Am 8. Januar 1984 wurde die S-Bahn im
Westteil Berlins von der Deutschen Reichsbahn
an den Senat übergeben, der als erstes
50 der ohnehin nur noch 71 befahrenen Kilometer
stillegte und den kläglichen Rest
(Anhalter Bahnhof - Lichtenrade sowie
Friedrichstraße - Charlottenburg) der BVG
anvertraute. Zwar hat die BVG, besonders
in der schwierigen Anfangszeit, beachtliches
geleistet, doch im Laufe der Jahre wurden
viele Hoffnungen enttäuscht, was nicht zuletzt
der Gewerkschaft ötv zu verdanken ist.
Diese sah und sieht das “Findelkind” S-Bahn
vor allem als Belastung der BVG und
nicht als Chance oder gar Bereicherung an.
Am 1. Februar 1985 wurde die seit dem
Herbst 1980 stillgelegte Wannseebahn nach
kaum einem Jahr Bauzeit und trotz zuvor
extremer Kälte wieder in Betrieb genommen.
Seither - also innerhalb von 7 Jhren -
kam nicht ein einziger Meter hinzu! Noch
immer ist mehr als die Hälfte des S-Bahn-Netzes
im Westteil Berlins stillgelegt. Ursache
dafür war und ist eine völlig verfehlte
Senatspolitik, die die Existenzberechtigung
vieler S-Bahn-Strecken anzweifelte und die
vor allem der Modernisierung der befahrenen
Strecken absoluten Vorrang vor der
Wiederinbetriebnahme stillgelegter einräumte.
Daß die als Begründung für diese Politik
angeführten Sachzwänge oft nur vorgeschoben
waren, zeigt das Beispiel der Stadtbahnsanierung.
Nach der grundlegenden Erneuerung des
Abschnittes Savignyplatz - Zoo bis
zum Herbst 1989 (mit ganztägigem 20-Minuten-Takt!)
sollte unmittelbar danach der
Abschnitt Tiergarten - Bellevue folgen.
Doch die drastische Verkehrszunahme auf
der Stadtbahn als Folge der Maueröffnung
verbot eine Fortführung der Arbeiten in der
geplanten Weise. Die grundlegende Erneuerung
weiterer Abschnitte der Stadtbahn wurde auf die
Mitte der 90er Jahre
verschoben. Dies zeigt, daß der Bauplanung
in den 80er Jahren nicht unveränderliche
Sachzwänge, sondern veränderbare Sachentscheidungen
zugrunde lagen, die aber als
Zwänge dargestellt wurden, um der Diskussion
über die richtigen Prioritäten (erst
Wiederinbetriebnahme oder erst Modernisierung) auszuweichen.
Doch während der Senat in den 80er Jahren
neben zunehmender Kritik auch noch Verständnis
für seine Prioritätensetzung fand,
ist es damit seit der Maueröffnung im November
1989 endgültig vorbei. Beispielhaft
soll dies anhand des nachfolgenden Auszugs
aus einem Artikel in der Ausgabe 11/91 der
Bundesbahn-Zeitschrift “Blickpunkt" gezeigt werden:
“Unmittelbar nach der Maueröffnung ermöglichte
die Deutsche Reichsbahn wieder
den durchgehenden S-Bahn-Verkehr über
den Bahnhof Friedrichstraße. Seitdem erlebt
die S-Bahn auf der Stadtbahnstrecke
einen unvergleichlichen Boom. Das blieb
bislang der einzige wirkliche “Lückenschluß',
denn die Öffnung von seit 1961
geschlossenen Bahnhöfen und der Behelfsbahnsteig
in Bornholmer Straße verdienen
nicht diese Bezeichnung ... Die Deutsche
Reichsbahn versuchte, dem Verkehrsbedarf
provisorisch zu entsprechen, indem sie mit
ihren bescheidenen Möglichkeiten beispielsweise
einen Wendezug zwischen Potsdam
Hbf und Berlin-Wannsee sowie zwischen
Berlin-Charlottenburg und Nauen einsetzte
Sonst aber erwecken die Verkehrsverbindungen
in der Öffentlichkeit den Eindruck, als bestünde
die Mauer fon. Und das
bei der großen Zahl der Pendler, die täglich
von Ost und Nord nach West und Süd
wechseln!
Was gebaut wird, dauert den Berlinern und
den Bewohnern der umliegenden Region zu
lange. Während bei den Strecken von Thüringen
nach Hessen und Bayern auch unerwartete
Schwierigkeiten gemeistert wurden,
gibt es in Berlin nur Ankündigungen. So
verschob sich die Inbetriebnahme der
Strecke Frohnau - Hohen Neuendorf, die
eine schnelle Verbindung vom Stadtzentrum nach
Oranienburg schüfe, vom Herbst
1991 bis ins nächste Jahr."
Dem ist nichts hinzuzufügen.
IGEB
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