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Der Wunsch der DDR hat in Berlin
(West) umfangreiche Überlegungen
ausgelöst, wie darauf reagiert werden
soll. Dazu gehören die Überprüfung
der rechtlichen Situation ebenso wie
Konzepte für veränderte Streckenführungen der verschiedenen U- und S-Bahn-Linien im
Berliner Zentrum (S1/2, U6, U8). Die IGEB hat im August
(vgl. Medienecho) auf einer Presssekonferenz zu dieser Entwicklung Stellung genommen.
Den hinter vorgehaltener Hand zu hörenden Vorwurf,
durch solche öffentliche Diskussion
könnte der "Wunsch" der DDR unnötig "hochgespielt" und aus einem Ausloten westlicher
Reaktionen eine harte
Forderung werden, akzeptiert die
IGEB nicht, weil hinter dem Wunsch
der DDR reale Absichten stehen und
das Fehlen der Öffentlichkeitsbeteiligung vor Verhandlungen mit der DDR
stets zu unbefriedigenden Ergebnissen
geführt hat, so z.B. bei der Schleuse
Spandau, dem Schöneberger Südgelände und dem Südübergang für den Straßenverkehr,
die hinterher der kritischen
Prüfung häufig nicht standhielten.
Nachfolgend sollen deshalb die möglichen Vor- und Nachteile für beide
Stadthälften durch eine Abgabe der U6
dargestellt und bewertet werden.
Die derzeitige Bedeutung der U6 für Berlin (West)
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Schon heute ist die Friedrichstraße gut durch S- und U-Bahn erschlossen: Die Karte zeigt - mit 300- und 500-m-Radien - die Einzugsbereiche der Bf. Friedrichstraße und Stadtmitte. Kartengrundlage: SenBauWohn |
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Die Unterbrechung der U6 hätte erhebliche Nachteile für den Nahverkehr
in Berlin (West):
- Verlust einer direkten Verbindung
zwischen Wedding/Reinickendorf und
Kreuzberg/TempeIhof/Neukölln, die
täglich von rund 80.000 BVG-Fahrgästen genutzt wird. Neben dem Berufsverkehr
wäre auch der Ausflugsverkehr,
z.B. nach Tegel, in hohem Maß von der
Unterbrechung der U6 betroffen.
- Verlust der Umsteigemöglichkeit am
Bf. Friedrichstraße zur Stadtbahn (S3)
und Nord·Süd·Bahn (S2).
- Verschlechterung der Erreichbarkeit
des wichtigen Grenzüberganges Friedrichstraße.
Eine mögliche Integration der U6 in
das Ost-Berliner U~Bahn-Netz
Eine Nutzung des relativ kurzen U6-Tunnels ohne eine Verlängerung kann
für Berlin (Ost) nicht interessant sein.
Deshalb ist wahrscheinlich langfristig
folgende Lösung geplant: Nutzung des
vorhandenen Tunnels der U6 von
Stadtmitte über Friedrichstraße bis
Oranienburger Tor, nördlich dieses U-Bahnhofes Neubau wahrscheinlich unter der
Wilhelm-Pieck-Straße, Kastanienallee zur Schwedter Straße, oberirdisch weiter über
das am 1. Juli 1988
von West-Berlin übernommene Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs der
Nordbahn, anschließend Unterfahrung
des Bahngeländes im Bereich des stillgelegten S-Bf. Bomholmer Straße,
oberirdisch weiter zum S-Bf. Pankow
mit bahnsteiggleichem Umsteigen.
In Pankow bestünde außerdem ein Anschluß an die geplante Hauptwerkstatt
Granitzstraße für die Kleinprofilzüge
der Ost-Berliner U-Bahn. Für die
Kleinprofillösung, die zwar Umbauten
der jetzigen Großprofil-Strecke erfordert, spricht ferner die in Bau befindliche
Verbindungskurve zwischen der U6
und der Ost-Berliner Linie A, die in der
Anfangsphase Übergabefahrten in den
Tunnel unter der Friedrichstraße ermöglicht. Eine Nutzung der U6 durch
Großprofilzüge ist wegen des fehlenden
Anschlusses an die einzige Ost-Berliner
Großprofillinie (Alexanderplatz - Hönow) und wegen der höheren Kosten
für den Tunnelbau unwahrscheinlich.
Die U-Bahnhöfe Nordbahnhof und Stadion der Weltjugend würden bei dieser
Planung nicht genutzt.
Die Vorteile der neuen U-Bahn-Linie für Berlin (Ost)
- Nord-Süd-Erschließung der Friedrichstraße durch ein leistungsfähiges Verkehrsmittel
und Umsteigeverbindungen
zur S-Bahn am Bf, Friedrichstraße und
zur U-Bahn-Linie A am Bf. Stadtmitte.
Durch das Umsteigen Erschließung
weiterer City·Bereiche.
- Entlastung der Stadtbahn von Verkehr aus dem Norden Berlins durch die
bequemere und schnellere Umsteigeverbindung über Pankow.
- Entlastung der Friedrichstraße von
Bus- und Straßenbahnverkehr.
Bewertung
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Berlin (Ost) im Sommer 1989: Lange wurde über den Bau einer Verbindung zwischen der Ost-Berliner U-Bahn-Line A und der U6 für eine direkte betriebliche Verknüpfung spekuliert. Dieser Blick in die Baugrube an der hierfür wahrscheinlichsten Stelle belegt, daß derartige Pläne offenbar nicht bestehen bzw. gerade verbaut werden. Foto: IGEB-Archiv |
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Die beschriebene neue Ost-Berliner U-Bahn-Linie erschlösse kaum neue Bereiche,
die nicht bereits heute von U-Bahn, S-Bahn oder Straßenbahn erschlossen sind:
Der südliche Teil der Friedrichstraße
von der Leipziger Straße bis zur Oranienburger Straße wird durch die Bahnhöfe
Stadtmitte (U-Bahn-Linie A) und
Friedrichstraße (Stadtbahn) an das
Schnellbahnnetz angebunden. Neu erschlossen würde das Gebiet nördlich
der Oranienburger Straße (U-Bahnhöfe Nordbahnhof und Stadion der Weltugend).
Gerade hier würde aber bei
der beschriebenen Verlängerung keine
U-Bahn mehr verkehren! Andererseits
gibt es hier bereits ein umfangreiches
Straßenbahnnetz, das sowohl an den Bf.
Friedrichstraße wie auch den U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz angebunden
ist. Auch bei einem möglichen Umbau
der Friedrichstraße zum Fußgängerboulevard und trotz des Verzichtes auf
Parkhäuser müßten die vorhandenen
Bahnhöfe und ein modifiziertes, ggf.
durch Neutrassierung beschleunigtes
Straßenbahnnetz zur leistungsfähigen
Erschließung der Friedrichstraße ausreichen. Allerdings hat die Straßenbahn
noch ein sehr schlechtes Image (Tenor:
"Bei uns wird ja die Straßenbahn nur
ausgebaut, weil wir uns keine U-Bahn
leisten können!").
Andere Argumente für die Verknüpfung Friedrichstraße - Pankow durch
die neue U-Bahn-Linie erweisen sich
bei genauerer Betrachtung ebenfalls
nicht als stichhaltig: Bereits heute bietet
die UBahn-Linie A - neben einer direkten Verbindung zum Alexanderplatz
- eine Verbindung zum Norden Berlins
durch die Umstetgemöglichkeit auf die
S-Bahn Richtung Bernau bzw. Oranienburg am Bf. Schönhauser Allee. Eine
Entlastung der Stadtbahn von Zugläufen gäbe es durch die neue Verbindung
nicht. Schon jetzt verkehrt lediglich eine
Zuggruppe aus dem Norden über die
Ringbahn und den Bahnhof Ostkreuz
auf die Stadtbahn in Richtung Innenstadt, endet aber bereits am Bf. Warschauer Straße.
Außer dem Prestigedenken, daß unter einer bedeutenden
Einkaufs- und Vergnügungsstraße auch
eine U-Bahn verkehren muß, bleibt
kein überzeugendes Argument für die
Notwendigkeit einer Übernahme der
U6 durch die Ost-Berliner BVB. Die
verkehrlichen Probleme, die sich durch
den Wiederaufbau der Friedrichstraße
ergeben, sind auch ohne die U6 lösbar.
Andererseits brächte die Abgabe der
U6 für West-Berlin schwerwiegende
Nachteile. Den Überlegungen des Senates, die U6 dann in den Nord-Süd-Tunnel
der S-Bahn zu verschwenken,
hat die IGEB den Vorschlag für einen
zweiten Tunnel unter der Friedrichstraße entgegengesetzt. Der Vorteil dieser
Lösung wäre, daß das West-Berliner
Netz unverändert mit allen Strecken
und Bahnhöfen erhalten bliebe und daß
die Fahrzeit er U6 je Richtung sogar
um 3 Minuten verkürzt würde, während
beim Senatskonzept eine Verlängerung
einträte. Darüber hinaus würden bei
der Verschwenkung der U6 in den
Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn das S-Bahn-Netz zerrissen und die Bahnhöfe
Humboldthain (S2) und Kochstraße
(U6) nicht mehr bedient. Die Zukunft
des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin
würde ausgerechnet im Zentrum nicht
unwesentlich verbaut.
Doch es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen Senatsvorschlag und IGEB-Konzept: beide kosten
mehrere 100 Mio.
DM. Zu viel Geld, das nicht zur Verfügung steht. Deshalb muß der Senat wegen der
großen Bedeutung der U6 für
das BVG-Angebot das Anliegen von
Berlin (Ost) unbedingt ablehnen. Und
ohne Verhandlungen mit einvernehmlicher Lösung kann nach Auffassung der
Senatskanzlai der gegenwärtige Zustand nicht verändert werden.
War also alles nur ein Sommertheater,
an dessen Inszenierung die IGEB kräftig mitgewirkt hat? Hoffentlich! Doch
die IGEB hat die Situation bewußt sehr
emst genommen. Denn die Senatskanzlei hat - sicher nicht ohne Grund - von
allen Verwaltungen Stellungnahmen
eingeholt. Und dabei sind so manche
auf die Idee gekommen, was man für
einen Verzicht auf den U6-Tunnel alles
"herausholen" könnte: einerseits natürlich Verbesserungen für den ÖPNV in
Berlin (West), also u.a. die Wiedereröffnung der S-Bf. Potsdamer Platz,
Nordbahnhof und Bornholmer Straße,
andererseits aber auch Flächen wie die
Trasse der Ebertstraße. Dann könnte
man die Entlastungsstraße durch den
Tiergarten begrünen und hätte die
Nor -Süd-Straße auf historischer Trasse. Die U6 als Verhandlungsmasse für
Straßen! Die IGEB fürchtet deshalb,
daß der Senat die U6 opfern könnte,
wenn die DDR weitreichende Zugeständnisse an anderer Stelle macht.
Doch die IGEB hält die U6 für den
Nahverkehr in Berlin (West) für unverzichtbar. Deshalb mußte die U6 Sommerthema werden.
Hoffentlich war es
wirklich nur ein Sommertheater. IGEB
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