Fernverkehr

Endgültiges Aus für den Transrapid zwischen Berlin und Hamburg: Eine Chance für den Ausbau des Schienenverkehrs?

Nach der jahrelangen Diskussion über den Bau der Transrapid-Strecke Berlin - Hamburg ist nun die verbindliche Entscheidung gefallen, auf diese Verbindung zu verzichten.

Bahnchef Mehdorn hat sich mit der Erkenntnis durchgesetzt, daß ein wirtschaftlich rentabler Betrieb dieser Strecke angesichts unrealistischer Fahrgastprognosen nicht möglich ist. Berücksichtigt werden muß dabei auch die Tatsache, daß die konventionelle Strecke über Wittenberge (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 2) mit einem Investitionsvolumen von 3,8 Millarden DM grundlegend saniert/elektrifitiert wurde bzw. einzelne Maßnahmen derzeit noch realisiert werden (beispielsweise der Umbau des Bahnhofs Neustadt (Dosse)) oder geplant sind (Umbau Bahnhof Wittenberge). Hinter den Kulissen wird nun fieberhaft nach Alternativstrecken gesucht, im Gespräch sind derzeit drei Flughafenzubringer nach Berlin-Schönefeld, zwischen Dortmund und Düsseldorf und nach München-Erding. All diesen Vorschlägen ist allerdings gemein, daß auch hier bereits alternative Anbindungen bestehen oder im Bau sind (zum Beispiel Fernbahnhof Düsseldorf Flughafen) und weiterhin der Geschwindigkeitsvorteil der Magnet-Schnellbahn nicht genutzt werden kann.

Nicht verwundert, daß in der Bundesregierung die eingeplanten und jetzt ungenutzten Mittel von 6,1 Milliarden DM Begehrlichkeiten geweckt haben, die - vom weiteren Ausbau der Bahnstrecke Berlin - Hamburg einmal abgesehen - erwartungsgemäß nicht auf eine Verbesserung des Schienenverkehrs zielen. So wurde zum Beispiel die zügige Realisierung der Altmark-Autobahn gefordert. Die IHK Berlin hält wegen der starken Zunahme des Straßenverkehrs Berlin - Hamburg und Berlin - Rostock den sechsstreifigen Ausbau der A 24 zwischen Berlin und dem Dreieck Wittstock für erforderlich. Daß die Bahnkunden in den Interregio-Zügen zwischen Ostbahnhof und Rostock wenig attraktive drei Stunden benötigen, interessiert offensichtlich niemanden.

Zug
Schnellfahrstrecke nahe Wustermark Foto: Christian Schultz, August 1999

Im folgenden sind Maßnahmen zusammengestellt, mit denen ein deutlich verbessertes Angebot für die Bahnkunden sowohl im Personennah-/-fernverkehr als auch im Güterverkehr erreichbar sind. Mit der zügigen Umsetzung kann nicht zuletzt die rot-grüne Bundesregierung auch die gern zitierte Förderung umweltschonender Verkehrsträger wie den Schienenverkehr unter Beweis stellen.

Ausbau der Strecke
Berlin - Wittenberge - Hamburg für 230 km/h

Unbestritten ist die zügige Realisierung. Mit einem Investitionsvolumen von rund 700 Millionen DM soll diese Strecke bis 2003 für eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h ertüchtigt werden, so daß zwischen Berlin und Hamburg eine Fahrzeit von rund eineinhalb Stunden erreicht werden kann. Wesentliche Ausbaumaßnahmen sind dabei die Beseitigung niveaugleicher Bahnübergänge und die Anpassung der Zugsicherung (Einbau der Linienzugbeeinflussung LZB).

Ausbau der Strecken
Berlin - Rostock und Berlin - Pasewalk - Stralsund für 160 km/h

Um in diesen seit Jahren vernachlässigten Relationen, die aber insbesondere für den internationalen Verkehr Richtung Dänemark/Schweden bedeutsam sind, attraktive Fahrzeiten im Vergleich zur Ausnutzung möglich zu machen, ist der abschnittsweise Ausbau für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h erforderlich.

Hervorgehoben muß die Notwendigkeit einer besseren Anbindung von Rostock, da insbesondere durch den Ausbau zum Tiefwasserhafen zuletzt hier wieder 1999 neue Rekordzahlen beim Güterumschlag und den Passagierzahlen erzielt wurden.

Weiterer Ausbau der Strecke
Stendal - Salzwedel - Uelzen

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 3 wurde überwiegend eingleisig wiederhergestellt. Ein zweigleisiger Ausbau würde dagegen einen besseren/pünktlicheren Betriebsablauf ermöglichen, da sich der Zeitaufwand bei Zugkreuzungen reduziert. Gerade auch für Güterzüge aus d em Raum Berlin - Brandenburg ist diese Strecke von Bedeutung, da der für Norddeutschland wichtige Rangierbahnhof Maschen direkt aus südlicher Richtung angefahren werden kann. Eine weitere wesentliche Aufwertung kann diese Strecke erfahren, wenn auch der Abschnitt Uelzen - Soltau - Bremen ausgebaut/elektrifiziert würde (siehe auch Signal 1/00).

Ausbau der Stammstrecke der Lehrter Bahn, Schnellfahrstrecke Berlin - Hannover

Der Mischbetrieb von Hochgeschwindigkeits- und Regionalbahn-Zügen ist in der Praxis unbefriedigend und geht zu Lasten der Kapazität der Schnellfahrstrecke und Pünktlichkeit der Züge. Speziell in der Relation Berlin - Rathenow muß das Hochgeschwindigkeitsgleis der Gegenrichtung zweimal niveaugleich gekreuzt werden (je einmal bei Wustermark und Rathenow). Durch die Trennung von Hochgeschwindigkeits- und Regionalverkehr läßt sich für Fahrgäste und den Betrieb eine erhebliche Verbesserung verwirklichen:

  • Vollständige Trennung von Hochgeschwindigkeits- und Stammstrecke zwischen Berlin und Rathenow. Dazu ist der Bau zweier Schnellfahrgleise zwischen Ribbeck und Bamme (ca. 18 km) erforderlich. Die Trasse im Trappenschutzgebietes ist bereits freigehalten.
  • Vollständige Elektrifizierung der Stammstrecke in zwei Baustufen a) Wustermark - Rathenow - Stendal und b) Stendal - Oebisfelde/Wolfsburg

Mit der Verlegung des Regionalverkehrs auf die Stammstrecke kann auch der Bahnhof Groß Behnitz wieder bedient werden. Nicht zuletzt entstehen mit diesem Ausbau Ausweichmöglichkeiten; Auswirkungen von stets möglichen Betriebsstörungen können so begrenzt werden.

Weiterer Ausbau der Frankenwald-/Saaletalbahn im Zuge der Relation Berlin - München

Der von der Trassierung her problematische und unterhaltungsaufwendige Abschnitt Lichtenfels - Saalfeld sollte durch teilweise Neutrassierung unter Berücksichtigung des Einsatzes von Zügen mit Neigetechnik für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ausgebaut werden. Hier kommt dem Ausbau Pressig-Rothenkirchen - Probstzella mit Rampen bis zu 28 Promille und Geschwindigkeitseinbrüchen bis auf 70 km/h besondere Bedeutung zu (siehe auch Signal 6/99).

Elektrifizierung der Strecke Reichenbach - Hof - Regensburg, Einsatz von Neigetechnik-Zügen

Unbefriedigend sind für den Bahnkunden beispielsweise bei Nutzung der Interregio-Verbindung 2162/2163 zwischen Berlin und Oberstdorf derzeit einerseits die langen Fahrzeiten, andererseits kommt es regelmäßig auf dem mit Dieselloks bespannten Abschnitt wegen der Abgasbelästigungen zu massiven Beschwerden von Reisenden. Mit Elektrifizierung des Abschnitts Reichenbach - Hof - Regensburg und Herrichtung der gesamten Strecke Leipzig - Regensburg - München für den Einsatz von Zügen mit Neigetechnik würde eine durchgreifende Verbesserung des Angebotes erreicht werden.

Bislang erfolgt bei den Baumaßnahmen für die „Sachsenmagistrale" nur ein Teilausbau dieser Strecke. Chancen für eine Entlastung der Strecke München - Nürnberg - Saalfeld - Leipzig zum Beispiel im Güterverkehr bestehen in der Praxis dadurch nur sehr eingeschränkt. Keinesfalls sollte es Ziel sein, Sachzwänge für den Weiterbau der Neu-/Ausbaustrecke Nürnberg - Ebensfeld - Erfurt zu schaffen, da diese Strecke einen unangemessen hohen Investitionsaufwand erfordert.

Auch im Vorortverkehr von Berlin sind noch einige Maßnahmen vonnöten

Zwar wurde die S-Bahn von der Berliner Stadtbahn her im Dezember 1998 westwärts bis zum Bahnhof Spandau nahe dem dortigen Rathaus endlich eröffnet. Aber in seiner Tiefe wird der Bezirk ausschließlich durch 12 Buslinien vom Rathaus her erschlossen, deren Haltestellen gerade der nachfragestarken Linen auch noch ungünstig zum S-Bahnhof liegen (siehe Tabelle Seit 13). Immerhin sechs dieser Buslinien führen in die Großsiedlungen, die am westlichen Stadtrand links und rechts der Lehrter Bahn (Richtung Hannover) sowie Hamburger Bahn liegen. Die durch die RE-Linien nach Neustrelitz, Wittenberge sowie Rathenow, Potsdam-Griebnitzsee bedienten Bahnhöfe in Staaken bzw. Albrechtshof werden im Vergleich zu einer S-Bahn-Bedienung nur mäßig angenommen. Bisher mußten Zubringerdienste durch die BVG zu den Regionalzügen wegen mangelnder Nachfrage des im Stadtverkehr weniger bedeutsamen Regionalzuges wieder eingestellt werden. Zu dem sind die Regionalstrecken aus den berlinfernen Regionen bereits heute an Ihrer Kapazitätsgrenze angelangt. Eine Frequenzerhöhung der andauernd haltenden Regio-Züge kommt wegen gemeinsam mit d em Schnellverkehr genutzter Abschnitte kaum noch in Frage, so daß sich diese Option mit dem Ausbau der Hamburger Bahn für höhere Geschwindigkeiten erst recht erübrigt.

Lösung wird nur die vollständige Trennung von Vorort- und Fernverkehr bringen, wie es sonst im Berliner Raum praktiziert wird. Insofern liegt die S-Bahn-Verlängerung Richtung Staaken und westliches Umland mit einer Neuordnung der Siedlungserschließung durch die BVG auf der Hand. Vorleistungen hierfür sind an der Hamburger Bahn Richtung Nauen erbracht. Teilweise liegen die Zugangsbauwerke (Treppen, Aufzüge) der Stationen schon so, daß sie Platz für das dritte und vierte Gleis sowie einen Inselbahnsteig lassen. Wo das nicht so ist, muß ohnehin eine Verschiebung der Station entlang der Strecke wegen der sinnvollen Busanbindung diskutiert werden.

An der Lehrter Bahn ist der zusätzliche Durchlaß an der Straßenbrücke Nennhauser Damm als Vorleistungen zu betrachten. Dieser wurde gleich mit dem Neubau der ICE-Strecke für den geplanten Transrapid als erstes Bauwerk miterrichtet, muß aber nicht nach dem Aus als Investitionsruine veröden. Zwar ist die Lehrter Bahn im Zielkonzept für die S-Bahn nicht berücksichtigt - ein Umdenken wird aber aus den oben genannten Gründen über Kurz oder Lang kommen müssen.

Umdenken auch aus Sicht des Immobilienmarktes

„Die erste Frage lautet immer: Gibt es eine S-Bahn-Anbindung? Wenn wir dann verneinen und stattdessen auf die Regionalbahn verweisen,.., ist man nur noch zweite Wahl" berichtet Jörg Rinke von der brandenburgischen Landesentwicklungsgesellschaft Wohnen in Dallgow gegenüber der Berliner Zeitung . So wird statt dessen für Wohnen im Havelland gerne mit der Bundesstraße B5 geworben. Die wird ja auch tatsächlich ausgebaut - und zwar autobahngleich bis Nauen!

Was Berlin dann mit seinem Wunsch- Modal-Split (80:20) für die Innenstadt macht, ist logisch: weiterträumen.

Deutscher Bahnkunden-Verband, Landesverband Berlin
IGEB, Abteilung Fernverkehr

aus SIGNAL 2/2000 (März/April 2000), Seite 16-17

 

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