spandau müssen sich die
ankommenden Nachtbusfahrer per
Funk bei der Leitstelle melden und dürfen auf ein Signal hin erst weiterfahren,
wenn die Fahrgäste zwischen der eingelaufenen Bahn und dem Bus umsteigen
konnten. Eine entsprechende Verpflichtung haben auch die ab 20 Uhr im
20-minütigen Spätverkehr eingesetzten
Busfahrer, so sie bestimmte Umsteigepunkte erreichen. Da freilich nur eine
akustische Ouerverbindung zur Leitstelle für die Bahnen besteht, kann die
BVG mit dieser Lösung nicht alle Anschlüsse sicherstellen. Als temporären
"Mini-Ersatz" für die fehlende RBL-Technik will sie laut Jähnichen in vermehrter Zahl an
Bahnhöfen gelbe Anschlußleuchten installieren, die für Busfahrer das
Eintreffen eines Zuges signalisieren. Die von den Zugabfertigern
jedesmal manuell in Gang zu setzenden
Leuchten gibt es schon an mehreren
Bahnhöfen, so am U-Bahnhof Parchimer Allee und am S-Bahnhof Frohnau.
Kommt das RBL, sind diese Provisorien indes verlorene Investitionen.
Als wichtigste Ausgangskomponente
des geplanten Betriebsleitsystems gilt
dagegen ein zur Zeit auf einem U-Bahnhof erprobtes Zugidentifizierungssystem (ZIS).
Mit dem der Orts-, Fahrzeug- und Fahrererfassungen dienenden elektronischen Sytem, das auch
übermittelt, wie lang ein Zug ist und ob
ggf. technische Störungen vorliegen,
soll vielleicht schon im nächsten Jahr
die U-Bahn-Linie 7 ausgerüstet werden.
Bewährt sich die Technik, könnte, wie
Bahnbetriebsleiter Erich Kratky erläuterte, schon in sieben bis acht Jahren
nach und nach das gesamte U-Bahn-Netz auf das "ZIS" umgestellt sein.
Hinsichtlich der Fülle von verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten eines
neuen Leitsystems wollen die BVG-Planer eigentlich “nichts ausschließen". Zu
den ersten Schritten wird, so heißt es,
die datenmäßige Erfassung des sogenannten Quelle-Ziel-Verkehrsaufkommens, oder,
einfacher ausgedrückt, der
Kundennachfrage auf allen Bus- und
Bahnlinien gehören. Was die Busse betrifft, verweist man auf automatische
Verfahren, mit denen sich nicht nur die
Fahrzeiten und -wege, sondern auch
der Türstatus (geöffnet, geschlossen)
und die ungefahre Fahrgastbesetzung
messen lassen. Dabei läßt sich der
Grad der Besetzung eines Busses entweder über Lichtschranken oder
Trittstufenkontakte feststellen. Für wahrscheinlich in absehbarer Zeit noch nicht
technisch durführbar hält Betriebsleiter
Kratky dagegen ein ähnliches Verfahren bei S- und U-Bahnen. Die Züge
müßten dazu eine Luftfederung erhalten und gewogen werden. Und, so Kratky:
"Bei Großveranstaltungen nutzt auf
der Bahn eine Fahrgastnutzungsmessung auch nichts. Wenn die Züge voll
sind, fahren sie ab. Steht auf irgendeinem Bahnhof eine Gruppe mit 30 Leuten,
kriegen wir die andererseits immer
weg." Dennoch sind dem Chef der Bahnen zufolge bei dem ZIS-Pilotprojekt
entsprechende Meßstellen für eine Besetztgraderfassung freigehalten worden.
Nicht zuletzt möchte die BVG zusammen mit der rechnergesteuerten Betriebsleittechnik
erstmals flächendeckend ein vernünftiges Fahrgastinformationssystem einführen.
Einstweilen gibt
es für diese Neuerung aber noch kein
fertiges Konzept. Wie Jähnichen ausführte, könnte das beschriebene RBL-Ortungssystem
dazu genutzt werden,
Fahrgästen an bestimmten Knotenpunkthaltestellen anzuzeigen, wann beispielsweise
der letzte Bus kommt oder
ob ein Zug durch Störungen verspätet
in einen Bahnhof einfährt.
Sinn macht das modernste Betriebsleitsystem nach Überzeugung der BVG indes nur,
wenn die regierenden Verkehrspolitiker in der Stadt den öffentlichen
Personennahverkehr durch ein
Bündel flankierender Maßnahmen begünstigen. Die mit dem Sprung ins
Computerzeitalter verbundenen betriebswirtschaftlichen Einsparungen
vermag man in den BVG-Chefetagen
momentan noch nicht in Mark und
Pfennig beziffern, kann es warscheinlich auch noch nicht. Lapidar wird diesbezüglich
auf eine langfristige Prognose
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zur Entwicklung des
Nahverkehrs in Berlin hingewiesen.
Gehen die Politiker dem öffentlichen
Nahverkehr in unserer Stadt die Priorität, muß die BVG bis zur Jahrtausendwende "nur" mit
einem 7%igen gegenüber einem sonst 25%igen Fahrgastrückgang rechnen, proguostizierten
die DIW-Forscher.
Im Vergleich zu den jährlichen Investitions- und Unterhaltungskosten der
BVG sind die für das RBL aufzubringenden Summen jedenfalls bescheiden.
Die geschätzten Kosten für die Bus-"Oberfläche": 40 bis 50 Millionen DM.
Datenschutz für Fahrpläne?
Inzwischen sprechen sich weder der
Personalrat des Eigenbetriebes noch
die Gewerkschaft OTV grundsätzlich
gegen ein rechnergestütztes Betriebseitsystem bei der BVG aus, Allerdings
sträubt sich der Personalrat nach wie
vor gegen ein nicht unwesentliches Detail. Der BVG-Gesamtpersonalratsvorsitzende
Winfried Mehner: "Konkret
streiten wir um das mit der Leitstelle
gekoppelte Display beim Fahrer. Eine
Verbindung wollen wir nur an den Ablösepunkten an Betriebshöfen, an Umsteigepunkten
oder zu betriebsarmen
Zeiten." Die Begründung: "Nur zehn
bis fünfzehn Prozent der Fahrer sind
nicht pünktlich, wozu will man den
übergroßen Rest jede Minute und Sekundär überwachen?" Wenn nur jede
zehnte Haltestelle, wo ein Verkehrsknotenpunkt ist, registriert werde, habe
der Fahrer subjektiv noch das Gefühl,
dazwischen eine "Spielwiese" zu haben,
wo er sich "austoben" könne. Obwohl:
Objektiv sei das gar nicht mehr möglich. BVG·Direktor Lorenzen soll dagegen die
Vorstellung haben, auf jeder
Buslinie "von A bis Z" elektronische
Baken zur Standortermittlung der Busse zu installieren, kolportierte Mehner.
Ein Streit, der inzwischen auch die Öffentlichkeit beschäftigte. So zog der
keinen Disput scheuende Lokalchef des
"Tagesspiegel" in seiner Randglosse
gegen einen unangemessenen "Datenschutz für Fahrpläne" zu Felde und
fand die lückenlos kontrollierende Neugier qua RBL-Zentrale "nur hilfreich"
für Kunden und Verkehrsmeister. Der
angegriffene Personalratsvorsitzende
setzt derweil gegen eine solche Sicht
seine persönliche Erfahrung: "Ich habe
in Wiesbaden erlebt, wie leitstellengesteuerte Autobusse im Stau stehen. Einen
Stau kann die Zentrale nicht auflösen - und wenn sie einen Einsetzwagen
schickt, steht der mit im Stau."
Bedenken äußerte der Vormann der
sensibilisierten BVG-Kutscher auch gegen Fahrgastzählgeräte auf den Bussen.
Rationalisierungswütige Planer könnten
auf die Idee kommen, unter Hinweis
auf den mangelnden Besetzungsgrad
Einsetzwagen zu streichen.
Datenschutzrechtlich fragwürdig sind
nach Auffasung Mehners etwa Überlegungen, Angaben über Beginn und
Ende der Fahrerdienste bei der Zentrale zu speichern. Mehner abschließend:
“Was ich will, ist zum Beispiel, daß der
Fahrer auf einen Knopf drückt und,
ohne in seinem Buch zu blättern, sagen
kann, die Linie 14 kommt um 6.19 Uhr
da und da an und hat einen Anschluß
oder keinen."
Zielkonflikt vorprogrammiert?
In der der BVG übergeordneten Verkehrsverwaltung hat man sich unterdessen über
die Langfristpläne der BVG
"noch kein abschließendes Urteil gebildet", wie es auf Anfrage hieß. Erst einmal
müsse die BVG ihre Vorstellungen
vor den Verwaltungsrat bringen, erklärte der für Grundsatzangelegenheiten
der Eigenbetriebe zustänäge Referatsleiter Hans Schnoor. Wegen der teilweise
gleichen technischen Parameter
sei ferner zu überlegen, ob die neue
BVG-Leitstellentechnik mit dem automatischen Verkehrsleitsystem LISB
verknüpfbar sei. Hier ergäbe sich freilich, neudeutsch ausgedrückt, ein echter
Zielkonflikt. Das im Aufbau befindliche
“Leit- und Informationssystem Berlin",
mit dem Autos per Bordcomputer an
Staus vorbeigelotst werden können, bedeutet nach Meinung von Kritikern
eher eine Gefahr für den öffentlichen
Nahverkehr. Das nicht von der Hand zu
weisende Argument: Wenn Automobilisten auf ihren Fahrten durch die Stadt
Zeit sparen, wird Autofahren wieder attraktiver.
Thomas Knauf, Freier Journalist
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