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Anlaß für die Gründung der IGEB im Juli
1980 war der Wunsch, etwas gegen den
ständigen Bedeutungsverlust der Eisenbahn
in Berlin zu untemehmen. Nur wenige Wochen
später wurde durch den Streik der
Reichsbahner in Berlin (West) und die damit
verbundene Stillegung der wichtigsten
Strecken der Berliner S-Bahn die Aufmerksamkeit
in eine andere Richtung gelenkt.
Die Integration der S-Bahn in das West-Berliner
Nahverkehrsnetz und ihre Erneuerung als Bestandteil
einer stadt- und umweltverträglichen Verkehrspolitik wurde
zum wichtigsten Ziel der IGEB-Arbeit für
die nächsten Jahre.
Die Arbeit war nicht leicht. Es galt, die Öffentlichkeit
für das Thema zu interessieren,
Gehör bei Politikern, Verwaltung und Presse zu finden.
Mindestens am Anfang war
immer wieder die Unterstellung spürbar,
"die IGEB sei vom Osten finanziert und gesteuert".
Denn wer sich in Berlin (West) für
die S-Bahn als Verkehrsmittel einsetzte, den
traf auch noch Anfang der 80er Jahre das
Mißtrauen und die - hilflose - Wut aus der
Zeit des S-Bahn-Boykotts nach dem 13. August 1961.
Diese Emotionen, unter denen
auch der übrige von der Deutschen Reichsbahn
betriebene Eisenbahnverkehr zu leiden hatte,
ersetzten bisweilen jegliches
Sachargument für den Bahnverkehr in Berlin (West).
Hinzu kam, daß sich viele nicht
vorstellen konnten, woher die IGEB das
Geld für ihre Arbeit hatte (und hat), da sie
von der “Öffentlichen Hand" ja nicht unterstützt wurde - im
Gegensatz zu vielen anderen gemeinnutützigen Vereinen. Deshalb war
die IGEB stets auf relativ hohe Mitgliedsbeiträge
und zahlreiche private Spenden
angewiesen. Man stelle sich vor: In der
IGEB arbeiten seit 10 Jahren Fahrgäste z.T.
viele Stunden pro Woche für einen nur bedingt ihnen selber,
vor allem aber der Allgemeinheit dienenden Zweck,
einem besseren ÖV; sie zahlen dafür auch noch monatlich
10 DM Mitgliedsbeitrag
und spenden darüber hinaus
Sachen und Geld für die
Vereinsarbeit. Eben dieses
überstieg das Vorstellungsvermögen so mancher
Kritiker, die deshalb dunkle
Geldquellen im Osten vermuteten.
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8.1.84: 10.000e protestierten auf Sterfahrten gegen die Stillegung der S-Bahn durch den Senat. Foto: H. Friedly |
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Mit diesem Signet warb die IGEB für das Bürgerbegehren im Juni 1988. |
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Stillgelegter S-Bf. Beusselstraße. Hier wurde 1984 von der IGEB das erste Fahrgastzentrum in Deutschland eingerichtet. Foto: IGEB-Archiv |
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Spitzengespräch. Im Januar 1988 erörterte der IGEB-Vorstand mit der BVG-Chefetage (links) Möglichkeiten zur Zusammenarbeit von Betreiber und Fahrgastverband. Foto: T. Staeck |
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Klarer Fall: IGEB (Der ehemalige BVG-Direktor Joachim Piefke ist seit 1986 Ehrenmitglied.) Foto: IGEB-Archiv |
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Zurück zur S-Bahn: Die
Herausgabe der Zeitschrift
SIGNAL und zahlreicher
Presseerklärungen, die Einführung
des jährlichen S-Bahn-Tages, die öffentliche
Auseinandersetzung mit auftretenden Problemen und
Planungen auf Diskussionsveranstaltungen,
das Gespräch mit Politikern, Bürgern und
Verwaltungen sowie das Entwickeln eigener
Lösungsvorschläge und Konzepte waren
wichtige Schritte, das Thema S-Bahn gegen
alle Widerstände auf der Tagesordnung zu
halten und seit 1981 stets zum Wahlkampfthema zu machen.
Grundlage der Arbeit war und ist die Sachkenntnis
der in der IGEB organisierten
Bürger, seien sie Fachleute, die sich beruflich
mit dem Verkehr beschäftigen oder Laien,
die aber die tägliche Benutzung von
Bussen und Bahnen zu Experten gemacht
hat. Die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen,
Bürgerinitiativen und -gruppen sowie
einzelnen Politikern verbreiterte die Wirkungsmöglichkeiten
im Interesse gleicher
Ziele.
Rückblickend sind in zehn Jahren des Bestehens
der IGEB eine ganze Reihe von Erfolgen kleinerer und
größerer Art, natürlich
auch von Mißerfolgen, zu verbuchen. Sie
umfassen nicht nur das eingangs genannte
Thema der S-Bahn-Integration sondern auch die
anderen Felder des Nahverkehrs,
sowie des Eisenbahnverkehrs von und nach
Berlin. Einige sollen hier kurz in Erinnerung gerufen werden.
Größter Erfolg der für den öffentlichen
Nahverkehr in Berlin (West) tätigen Verkehrsinitiativen
waren die Verhinderung der
Stillegung der S-Bahn. Ohne ihren beständigen ruck in der
Öffentlichkeit wäre es
wohl nicht zur Übemahme der S-Bahn in
die Verantwortung der BVG und damit zu
deren Erhaltung gekommen. Daß die
Schrumpfbahn-Konzepte des CDU/F.D.P.-Senats
vom Frühjahr 1983 für ein S-Bahn-Einstiegsnetz
von nur 40 km Länge nicht
Wirklichkeit wurden, sondern bereits im
Februar 1985 zumindest die Hälfte des ursprünglichen
S-Bahn-Netzes wieder betrieben wurde ("71 km-Netz"), ist
nur tausenden von Bürgern zu verdanken, die, dem
Aufruf der Verkehrsinitiativen folgend, zur
Jahreswende 1983/84 den Politikern auf
mehreren Sternfahrten deutlich machten,
was sie von dieser Politik hielten. Die in den
Jahren 1986 und 1988 von der IGEB und
anderen Gruppen durchgeführten Bürgerbegehren
für die Wiederinbetriebnahme der
Anhalter Bahn bzw. der Ringbahn und der
Vorortstrecke nach Spandau erreichten
zwar nicht unmittelbar ihr Ziel, die erfolgreichen
Unterschriftensammlungen zeigten
aber, daß das Interesse an der S-Bahn nicht
erlahmte. Und das Vorziehen der vom
CDU-Senator Wronski geplanten Wiederinbetriebnahmetermine für
die Ringbahn
durch den 1989 gebildeten SPD/AL-Senat
war sicher auch eine Reaktion auf den amtlich
bekundeten Bürgerwillen.
Viele Verbesserungen konnten auch bei der
U-Bahn und beim Bus erreicht werden. Die
Rücknahme der Taktverlängerung bei der
U-Bahn in den Abendstunden von 10 auf 12
Minuten, die zu massiven Verschlechterungen
bei den Umsteigeverbindungen mit den
Bussen geführt hatte, die Übernahme von
zahlreichen Einzelvorschlägen der IGEB
zum Busnetz oder auch kleine, aber für den
einzelnen Fahrgast doch so wichtige Maßnahmen
wie die Verlegung von Haltestellen
zur Verbesserung der Umsteigesituation,
z.B. am U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße,
sind Beispiele für die Arbeit der IGEB.
Im Bereich Fernbahn konnte die IGEB ihren ersten - wenn
auch kleinen - Erfolg
schon bald nach Gründung des Fahrgastverbandes feiern:
Die Installierung von öffentlichen Fernsprechern auf den
Fernbahnsteigen des Bahnhofs Zoo; wichtig zur privaten
Verständigung bei den - leider viel zu häufigen - Verspätungen.
Auch die Einrichtung
einer zusätzlichen Zugverbindung nach
München im Jahre 1988 war ein Erfolg der
IGEB-Arbeit. Mit dem Konzept "Berlin im
Takt” wurden 1987 Vorschläge entwickelt,
wie der Personenfernverkehr wirksam zu
verbessern sei. So manche Idee wurde -
wenn auch teilweise erst nach der Revolution in der
DDR - umgesetzt.
Das 100-jährige Bestehen des Fernbahnhofs
Zoologischer Garten bot 1984 die Möglichkeit,
durch eine Ausstellung im südlichen S-Bahn-Zugang,
die mehr als 10.000 Besucher
hatte, auch das Interesse für die Fernbahn
zu beleben und die Deutsche Reichsbahn zu
einer erweiterten Öffentlichkeitsarbeit zu
bewegen. Das im folgenden Jahr von der
IGEB erarbeitete Konzept für eine bauliche
und funktionale Aufwertung des Bahnhofs
Zoo wurde zwar von offizieller Seite zunächst
als "Wolkenkuckucksheim” abgetan,
war dann aber nur wenige Monate später
Grundlage für die zwischen Senat und DR
vereinbarte Sanierung des Bahnhofes anläßlich
der 750-Jahr-Feier Berlins. Daß die
Zukunft der Eisenbahn in Berlin wieder zu
einem öffentlichen Diskussionsthema wurde, ist
ganz wesentlich auf die Bemühungen
der IGEB zurückzuführen.
Natürlich wurden in den zehn Jahren auch
viele Ziele nicht erreicht, oder Entwicklungen
verliefen anders als von der IGEB gewünscht.
so erfolgt der Ausbau der S-Bahn
nach Ansicht der IGEB weiterhin nicht mit
der gebotenen Geschwindigkeit und dem
notwendigen Umfang, und es werden z.T.
falsche Prioritäten gesetzt, Der aufwendige,
nur langsam vorangehende Neubau der stillgelegten
S-Bahn-Strecken, der Streit um die
Einführung der neuen Signaltechnik EZS
800, um deretwillen die vorhandene Zugsicherungstechnik
abgebaut oder zumindest
nicht ergänzt wurde, obwohl es die EZS 800
bis heute nur in den Köpfen der Techniker
gibt, oder die Weiterführung des kostenträchtigen
Baus der U-Bahn-Linie 8 ins
Märkische Viertel zu Lasten der S-Bahn-Reaktivierung
und gegen das Votum der
Bundesregierung waren und sind Felder der
Auseinandersetzurig mit für die Fahrgäste
unbefriedigenden Ergebnissen.
Alltäglich sind Konflikte um nicht eingehaltene Fahrpläne,
fehlende Anschlüsse oder
mangelhafte bzw. fehlende Information der
Fahrgäste. Dabei wurde Einiges für die
Fahrgäste erreicht, aber vergeblich war z.B.
der Einsatz für die Beibehaltung des Mitteleinstiegs
beim Bus. Auch eine grundsätzliche Verbesserung des
Eisenbahnverkehrs
von und nach Berlin (West) konnte in den
zehn Jahren noch nicht erreicht werden.
Unter Vorschiebung des Kostenargumentes
wurden Streckenausbauten und Elektrifizierung
verhindert und der Komfort auf einigen Strecken reduziert.
Ein Güterverkehrskonzept zugunsten der Bahn scheiterte am
Einfluß der Kraftverkehrslobby in Wirtschaft und Politik.
Ein ständiges Auf und Ab gab es im Verhältnis zu
den Betreibern der Verkehrsmittel, BVG, DR und DB,
sowie zu den Politikern und den Berliner Verwaltungen. Zwar
wurden Anregungen häufig aufgenommen,
Kritik wurde aber oft auch als “Einmischung in
innere Angelegenheiten“ angesehen, ohne zu begreifen,
daß der Wunsch
nach Verbesserungen bzw. die Kritik an
Mängeln auch im Interesse der Betreiber
selbst liegt. Daß bei mancher Kritik auch
über das Ziel hinausgeschossen oder der
Falsche kritisiert wurde, sei hier selbstkritisch
angemerkt. Nach langer zäher Arbeit
gelang es, mit den “Kummerkarten" für die
Fahrgäste eine Form der Beschwerdeäußerung zu
schaffen, die von der BVG und den
anderen Verkehrsträgem ernstgenommen
wird.
Die Tendenz, Verkehrsplanung als “Staatsgeheimnis” zu
betreiben, konnte an einigen
teilen erfolgeich durchbrochen werden,
um negative Folgen wenigstens für die Zukunft zu
vermeiden. So scheiterten l982 die
Senatspläne, die S-Bahn nach einer Übernahme
von der Deutschen Reichsbahn jahrelang stillzulegen,
um sie erst ab 1991
schrittweise, möglicherweise als M-Bahn,
wieder in Betrieb zu nehmen, nachdem unter anderem
die IGEB diese Pläne an die
Öffentlichkeit gebracht hatte. Ende 1987
wurde das Versagen der Bauverwaltung aufgedeckt,
ausreichend Projekte zum Ausbau
der S-Bahn vorzubereiten, so daß bis zu 30
Millionen DM Bundesmittel für den ÖPNV
in Berlin verlorengingen. Diese zwei Beispiele zeigen
die Dringlichkeit der Transparenz öffentlicher Planungen.
Ein anderer wichtiger Meilenstein in der
Arbeit der IGEB war 1984 die Eröffnung
des ersten deutschen Fahrgastzentrums, einer
Anlaufstelle für die Fahrgäste. Darüber
hinaus bietet das Fahrgastzentrum, damals
im S-Bf. Beusselstraße und seit Anfang 1989
im S-Bf. Wedding, Arbeitsmöglichkeiten für
den Vorstand und die einzelnen Abteilungen.
Doch trotz dieser “Institutionalisierung"
der IGEB-Arbeit und trotz der nicht wenigen
Erfolge in Berlin wurde immer wieder
deutlich, daß bestimmte Fragen und Probleme nicht
in Berlin allein oder gar nicht hier,
sondern nur bundesweit bzw. in Bonn gelöst
werden können. Deshalb organisierte die
IGEB im Juni 1989 den 1. Bundeskongreß
der Fahrgastverbände, um eine abgestimmte, bundesweite
Zusammenarbeit der organisierten Fahrgäste und
eine institutionalisierte Mitwirkung bei der
Angebotsgestaltung des ÖV zu erreichen. Letzteres ist
noch nicht geschafft, doch mit dem - unter
maßgeblicher Beteiligung der IGEB erfolgten - Ausbau
von PRO BAHN zu einem
Dachverband, in dem z.Zt. über 6.000 Fahrgäste
organisiert sind, wurde eine bundesweite Organisation
für die Zusammenarbeit
verschiedgener lokaler Gruppen und Vereine
geschaffen, die als kompetenter Ansprechpartner für
die verschiedenen Betreiber auftreten kann.
Diese “Rückendeckung" kann die IGEB
gerade jetzt gut gebrauchen, denn die Herausforderungen,
die als Folge des 9. November 1989 von der Stadt Berlin und dem
Umland sowie den hier tätigen Verkehrsbetrieben
und Fahrgastverbänden zu bewältigen sind, dürften
die der letzten 10 Jahre
noch um einiges übertreffen. So muß endlich das
S-Bahn-Netz im bisherigen West-Berlin wieder vollständig in
Betrieb genommen und vor allem mit dem Umland verknüpft werden,
das Netz im bisherigen Ost-Berlin muß an vielen Stellen
generalüberholt werden. Der Eisenbahnverkehr ist völlig
neu zu organisieren. Die Entscheidung
über den zukünftgigen Betreiber der S-Bahn
darf nicht bis 1993 hinausgeschoben werden, unverzeihliche
Verzögerungen beim
Ausbau der S-Bahn könnten die Folge sein.
Die Busnetze müssen sinnvoll verknüpft
und die Straßenbahn modernisiert und erweitert werden.
Das Verkehrsangebot muß
attraktiv gestaltet sein. Dazu gehören günstige Tarife,
dichte Fahrpläne, eine gute Information
der Fahrgäste und eine enge Zusammenarbeit
mit den Verkehrsbetrieben
des Umlandes. Nur so kann die Autowelle
gestoppt werden, die zukünftige Entwicklung Berlins
umweltverträglich und lebenswert für seine Einwohner verlaufen.
Eine bessere Beteiligung der Fahrgäste und
ihrer Verbände bei Verkehrsplanung und
-betrieb ist angesichts der großen Herausforderungen
nötiger denn je. Beispiele für
mögliche Modelle gibt es im In- und Ausland. So
ist es in Großbritannien seit Jahren
(rechtlich abgesichert) Praxis, Fahrgäste in
die Entscheidungen über das Angebot des
ÖPNV einzubeziehen. Hierdurch können
nicht nur zusätzliche Anregungen eingebracht und
eine breitere Akzeptanz von
Maßnahmen erreicht werden, sondern die
Beteiligung der Bürger ist auch ein wesentliches Element
einer offenen Gesellschaft.
Nur wenn Betreiber und Fahrgäste zusammenarbeiten,
besteht die Möglichkeit, daß
sich der ÖV gegen den ständig steigenden
Druck durch den Straßenverkehr behauptet.
Die Verwirklichung der institutionaliserten
Beteiligung der Fahrgastverbände auch in
Deutschland ist ein wesentliches Ziel für die
nächste Zeit. Ein guter Anfang konnte in
dieser Hinsicht durch die seit kurzem funktionierende
Zusammenarbeit mit der Deutschen Reichsbahn gemacht werden.
IGEB
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