|
Veranstaltungen zur Berliner S-Bahn
waren stets einer der Höhepunkte der
Berliner Schienenverkehrs-Wochen.
Und auch dieses Mal wurde es eng im
Raum. Doch der, der in den Vorjahren
den Saal gefüllt hatte, der für die BVG-S-Bahn zuständige
Hauptabteilungsleiter Erich Kratky, blieb am 20. September 1990
zuhause. Er habe sich über die
Berichterstattung im SIGNAL geärgert,
ließ er zur Begründung ausrichten.
Gemeint war vor allem der Artikel zum
2. Juli in Heft 5/90 , der so
manche Kritik an der BVG enthält. Dagegen wird
in demselben Aufsatz die Deutsche
Reichsbahn gelobt, weil sie den durchgehenden S-Bahn Verkehr
auf der
Stadtbahn ermöglicht habe. Natürlich
wissen auch wir, daß diese Leistung
nicht ohne die BVG möglich war. Aber
die Initiative kam von der DR, und sie
hatte auch die Hauptlast zu tragen.
Dies wurde der IGEB gegenüber mehrfach - auch von “Insidern” -
bestätigt.
Und so war es für uns eine besondere
Freude, den "Drahtzieher" für diese
und andere Aktivitäten, Herrn Dr.-Ing.
Wolf-Ekkehart Matthaeus, Betriebsleiter S-Bahn bei der
Reichsbahndirektion
Berlin, erstmals auf den Schienenverkehrs-Wochen begrüßen zu können.
Von Anfang an spürten die Besucher,
daß sie mit Herrn Matthaeus einen
“Vollblut-Eisenbahner” vor sich hatten,
der seit Jahrzehnten der Berliner S-Bahn eng
verbunden ist. Entsprechend
lebendig, weil durch eigenes Erleben
geprägt, war sein Rückblick auf die
Berliner S-Bahn von der Nachkriegszeit
bis heute. Natürlich war der Mauerbau
ein besonders schmerzlicher Einschnitt.
Extreme Situationen waren auch bei
der S-Bahn die Folge: So ergab eine
Zählung im Jahr
1964, daß 98% aller
Fahrgäste im Ost-Netz der Berliner S-Bahn auf ihrer
Fahrt den S-Bahnhof Ostkreuz frequentierten bzw.
passierten.
Auch die zunehmende Belastung
der Stadtbahn war
eine Folge der Teilung, Auf dem Abschnitt
Hauptbahnhof - Jannowitzbrücke mußte mit
10 Vollzügen in 20
Minuten an die
Grenze der Kapazität gegangen werden.
Signaltechnisch
ist zwar zwischen
Friedrichstraße und
Ostkreuz sogar ein
90-Sekunden-Takt
möglich, aber dann
stehen bei Bahnhöfen mit einem
Bahnsteig nur 24
Sekunden pro Halt
zur Verfügung. Das
sei, so der Referent,
angesichts des
Fahrgastaufkommens auf den meisten Stationen der
Stadtbahn zu wenig. Außerdem seien
die Treppenanlagen für eine dichtere
Zugfolge in der Regel nicht ausreichend.
Die Fahrgäste kommen teilweise, wie
Versuche der DR zeigten, nicht
bis zum Eintreffen des nächsten Zuges
vom Bahnsteig.
Doch so manche Belastung der Berliner
S-Bahn als Folge der Teilung werde
ja nun bald der Vergangenheit angehören,
äußerte sich Herr Matthaeus zuversichtlich.
Ziel der DR sei es, das
Berliner S-Bahn-Netz im wesentlichen
in seiner Ausdehnung von 1961 wiederherzustellen.
Ergänzend dazu sei ein
Regionalnetz, etwa bis Brandenburg
und Frankfurt/Oder, mit Oberleitungsverkehr
erforderlich. In diesem Zusammenhang komme dem schnellen
Ausbau der Ringbahn für den Reiseverkehr
eine besondere Bedeutung zu.
Nach seinen Eindrücken von der West-Berliner S-Bahn gefragt,
äußerte Herr
Matthaeus Anerkennung für die Leistungen des Betreibers BVG.
Er wisse
schließlich, in welch schlechtem Zustand die
von der DR übernommenen
Bahnanlagen 1984 gewesen seien. Weniger angetan
zeigte er sich allerdings
von den Baumaßnahmen bei der S-Bahn, die
er “mit den Augen eines Eisenbahners” teilweise anders geplant
hätte. Verständnis habe er für die derzeitige
Verunsicherung bei der BVG,
weil mit der für Ende 1993 geplanten
Rückgabe der West-S-Bahn an die Eisenbahn ein
unbefriedigender Schwebezustand verursacht wurde.
Für die Reichsbahn bedeutet die neue
Situation, daß sie sich ab sofort mit allen
über 1993 hinaus wirkenden Planungen befassen will,
darf und muß.
Herr Matthaeus machte deutlich, daß
bei Fernbahn- und S-Bahn-Planungen
ohne Beteiligung der DR nichts mehr
geht. Erstes Beispiel dafür werde der
Bereich Papestrage sein, wo man mit
der Senatsplhnung für den Fern- und S-Bahn-Verkehr
nicht einverstanden sei.
Aber auch bei langfristigen Projekten
wolle man mitreden. So plane die DR,
zukünftig mit der S-Bahn von Lichterfelde
Süd nicht mehr zum Bahnhof Teltow oder gar bis
Ludwigsfelde zu fahren, sondern - anknüpfend an eine alle
Reichsbahn-Planung - über Teltow
Stadt bis Stahnsdorf und weiter über
die Friedhofsbahn nach Wannsee. Das
sei verkehrlich und betrieblich besser.
Ludwigsfelde und die anderen Orte an
der Anhalter Bahn sollten mit Regionalzügen,
die zunächst bis Lichterfelde-Ost verkehren, an das
Berliner Schnellbahnnetz angeschlossen werden.
Mehr als drei Stunden lang beantwortete Herr
Matthaeus Frage auf Frage.
Beeindruckend waren seine detaillierten
Kenntnisse auf allen Gebieten und
sein Stil, auch bei kontroversen Positionen die
seine sorgfältig und ausführlich
zu erläutern. Dies unterschied sich
wohltuend vom Auftreten mancher
Fachleute, die Fahrgastmeinungen mit
dem Hinweis auf betriebliche Zwänge
und auf fehlendes Verständnis für die
größeren Zusammenhänge übergehen.
Aber an diesem Abend hatte wohl keiner
sein Kommen bereut. Mit großem
Beifall wurde Herr Matthaeus verabschiedet. Auf Wiedersehen!
IGEB
|