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Nach langer Zeit muß ich Dir wieder einmal
schreiben. So viel hast Du in den
letzten Jahren getan, um unser Leben
spannender und unterhaltsamer zu
machen. Doch jetzt scheinen Deine Bemühungen
einen neuen Gipfel zu erklimmen:
Voller Ungeduld warte ich auf die Einführung
des elektronischen Fahrscheins, pardon:
„E-Tickets", oder noch cooler gespoken
„tick.et".
Natürlich mögen manche unverbesserlichen
Miesmacher wieder herummäkeln,
daß die Strategie, mit der Du uns da erheitern
willst, so originell gar nicht sei. Wer
so innig daran glaubt, daß uns immer
mehr und immer modernere Technik
schnurstracks ins Paradies führen wird, als
lebten wir noch zu Zeiten von Queen
Victoria, der kann sich erfrischenden
Durcheinanders schließlich ziemlich sicher
sein - denken wir nur an den Spaß, den
die verrückt spielenden Computer in den
neuen Hamburger S-Bahn-Zügen bereitet
haben. Oder an die Abwechslung, die das
tagelange Chaos bei der Wiedereröffnung
der nunmehr zentral gesteuerten Berliner
Stadtbahn in unser Leben gebracht hat.
Oder an die gelungene Idee, zur Eröffnung
der weltgrößten Computermesse in
Hannover mal zu zeigen, was passiert,
wenn die Rechner mal wieder nicht mitspielen.
Mindestens genauso unterhaltsam wird
es sicher im Berliner Untergrund zugehen,
wenn die Fahrtkosten erst einmal per Funk
im Vorübergehen abgebucht werden.
Sicher freut sich auch schon Deine Beschwerdeabteilung,
liebe BVG, über die
Klagen, wenn statt 2 Mark 70 mal eben
270 Mark abgebucht worden sind. Ganz
zu schweigen davon, was Deine Rechtsabteilung
zu tun bekommen wird, wenn
Deine stets freundlichen und zuvorkommenden
Kontrolleure die ersten pensionierten
Studienräte aus der U-Bahn
gezerrt haben, die dreist behaupten,
Deine Technik habe nicht funktioniert und
sie unwissentlich zu Schwarzfahrer gemacht.
Da stehen uns dann so lustige Prozesse
ins Haus wie bei der Telekom, bei
der manche Kunden einfach nicht
zugeben wollen, daß sie dreißig Tage lang
rund um die Uhr alle zwei Minuten in der
Karibik oder im Fernen Osten angerufen
haben, wodurch die Monatsrechnung
über 130.000 Mark vollkommen berechtigt
ist.
Wie wird das wohl ausgehen? Vielleicht
so:
11.März: Das zuständige Gericht weist
in letzter Instanz die Beweislast Dir, liebe
BVG, zu. Auch sei es nicht Sache des
Fahrgastes zu kontrollieren, ob ein Abbuchungsvorgang,
den er mit seinen fünf
Sinnen gar nicht wahrnehmen und überprüfen
kann, stattgefunden habe.
12. März: Die Zahl der Schwarzfahrer
steigt täglich um dreißig Prozent.
16. März: „tick.et" wird außer Betrieb
gesetzt, eilends zusammengetrommelte
ABM-Kräfte verkaufen an den U-Bahn-Zugängen
im Schnelldruck hergestellte Ersatzfahrscheine,
die sie mit aus dem Museum
und einer Rumpelkammer geholten
alten Stempeln entwerten (die Meldung,
an einigen Stationen habe zu diesem
Zweck auch auf zu rechtgeschnitzte Kartoffeln
zurückgegriffen werden müssen,
erweist sich als böswillige Fälschung).
17. März: Auf Nachfragen der Presse
mußt Du nochmals betonen, daß die
inzwischen abgebauten Entwerter leider
nicht wieder installiert werden können, da
sie inzwischen nach Nordkorea verkauft
worden sind.
Mindestens zwei Wochen lang wirst Du,
liebe BVG, damit im Mittelpunkt nicht nur
der Berliner Medien stehen, sondern bundes-
und vermutlich europaweit die Kunde
vom „Verkehrskompetenzzentrum Berlin"
in die Welt tragen. Und dabei habe ich
noch gar nicht davon gesprochen, welch
Unterhaltungswert das fröhliche Treiben
von Computerhackern haben wird, die
schnell herausbekommen dürften, wie
man die - selbstverständlich absolut
sicheren und „unknackbaren" - Chips
manipulieren kann.
Oder was passieren wird, wenn man aus
Versehen zweimal an den Sperren vorbeirennt
(das Kleinkind war ausgebüchst),
den Bahnsteig vor Fahrtantritt doch
nochmal verlassen will (Oma hat vergessen,
wo sie eigentlich hinwollte, Mutti das
Bügeleisen nicht ausgeschaltet) oder beim
Umsteigen mehrmals abgezockt wird (da
fällt mir übrigens mein Supermarkt ein,
bei dem die Scanner-Kasse auch meist
zehn oder zwanzig Pfennig mehr berechnet
als am Regal als Preis angegeben
war). Ganz zu schweigen von dem Spaß,
wenn Du die Bahnsteigzugänge auch mit
mechanischen Sperren versehen willst -
denn nicht nur hast Du in den letzten
Jahren alle Zugänge freigeräumt; beim
Bau der jüngeren Stationen wurde auch
gar nicht mehr darauf geachtet, daß sich
problemlos wieder Sperren installieren
ließen.
Doch was soll's? Dich schmerzen ja
auch nicht die Investitionen für die „Zugfahrerselbstabfertigung"
(Spiegel, Kameras,
Notrufsäulen, Türöffnerknöpfe,
Wagen-Außenlautsprecher und natürlich
die Anzeigetafeln von „Daisy", die uns ermahnen,
mal wieder beim Augenarzt die
Sehkraft überprüfen zu lassen), die erst die
umfangreichen Neubauten für Aufsichtshäuser
und Zugabfertigerkanzeln überflüssig
gemacht haben und nun ihrerseits
wieder sinnlos geworden sind, da ja doch
wieder Personal auf den Bahnsteigen
postiert werden soll.
Ja, so sorgst Du, liebe BVG, immer wieder
für Abwechslung und Erheiterung.
Und nur Ewiggestrige behaupten, daß
immer mehr und kompliziertere Technik
auch immer mehr Fehlerquellen beinhaltet
und dafür sorgt, daß wenn mal was
schiefgeht, es auch gleich zum richtig
großen Chaos kommt.
Es bedankt sich Dein Jan Gympel Jan Gympel
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