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Wieder einmal wirst Du Opfer unberechtigter
Kritik: Da soll es doch allen Ernstes disziplinlose
Subjekte geben, die meinen, sie könnten
mit einem Expo-Zug fahren, bloß weil der
(mindestens) halbleer ist und sie eine Fahrkarte
haben! Denen hast Du es aber gezeigt:
Schließlich ist Deutschland das Mutterland und
noch immer eine Hochburg des Sozialismus,
nicht umsonst wurde bei uns die Planwirtschaft
erfunden, und da ist erstens der Kunde nur
Zuwendungsempfänger, der gefälligst dankbar
zu sein hat, wenn er überhaupt etwas
bekommt. Dementsprechend darf man nicht
nur nicht mit dem Expo-Zug fahren, wenn man
keine Extra-Expo-Zug-Fahrkarte hat, sondern
auch nur mit jenem Expo-Zug, für den man
zugeteilt worden ist. Zweitens wird
selbstverständlich bestraft, wer frech gegen die
Bürokratie, die doch in ihrem steten Ringen
nur das Beste für ihre Menschen will, aufmuckt.
Und drittens gilt noch immer: Vorschrift ist
Vorschrift! Was so eine richtige Bürokratie ist,
die hat sich noch nicht von der Realität beirren
lassen: Sie lenkt auch weiter Fahrgastmassen,
die gar nicht vorhanden sind und teilt ganz
streng Zugplätze zu, nach denen gar keine
Nachfrage besteht.
Man kann nur hoffen, daß in diesen
Monaten möglichst viele ausländische Gäste
mit Dir fahren, liebe Bahn AG, die dann mal
erleben können, wie attraktiv es ist, in
Deutschland zu leben: Service? Kundenfreundlichkeit?
Flexibilität? Nein: In einer Welt, in der
Mangelnde Flexibilität kann man Dir wirklich
nicht vorwerfen, jedenfalls nicht dort, wo sie
wirklich wichtig ist. In Potsdam zum Beispiel
näherst Du Dich Deinem offenkundigen Ziel,
im Rahmen eines Zehnjahrplans sämtliche
Bahnhofsnamen auszuwechseln: Erst wurde
Potsdam West zu Charlottenhof, dann
Potsdam Hauptbahnhof zu Pirschheide,
Potsdam Stadt zu Potsdam Hauptbahnhof,
Wildpark zu Park Sanssouci und jetzt Drewitz
zu Medienstadt Babelsberg.
Daraus ließe sich noch mehr machen: Wie
wäre es damit, jeden Winter einen Ideenwettbewerb
auszuschreiben, wie in der nächsten
Fahrplansaison die Potsdamer Stationen
heißen sollen? Nach dem Erfahrungen mit dem
wandernden Hauptbahnhof und der zum
Medienstadt mutierten Ufastadt (zwar nicht
der gleiche Bahnhof, aber der gleiche Bezugspunkt)
könnte man ja teilweise auch nur die
Schilder vertauschen. Das brächte viel Spaß für
wenig Geld. Touristen wie Einheimische würden
sich freuen, wenn sie in noch größerem
Maße als bislang schon dauernd umlernen und
ihre Stadtpläne und sonstigen Informationen
wegwerfen dürften. Handstreichartige und
planlose Umbenennungen (in der Ex-DDR ist
man an sowas noch gewöhnt) könnten das
Vergnügen zusätzlich steigern, gälte es doch
zu raten, wie der Bahnhof diese Woche heißt.
Außerdem würde man manche fremde Ecke
kennenlernen, wenn man sich erstmal richtig
verirrt hat. Nicht zuletzt könnten auf diese
Weise die segensreichen Touristenströme auch
noch in die hintersten Winkel geleitet werden.
Darauf freut sich
Dein Jan Gympel Jan Gympel
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