Der ehemalige Kinosaal des Hauptbahnhofs war
auch am 9. September überfüllt. Einmal mehr
erwies sich das Thema "Eisenbahnkonzeption
Berlin" als Publikumsrenner. Dipl.-Ing. Dieter
Funk, Abteilungsleiter Betriebliche Infrastruktur
der Rbd Berlin, räumte denn auch im Verlauf
seines Vortrags zum Stand der Umsetzung ein,
die Reichsbahn müsse noch besser und anschaulicher
informieren. Um die Gegenüberstellung
prinzipiell unterschiedlicher Varianten kann es
Funk zufolge indes nicht mehr gehen, denn eines
ist für ihn klar: "Zum Pilzkonzept gibt es
keine Alternative". Jetzt gelte es, dieses so zügig
wie möglich umzusetzen.
Anderen Ideen erteilte der Reichsbahn-Experte
schon wegen fehlenden "Durchdringungsstandes"
hinsichtlich verkehrlicher, technischer und
wirtschaftlicher Aspekte eine Absage. Auch die
bekannte Ringvariante schneide weder bei den
Investitionen noch bei den jährlichen Betriebskosten
günstiger ab. Zweiflern im Publikum versicherte
er, das sei durchaus gründlich geprüft.
Allerdings merkte Herr Funk an, daß zum Pilzkonzept
eindeutige Direktiven aus Bonn teilweise
immer noch ausstünden. Ein Defizit sah er zudem
bei der begleitenden Stadtplanung in den Bereichen
um den Lehrter Bahnhof und an der künftigen
Station Papestraße. Die städtebauliche Konzeption
für das weitere Umfeld sei aber nicht
Aufgabe der Bahnplaner. Diese hätten sich im
wesentlichen um bahninterne Funktionen und die
unmittelbare Stadterschließung zu kümmern. Im
übrigen würden die vorliegenden und aus der
Presse bekannten Architektenentwürfe möglicherweise
nochmals modifiziert. Für die Bahnhöfe
Spandau und Gesundbrunnen ist das bereits
geschehen.
Kurz- und mittelfristige Vorhaben
Im zweiten Teil des Vortrags ging es um begonnene
oder kurz bevorstehende Baumaßnahmen
auf Strecken im Bereich der Rbd Berlin:
- Berliner Außenring - Jüterbog (- Halle/Leipzig
- Erfurt): Der erreichte Ausbauzustand erlaubt
auf dem Berliner Außenring bis zum Abzweig
Genshagener Heide schon heute 160 km/h, jedoch
ist das in den noch gültigen Fahrplänen nicht
berücksichtigt. Zwischen Ludwigsfelde und
Trebbin sollen ab Sommer 1994 ebenfalls 160
km/h zugelassen sein.
- Griebnitzsee - Werder (- Magdeburg): Die
Gleisanlagen im Bahnhof Werder wurden in den
letzten Monaten umgestaltet. Im kommenden
Jahr folgen die Arbeiten im Streckenabschnitt
Griebnitzsee - Werder einschließlich des Bahnhofs
Potsdam Stadt. Ende 1995 sollen der Ausbau
für Tempo 160 und die Elektrifizierung über
Brandenburg bis Magdeburg abgeschlossen sein.
- Berlin-Spandau - Nauen (- Hamburg): Im
Bahnhof Nauen sind die Bautrupps bereits in
Aktion, 1994 laufen die Maßnahmen zwischen
Spandau und Nauen an. Voraussichtlich nehmen
ab Sommer 1995 die Fernzüge der Hamburger
Bahn wieder ihre traditionelle Route via Falkensee,
ebenso Regionalbahnen (auf zwei Gleisen in
Dammlage).
- Berlin-Lichterfelde Ost - Teltow: Der zunächst
eingleisige Lückenschluß auf der Anhalter Bahn
ist für 1995 (spätestens 1996) in Aussicht genommen.
Hier fährt dann die Regionalbahn. Eine
spätere Verlängerung der Gleichstrom-S-Bahn
sowohl in Richtung Teltow Stadt als auch Ludwigsfelde
bleibt grundsätzlich möglich.
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Dieter Funk, Abteilungsleiter Betriebliche Infrastruktur der Rbd Berlin, und rechts Moderator Wolfgang Stahnke vom Veranstalter PRO BAHN, im Kinosaal des Hauptbahnhofes. Der Andrang war so groß, daß leider nicht alle Interessenten eingelassen werden konnten. Foto: Georg Radke |
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Diesen Teilprojekten soll 1997 die Inbetriebnahme
der Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin -
Stendal - Hannover folgen. Um den Abschnitt
Charlottenburg - Spandau zweigleisig und elektrisch
auszubauen, müssen die Fernzüge zwischenzeitlich
für voraussichtlich zwei Fahrplanperioden
auf die S-Bahn-Trasse via Pichelsberg
ausweichen. Erst 1997 wird auch die sanierte und
elektrifizierte Stadtbahn Zoo - Hauptbahnhof
wieder voll zur Verfügung stehen. Sie bleibt demnach
ab Sommer 1994 drei Jahre lang für den
Fernverkehr gesperrt. Neben Einschränkungen
im S-Bahn-Verkehr (u.a. je nach Fahrtrichtung
und Bauphasen wechselnde "Umleitung" über die
Fernbahntrasse ohne Halt auf den reinen S-Bahn-Stationen)
kommt es in diesem Zeitraum auch zu
drastischen Kapazitätseinbußen im Hauptbahnhof.
Vorübergehend werden dort für Fernzüge
nur zwei Bahnsteiggleise nutzbar sein. Zurückgestellt
hat die Reichsbahn im übrigen das Projekt
einer zusätzlichen, sechsten Fernbahnsteigkante.
Bis 1997 wird sie jedenfalls nicht realisiert.
Projekte bis 2002
Die von Herrn Funk genannten Planziele für die
schrittweise Realisierung des Pilzkonzepts lauten:
1998 Teilinbetriebnahme des sogenannten Nordkreuzes
mit Fern- und Regionalbahnhof Gesundbrunnen,
Anbindung der S-Bahn nach Bernau
und der Fernbahn zum Karower Kreuz (Richtung
Stralsund/Stettin). Ausdrücklich betonte er, daß
die Reichsbahn - entgegen Presseberichten - der
Bahnhof Gesundbrunnen weiterhin für Fernreisezüge
konzipiere. Diese wichtige neue Station
im westlichen Stadtgebiet sei - neben Spandau -
als erste zu nutzen.
1999 Ringschließung zur Schönhauser Allee und
volle Inbetriebnahme des Nordrings für den Fernverkehr.
1999/2000 Fertigstellung der Anhalter Bahn südlich
des Innenrings. Vorher muß das heutige "S-Bahn-Provisorium"
an der Papestraße verschwinden.
Im Bereich des sogenannten Südgeländes
wird die Trasse der beiden Ferngleise stark nach
Osten verlagert, um das dort entstandene "Biotop"
wenigstens teilweise zu erhalten.
2000 Zunächst zweigleisige Inbetriebnahme des
Nord-Süd-Tunnels durch den Tiergarten.
2002 Vollständige Inbetriebnahme des Fern- und
Regionalbahntunnels mit dem zentralen Umsteigeknoten
zur Ost-West-Stadtbahn sowie dem
Regionalbahnhof Potsdamer Platz.
Gestreckt worden ist der Zeitrahmen für den
Wiederaufbau der Fernverbindung über Lichtenrade.
Auf der Dresdener Bahn rollen erst irgendwann
nach dem Jahr 2000 wieder Fernzüge.
Vorab soll es hier auch keinen Regionalverkehr
geben. Ganz am Schluß der Prioritätenliste steht
die Nordbahn Schönholz - Birkenwerder. Sie soll
gar erst 2001 oder 2002 in Angriff genommen
werden, auch im Hinblick auf die kostenaufwendige
Verlegung der S-Bahn, die 1986 von den
West-Berliner Senatsverwaltungen unter Inanspruchnahme
der Fernbahntrasse erneuert worden
war.
Zum Planungs- und Bauablauf
Im Interesse einer optimalen Koordination der
einzelnen Vorhaben im Zentralen Bereich ist
beabsichtigt, eine gemeinsame Projektgesellschaft
aller Beteiligten zu gründen. Trotz fertiger
technischer Entwürfe konnte das Planfeststellungsverfahren nicht,
wie ursprünglich avisiert,
im August 1993 beginnen. Ungeachtet dessen
müßten nach Herrn Funks Angaben die überwiegend
in offener Wand-Sohle-Bauweise zu errichtenden
Tunnelanlagen spätestens Anfang 1998
abgedeckelt sein. Die Methode des Schildvortriebs
wird für die Bereiche unmittelbar nördlich
und südlich des Bahnhofs Potsdamer Platzes
gewählt (etwa zwischen Scheidemannstraße und
Landwehrkanal). Bemerkenswert noch: Für den
gesamten Tunnel ist eine feste Fahrbahnplatte
vorgesehen (also schotterlos), unter Potsdamer
Platz und geplantem Regierungsviertel gewährleistet
ein spezielles Masse-Feder-System besonders
hohen Erschütterungsschutz.
Von 1994 an soll die Eisenbahn den Löwenanteil
der durch die Bauvorhaben im Zentralen
Bereich verursachten Transporte bewältigen. Es
handelt sich vor allem um Bodenaushub, aber
auch Baustahl und große Mengen Rohbaustoffe.
Eigens dafür entstehen im Bereich der Logistikzentren
Nord (auf dem "Hamburg und Lehrter
Güterbahnhof) und Süd (am Gleisdreieck)
neue Umschlagplätze und Gleisanlagen. In Spitzenzeiten
ist mit täglich 24 Zügen mit bis zu je
1500 Tonnen zu rechnen. Befahren werden der
Nordring sowie das in den nächsten Monaten
wiederherzurichtende Gütergleis entlang der
Wannseebahn, zumindest nachts wohl auch die
S-Bahn-Trasse über Lichtenrade.
Das Investitionsvolumen für die Eisenbahnbaumaßnahmen
allein im Zentralen Bereich bezifferte
Dieter Funk mit 3 bis 3,3 Mrd DM. Anderslautende
Zahlen für den Tunnelbau, so die von
einem Zuhörer kritisierte Kostenexplosion von
dereinst angesetzten 2 auf 5 Milliarden, rückte er
zurecht. Abgesehen davon, daß häufig Straßenund
U-Bahn-Tunnel einfach hinzuaddiert würden,
ließen derartige Vergleiche die inzwischen
geänderten Prämissen außer acht. Im September
hießen diese noch: vier Gleise für Fern- und Regionalbahn
in abschnittsweise separaten, jeweils
eingleisigen Tunnelröhren, dazu zwei S-Bahn-Gleise
(S21) mit Ausfädelungen auf den
Nordring sowohl Richtung Beusselstraße als auch
Gesundbrunnen. Letztere Maßnahmen waren auf
Senatswunsch nachträglich zu berücksichtigen,
auch die planerischen Bereichsgrenzen änderten
entsprechend.
Eine aktuelle Ergänzung: Am 5. Oktober hat der
Berliner Senat beschlossen, auf den Bau der S21
zu verzichten. Geprüft werden derzeit noch die
Möglichkeiten und Bedingungen für eine Trassenfreihaltung
auf dem Abschnitt Potsdamer
Platz - Lehrter Bahnhof - Perleberger Brücke (-
Gesundbrunnen). Der Beginn des Planfeststellungsverfahrens
für die Tunnelanlagen im Zentralen
Bereich wurde deshalb auf Januar/Februar
1994 verschoben.
Mit forcierter Öffentlichkeitsarbeit, kündigte
Herr Funk an, will die Reichsbahn künftig dem
starken Interesse gerade am Planungs- und
Bauablauf Rechnung tragen. Überlegt wird unter
anderem die ständige Präsentation von Modellen
in der Güterhalle des Anhalter Bahnhofs
an der Möckernstraße. In Kooperation mit der
"IVZ Berlin - Ingenicurgemeinschaft für die Planung
der Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich"
werden auf Schautafeln dort bereits seit dem
Sommer die Planungen gezeigt.
... über das Pilzkonzept hinaus
Zahlreiche Fragen aus dem Publikum betrafen die
nicht zum Pilzkonzept gehörenden Strecken.
Doch weder für die Potsdamer Stammbahn noch
für die Kremmener Bahn und den südlichen Innenring
(soweit Fernreiseverkehr) konnte Herr
Funk konkrete Vorhaben oder gar Termine nennen.
Äußerst skeptisch beurteilte er im übrigen die
Realisierungschancen des vom Land Brandenburg
gewünschten 160 Stundenkilometer schnellen
RegionalExpresses über Tegel und Velten
nach Neuruppin.
Zum Thema Güterverkehr verwies der Referent
auf die Zuständigkeit anderer Ressorts. Jedoch
verneinte er die von einem Diskussionsteilnehmer
gemutmaßte baldige Schließung des Pankower
Rangierbahnhofs. Neueren Überlegungen
zufolge bleibt dieser jedenfalls mittelfristig in
Betrieb, deshalb gibt es in Pankow auch keine
neue Abstellanlage für Reisezüge. Wegen des
rückläufigen Güteraufkommens wird eher die
Stillegung des Rangierbahnhofs Wuhlheide bzw.
der Verzicht auf dessen Ausbau erwogen.
Sinngemäße Antwort auf die Frage nach grundlegender
Erneuerung des S-Bahnhofs Ostkreuz:
Figentlich längst fällig, spätestens bis zum Jahr
2000 aber unumgänglich! Aus den bisher nach
Linien getrennten unteren Bahnsteigen werden
dann Richtungsbahnsteige (je einer für stadtein- oder
stadtauswärts fahrende Züge). Erforderlich
sind dazu neue Überwerfungsbauwerke. Östlich
des Ringbahnsteigs und südlich des jetzigen Erkner-Bahnsteigs
entsteht je ein Regionalbahnsteig.
Aber der alte Wasserturm, markantes Wahrzeichen
am Ostkreuz, bleibt unangetastet! IGEB
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