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Die Abschaffung der Straßenbahn in West-Berlin ist
inzwischen allgemein als großer
Fehler erkannt worden, die Konsequenzen
aus dieser Erkenntnis beschränken sich aber
auf Sonntagsreden. Das war Grund genug
für die in der AG Straßenbahn zusammengeschlossenen
Verkehrs- und Umweltinitiativen,
den Weg der letzten West-Berliner
Linie 55 nach genau 25 Jahren noch einmal
"nachzufahren" und damit zu demonstrieren,
daß es nicht reicht, einige kurze Alibistrecken
zu planen, die kurz vor Sankt Nimmerlein
in Betrieb gehen werden, sondern
daß auch Charlottenburg seine Tram
braucht.
Charlottenburg, Hardenbergplatz, 16 Uhr:
Die symbolträchtige "Fahrt' begann:
- Eine aus Holzlatten gezimmerte Straßenbahn
war ein treffendes Abbild der unter
den Regierungen verschiedenster Couleur
zugrunde gewirtschafteten Berliner Straßenbahn.
- Bewegt wurde die Holzbahn nur durch die
Fahreäste, ohne deren Engagement sich in
der Berliner ÖPNV-Politik wahrscheinlich
gar nichts mehr bewegen würde.
- Der Weg des Zuges führte vom Bahnhof
Zoo über Hardenbergstraße, Ernst-Reuter-Platz
und Otto-Suhr-Allee zum Rathaus
Charlottenburg, genau umgekehrt wie der
letzte Zug der Linie 55 auf seinem Weg ins
"Aus".
Bemerkenswert war die Teilnahme der
BVG! Ihr "Zille-Bus" bildete den Abschluß
des Demonstrationszuges. Deutlich wurde
der unterschiedliche Platzbedarf der Verkehrsmittel:
Während die heute drei bis vier
Fahrspuren je Richtung für den Autoverkehr
zeitweise noch immer nicht reichen,
kommt die Straßenbahn mit der Breite einer
Fahrspur aus, so daß das Holzmodell
auf den überbreiten Straßen geradezu verloren
wirkte.
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Aus Fahrgastsicht bestand in der Vergangenheit leider nur selten Anlaß, die Gewerkschaft ötv zu loben. Umso erfreulicher waren dieses Flugblatt und die Unterstützung der ötv für die Straßenbauer beim Aktionstag 2. Oktober. |
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Am Rathaus Charlottenburg angekommen
wurde der Zug von der für Verkehr zuständigen
Gesundheitsstadträtin Annette
Schwarzenau begrüßt, die ein Umdenken in
der Berliner Verkehrspolitik forderte. Anschließend
gab sie den Startschuß zum
Volksfest vor dem Rathaus, zu dessen Gelingen
auch die BVG-Blaskapelle beitrug.
Ehemalige Straßenbahnerinnen berichteten
von der Bedeutung, die die Straßenbahn
einst hatte und wie sehr sich auch die Fahrgäste
mit ihr identifizierten. Bei einer
Stammtischrunde ehemaliger Straßenbahnfahrer
wurden nicht nur Erinnerungen ausgetauscht,
sondern es wurde auch unter den
"älteren Semestern" lebhaft über die Vorteile
moderner Straßenbahnen diskutiert.
Im Rathaus eröffnete Baustadtrat Claus
Dyckhoff die Ausstellung "Renaissance der
Straßenbahn" und äußerte die Hoffnung,
daß dieses zukunftsträchtige Verkehrsmittel
bald auch wieder Charlottenburg erreichen
möge. Die Ausstellung ist vom österreichischen
Verein "Fahrgast" zusammengestellt
und dem Berliner Fahrgastverband IGEB
leihweise überlassen worden. Sie war zuvor
in Kreuzberg zu sehen und verzeichnete insgesamt
mehr als 2000 Besucher. IGEB
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