Sollte die BVG zunächst die Kosten für das
81 Millionen-DM-Programm allein bezahlen,
so sieht der Beschleunigungsvertrag
doch ein Kosten-Splitting vor: 17 Millionen
DM zahlt der Senat, 42 Millionen DM kommen
aus dem Etat des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
und 22 Millionen DM
muß die BVG selbst beisteuern. Angemerkt
sei, daß die 42 Mio. DM aus dem
GVFG-Topf zu Lasten anderer ÖPNV-Projekte
gehen. Daß ein Verkehrsunternehmen
die Finanzierung von Ampelanlagen
(und zum Teil Straßenerweiterungen)
übernehmen muß, dürfte ein deutschlandweit
einmaliges Phänomen sein...!
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Eins, zwei, drei... vier Ampeln für die Straßenbahn können wahrlich keine Beschleunigung herbeiführen! Situation am SEZ. Foto: Alexander Frenzel, Juni 2000 |
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Den Anfang machte die Linie 6 zwischen
Platz der Vereinten Nationen und Hellersdorf
(der Bezirk Mitte wurde ausgeklammert).
Inzwischen wurden auch etliche
Lichtsignalanlagen entlang der Linie 1, 8
und der Linien 2, 3 und 4 umgebaut. Die
überwiegend aus den ÖPNV-Töpfen finanzierten
Baumaßnahmen sind teilweise beachtlich:
Fahrbahnen wurden verändert
oder durch Abbiegespuren erweitert,
(Stummel-)Fahrradwege angelegt und
Gehwege angepaßt, Fahrzeug-Zähleinrichtungen
in die Fahrbahndecke eingelassen
und teilweise völlig neue Schaltanlagen errichtet.
Intelligente Ampeln berechnen exakt
den tatsächlichen Verkehrsfluß und
helfen so, Staus weitgehend zu vermeiden.
Der Berliner Fahrgastverband hat untersucht,
wie die Beschleunigung in der
Praxis funktioniert und zeigt, was noch
verbessert werden muß.
Beschleunigung nach dem
„Berliner Modell"
Um es vorwegzunehmen: Eine absolute
Bevorrechtigung der Straßenbahn ist weder
geplant noch realisiert worden. Die
Straßenbahn wird „berücksichtigt", und
zwar im Rahmen der grünen Welle des Autoverkehrs.
Das kann bei einzelnen Anlagen
oder in bestimmten Tageslagen
durchaus gut funktionieren, führt in vielen
Fällen jedoch weiterhin zu Wartezeiten.
Bei sehr hohem Verkehrsaufkommen unterdrückt
eine Signalanlage auch einmal
die Zusatzphase für die Straßenbahn zugunsten
der Linksabbieger.
Es handelt sich also insgesamt gesehen
um einen Kompromiß, um eine Beschleunigung
nach „Berliner Modell". Aber immerhin
soll sich die Durchschnittsgeschwindigkeit
der Berliner Straßenbahn
von ca. 17 km/h auf ca. 21 km/h erhöhen.
Die BVG spart dadurch Ausgaben in Höhe
von ca. 3,5 Millionen DM jährlich und zusätzlich
eine einmalige Investitionssumme
in Höhe von ca. 85 Millionen DM durch reduzierten
Fahrzeugbedarf.
Referenzstrecke Linie 6
Inzwischen wurde die Linie 6 in weiten Teilen
fertig gestellt. Nach monatelangen
Nachbesserungen der Ampelprogramme
funktioniert die Beschleunigung im großen
und ganzen zufriedenstellend. Der angestrebte
Fahrzeitgewinn von sechs Minuten
wird nunmehr auch erreicht. Dadurch
können ohne Leistungseinbußen für den
Fahrgast zwei Züge und vier „Personaldienste"
eingespart werden.
Selbst an sensiblen Knotenpunkten wie
Landsberger Allee/Petersburger Straße beweist
ein intelligentes Ampelprogramm
zumindest am Tage, daß bis auf die Fußgänger
tatsächlich alle schneller vorankommen.
Bei anscheinend untergeordneten
Anlagen, beispielsweise an der Landsberger
Allee/Ebertystraße, ist zu manchen
Tageszeiten immer noch „der Wurm drin".
Und schließlich wurden noch nicht alle
Lichtsignalanlagen umprogrammiert: Die
Kreuzung Konrad-Wolf-Straße/Weißenseer
Weg wurde bei der Beschleunigung vergessen
und der über fünf Kilometer lange
Abschnitt im bisher ausgeklammerten Bezirk
Mitte besitzt noch erhebliche
Beschleunigungspotentiale.
Linie 8
Die Beschleunigung der Linie 8 (und damit
auch abschnittsweise der 18 und 27) wurde
inzwischen praktisch abgeschlossen.
Hier beträgt der Fahrzeitgewinn bis zu vier
Minuten. Die neuen Fahrzeiten traten mit
Fahrplanwechsel Ende Mai in Kraft.
Linien 2, 3 und 4 nach Weißensee
und Hohenschönhausen
Weniger positiv sieht die bisherige Bilanz
für die Strecke nach Weißensee und Hohenschönhausen
aus. Trotz abgeschlossener
Umbauarbeiten hat sich bei Probefahrten
noch kein durchgehender Fahrzeitgewinn
herausgestellt. Auch der neue Fahrplan
sieht keine Fahrzeitverkürzung vor.
Immerhin konnte die Pünktlichkeit der
Züge verbessert werden. In Weißensee
oder Hohenschönhausen handelt es sich in
vielen Fällen um „Anforderungsschaltungen",
die die Bahn bis zu 50 Sekunden
warten lassen. Allerdings werden auf dieser
Strecke die Programme etlicher Signalanlagen
angepaßt. Die BVG setzt eigens
Mitarbeiter zu dem Zweck ein, die Strecken
abzufahren und zu kontrollieren, wie
gut oder schlecht die Bevorrechtigung an
den einzelnen Anlagen funktioniert.
Leider wurde die Anlage Greifswalder
Straße/Danziger Straße nicht in die Umbaumaßnahmen
einbezogen. Nicht einmal
die Vorlaufzeit für die Anforderung wurde
geändert. Das führt immer wieder dazu,
daß zwar der Straßenverkehr Grün erhält,
die abfahrbereite Straßenbahn jedoch bis
zum nächsten Umlauf warten muß.
Linie 1
Auf der Linie 1 wurden einige Anlagen
zwischen Prenzlauer Tor und Prenzlauer
Promenade/Ostseestraße modifiziert. Hier
handelt es sich - abgesehen von der Fußgänger-Anlage
an der Immanuelkirchstraße
- allerdings nur um Anforderungsschaltungen,
die zusätzliche Freigabefenster für
die Straßenbahn senden. Der Fahrzeitgewinn
ist nicht meßbar.
Funkansteuerung fällt häufig aus
Gelegentlich gibt es noch Probleme bei
den über Funk angesteuerten Systemen.
Die Ansteuerung funktioniert nicht, die
Fahrer müssen die Anforderung manuell
per Schlüsselschalter anfordern. Da bei auf
diese Weise manuell angeforderten Phasen
auch keine Abmeldung erfolgt, senden
einige Anlagen die Freigabe für die
Straßenbahn noch nachträglich mehrmals
im Festprogramm. Durch diese überflüssigen
Freigaben wird nicht nur der Autoverkehr
behindert, auch der Beschleunigungseffekt
für die nachfolgenden Straßenbahnen
sinkt.
Programme fehlerhaft
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Greifswalder Straße/Grellstraße: Ranschleichen, abbremsen und anhalten. Erst folgen die Linksabbieger, eher die Bahnen der Linien 2, 3 oder 4 die Kreuzung passieren können. Foto: Johann-Christian Hanke |
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Auch bei der Senatsvorgabe „relative Beschleunigung"
kann ein guter Programmierer
das Beste für die Straßenbahn herausholen.
Und das ist an vielen Stellen
auch geschehen! Doch jeder, der beruflich
mit der Entwicklung von Software zu tun
hat, kennt das Problem: Unter Termindruck
nach "Schema F" zusammengeschusterte
Programme stecken voller Fehler.
Dabei muß es sich nicht um so abenteuerliche
Schaltungen wie in der Marzahner
Elisabethstraße handeln. Hier war monatelang
Straßenbahn und querenden
Fahrradfahrern gleichzeitig Grün gewährt
worden! Wenn man sieht, wie lange die
Senatsbauverwaltung benötigte, diesen
lebensgefährlichen Programmfehler auszuschalten,
wird klar, daß man sich mit
kleineren „Bugs" (Fehlern) auch heute auf
längere Sicht abfinden muß.
Und „kleine" Programmfehler gibt es
überall: Beispielsweise an der Kreuzung
Landsberger Allee/Ebertystraße. Hier versagt
vor allem nachts die Anforderung. In
vielen Fällen sieht der Fahrer zwar das „A",
jedoch „vergißt" die Anlage für mehrere
Minuten, die Phase für die Straßenbahn
freizuschalten. Wenn die stets verspäteten
Nachtwagen auch noch an der während
des Tages funktionierenden Anlage Landsberger
Allee/Petersburger Straße ewig bis
zum Abbiegen warten, fragt man sich, ob
den Programmierern hier nicht ein paar
Bits abhanden gekommen sind.
Heranschleichen an die Kreuzung
Ein weiteres Ärgernis: In vielen Fällen sind
die Ampelanlagen so geschaltet, daß die
Straßenbahnen beinahe im Schrittempo
an die Kreuzung heranschleichen bzw. das
Tempo kurz vor Annäherung an die Anlage
noch einmal erheblich reduzieren müssen.
Das ständige Bremsen und Beschleunigen
führt aber zu Fahrzeitverlusten, kostet
Energie und mindert den Fahrkomfort
für die Fahrgäste.
Anforderung nicht beeinflußbar
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Spätestens an der Hufelandstraße heißt es dann wieder Warten für die Straßenbahn. Auch hier ist mit Bevorrechtigung nur A wie Anforderung gemeint. Vor einigen Jahren wurde an dieser Stelle die Kfz-Linksabbiegespur auf das ehemals eigene Gleisbett der Straßenbahn gelegt. Foto: Johann-Christian Hanke |
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Ein anderes Manko des bisherigen Systems
ist, daß die Anforderung vom Fahrer nicht
beeinflußt werden kann. Die Auswirkung
zeigt sich am Nachtknotenpunkt Jan-Petersen-Straße.
Die Anforderung wird geschaltet,
wenn die N92 und N93 in die Haltestelle
einfahren, zu erkennen am „A".
Kurze Zeit später sendet die Anlage für
beide die Freigabe. Da es sich um einen
Nacht-Umsteigeknoten handelt, müssen
die Bahnen ca. drei Minuten in der Haltestelle
warten. Und wenn die Wagen dann
tatsächlich abfahren wollen, müssen beide
Fahrer aussteigen und die Anforderung
per Schlüsselschalter manuell einschalten.
Wie sehr die fehlende Beeinflussung den
übrigen Verkehr behindert, zeigt sich besonders
am Tage am schon zitierten Knoten
Landsberger Allee/Petersburger Straße.
Selbst die Linie 20 kann hier von einer teilweise
erheblichen Phasendehnung profitieren.
Doch hier findet häufig ein Fahrerwechsel
statt. Und so wird die Phase zwar
lange gedehnt, doch der Wagen fährt
nicht los. Schließlich benötigt der Ersatzfahrer
Zeit. Solche Sperrungen behindern
andere Verkehrsteilnehmer. Inzwischen
denken Techniker und BVG über ein System
nach, das die Freigabe mit der Türsteuerung
koppelt.
Mangelhafte Beschleunigung
im Nachtverkehr
Viele Nachtlinien schaffen trotz umgebauter
Lichtsignalanlagen die für die Nachtzeit
geltenden kürzeren Durchfahrzeiten nicht.
Im Gegenteil: Mit den Straßenbahn-Nachtwagen
ist man häufig auf der gleichen
Strecke länger unterwegs als am Tage. Die
Folge sind regelmäßige Verspätungen von
fünf bis sechs Minuten, zum Beispiel bei
der N54 in Richtung Weißensee/Hohenschönhausen.
Der Grund: Viele im Tagesverkehr
funktionierenden Anlagen verwandeln
sich nach 23 Uhr in reinste Schikaneschaltungen,
beispielsweise an der
Greifswalder Straße/Erich-Weinert-Straße:
Wartezeiten von bis zu 50 Sekunden sind
bei einer Fahrgastwechselzeit von zehn Sekunden
und bei wenig belebten Straßen
einfach inakzeptabel.
Hier muß nachgebessert werden!
Innenstadt bisher von
Beschleunigung ausgenommen
Bedauerlich, daß die Innenstadt von der
Beschleunigung ausgenommen ist. Gerade
hier ist die Bevorrechtigung wichtig
und bei den teilweise autobahnbreiten
Straßen rund um den Alex vertretbar.
Schließlich ist das angestrebte Ziel von
80 % Nahverkehrsnutzern im Innenstadtbereich
nur mit leistungsfähigen und
schnellen öffentlichen Verkehrsmitteln zu
schaffen. Die in der Boulevard presse zitierte
„Staufalle Alexanderplatz" gibt es nur
für die Straßenbahn. Dieser (politisch
wollte) Fehler im Beschleunigungsvertrag
wird wohl korrigiert: Verkehrs-Staatssekretärin
Krautzberger sagte im Gespräch mit
dem Berliner Fahrgastverband eine Beschleunigung
der Straßenbahn auch im Citybezirk
zu.
Aber nicht bei jeder „straßenbahnunfreundlich"
programmierten Innenstadt-Ampel mag man dem (alten) Senat bösen
Willen unterstellen. In manchen Fällen sind
die oben schon erwähnten 08/15-Programme
schuld. Warum müssen die von
der Mollstraße kommenden Linien der 8
oder 15 in Tempo 20 an die Fußgängeranlage
Keibelstraße heranfahren und kurz
vor der Ampel zusätzlich abbremsen? Mit
wenig Aufwand könnte man hier einen
Beschleunigungseffekt erreichen.
Fazit
Die BVG ist auf dem richtigen Wege, sie
setzt die Beschleunigung mit Engagement
in die Praxis um. Bleibt zu hoffen, daß sich
die Investitionen für BVG und Fahrgast,
im Endeffekt durch kräftige Fahrzeitgewinne
und die daraus folgende Attraktivitätssteigerung
auszahlen. Denn der finanzielle
Einsatz rechnet sich nur dann für den
Verkehrsbetrieb, wenn wirklich weniger
Straßenbahnen mehr Fahrgäste befördern.
Nur so können Züge und Personalkosten
eingespart werden und gleichzeitig
die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel
attraktiver werden. Bleibt zu hoffen,
daß unter dem neuen Verkehrssenator
Strieder und der neuen Staatssekretärin
Krautzberger die Straßenbahn-Beschleunigung
noch konsequenter umgesetzt wird
und die Straßenbahn auch im Bezirk Mitte
endlich schneller wird.
Und auch die BVG ist gefordert: Sie sollte
die Beschleunigung der Straßenbahn zu
einer breit angelegten Image-Kampagne
nutzen, damit sich die erfolgten Investitionen
durch neu gewonnene Fahrgäste
schneller amortisieren. IGEB,
Abteilung Stadtverkehr
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