|
Weihnachten war die Zeit des Schenkens, und auch die BVG wollte
ihre Lieben mit einer Gabe bedenken. Dabei wußten wir Busbenutzer
im Berliner Südwesten jedoch noch nicht, auf welche
zukünftigen Genüsse wir da im Advent, der Zeit der Vorfreude,
eingestimmt wurden.
Denn im dicksten Weihnachtsgeschäft
setzte der Verkehrsbetrieb im vergangenen
November in dem, was er für „verkehrsschwache"
Zeiten hielt, plötzlich auf
den Linien 185 und 186 nur noch Eindecker
ein. Und zwar nicht etwa Gelenkbusse
oder die neuen, fünfzehn Meter langen
Dreiachser, sondern ganz normale, kurze
Eindecker. Erst dachte ich, die BVG habe
bei ihrem emsigen Bemühen um eine stegtige
Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs
wohl übersehen, daß
diesmal auch schon an den Novembersamstagen
die Geschäfte bis 18 Uhr geöffnet
haben durften, weshalb die Stunden
davor für die beiden Linien, die über
die Steglitzer Schloßstraße führen, alles
andere als „verkehrsschwach" waren.
|
Das waren noch Zeiten, als ausschließlich Doppeldecker auf dem 146 und 185 eingesetzt wurden. Foto: Marc Heller, Mai 1995 |
|
Doch dann fiel mir ein, daß die BVG ja
schon vor geraumer Zeit eine drastische
Reduzierung des Anteils der Doppeldecker
an ihrem Wagenpark verkündet hatte
und der Bestand mangels Neubeschaffungen
auch schon deutlich zurückgegangen
ist - inzwischen ist nicht einmal
mehr jeder vierte von zehn Bussen ein
„großer Gelber". Hinzu kommt, daß der
überalterte Wagenpark teils mit Korrosionsschäden
zu kämpfen hat, weshalb bei
einer Reihe von Fahrzeugen der Aufbau
saniert werden muß und diese nicht zur
verfügung stehen. All dies hat zur Folge,
daß zwar nicht die Fahrgastzahl, die befördert
werden können, wesentlich reduziert
würde - allerdings geht der Komfort
doch ein klein wenig zurück, denn während
beim Doppeldecker der Sitzplatzanteil
bei über achtzig Prozent liegt, beträgt
er beim Eindecker maximal vierzig.
„Wir müssen konkurrenzfähig werden",
hatte BVG-Sprecherin Mansfield zu dieser
Strategie einmal erklärt. „Die Konkurrenzfähigkeit
mit dem eigenen Wagen kann
sie damit wohl nicht gemeint haben",
hatte ich gedacht, mich damit aber ein
weiteres Mal als unverbesserlicher Nörgler
und Pessimist erwiesen. Denn in Wahrheit
steckt hinter der ganzen Sache ein
geniales neues Marketingkonzept der
BVG, wie man seither zwischen Vormittag
und frühem Nachmittag auf den beiden
genannten Linien beobachten kann.
Hat sich die BVG doch zum Glück auch
nicht an ihre Ankündigung gehalten, die
ganz- oder zeitweise Umstellung auf Eindecker
nur auf kürzeren Relationen vorzunehmen:
Der 186er fährt vom S-Bahnhof
Lichterfelde Süd durch Lichterfelde, Steglitz,
Friedenau und Schmargendorf bis
zum Roseneck, manchmal auch noch
weiter bis zum S-Bahnhof Grunewald.
Der 185er verkehrt vom gleichen Ausgangspunkt
bis zum Wittenbergplatz.
Und beide Linien sind zwei der wichtigsten
Zubringer zur Schloßstraße, die allem
Gejubel über die Friedrichstraße und
das Shoppingcenter am Potsdamer Platz
zum Trotz noch immer die zweitwichtigste
Einkaufsmeile in Berlin ist.
Und so kann man hier jetzt jeden Tag
beobachten, was wohl passiert, wenn
man die Fahrgäste, die einen Doppeldecker
gut füllen würden, mal eben in ein
halb so großes Gefährt quetscht. Wobei
es besonderen Spaß bringt, daß an jeder
Haltestelle ein großes Gewühle losgeht,
denn dummerweise wollen nicht alle Beförderungsfälle
einfach von A nach D kutschiert
werden, manche erdreisten sich
auch, schon bei B aus- oder erst bei C einzusteigen.
Dies alles ermöglicht nun nicht
nur interessante psychologische Studien
über den Zusammenhang zwischen der
Einschränkung des pro Person verfügbaren
Raumes und dem Wachstum von
Aggressivität. Auch zeigt sich die BVG
engagiert im Kampf gegen die Isolation
des Großstadtmenschen: Endlich einmal
kommt man seinen Mitbürgern so richtig
nahe, riecht ihren Atem, atmet ihre Ausdünstungen
ein, erhält jenen körperlichen
Kontakt, den doch so viele entbehren
müssen. Und erfährt ansatzweise auch,
was sie wohl eingekauft haben, sollten sie
leichtsinnigerweise versuchen, mit ein
oder zwei gefüllten Einkaufstüten den
Heimweg anzutreten.
Eine weitere Steigerung erfährt dieses
Vergnügen, wenn jemand mit einem Kinderwagen
ankommt. Doch am allerlustigsten
wird es, wenn dann auch noch eine
Überprüfung der Fahrausweise verfügt
wird. Damit sich die Kontrolleure Zeit lassen
können, wenn sie sich durch den
überfüllten Bus quetschen (was um so
länger dauert, als die meisten von ihnen
aussehen, als hätten sie die ersten dreißig
Jahren ihres Berufslebens mit einer Tätigkeit
verbracht, bei der man die ganze Zeit
sitzt und auch nie Lust auf Ausgleichssport
verspürt), bleibt dieser solange einfach
an der Haltestelle stehen. Angesichts
der Verspätung, die durch den umständlichen
Fahrgastwechsel an den Haltestellen
bereits entstanden ist, fallen diese
fünf Minuten auch nicht mehr ins Gewicht.
Und schließlich gilt es sicherzustellen,
daß nicht etwa der eine oder andere
Beförderungsfall auf den Gedanken
kommt, für einen solchen Service wie ihn
die BVG bietet, brauchte man eigentlich
nur noch jedes zweite Mal zu bezahlen.
Oder noch besser gar nicht mehr.
Den Ausnahmefall des ansonsten recht
rar gewordenen Kontakts mit BVG-Personal
sollte man allerdings nicht dazu nutzen,
sich gleich mal über das Absinken
von Komfort und Qualität zu beschweren,
derweil die Fahrpreise in einem Tempo
steigen, das sich offenkundig an der
Inflationsrate Brasiliens orientiert. „Sie haben
ja gar keinen Sitzplatzanspruch!"
wurde mir darauf neulich schlicht erwidert,
nach dem Motto: „Klappe halten
und dankbar sein, daß Du überhaupt mitgenommen
wirst!" Und richtig, die BVG
geht ja nicht nur von der durchaus richtigen
Überlegung aus, daß mit ihr sowieso
nur noch fährt, wer für den eigenen Wagen
zu arm, zu alt oder zu jung ist, sie
also kaum befürchten muß, noch mehr
Fahrgäste zu vergraulen als sie dies in den
letzten Jahren schon getan hat. Die BVG
weiß auch, daß sich aus all dem ein Erlebnis
machen läßt.
Denn mit der vermehrten Umstellung
auf Eindeckerbetrieb trägt das Verkehrsunternehmen
dazu bei, daß Berlin auf
dem Weg zum ersehnten Rang einer
Weltstadt einen weiteren Schritt vorankommt.
Busfahren wird auf diese Weise
zum Erlebnis, pardon „Event": Seit die
Fenster zunehmend mit Reklame zugekleistert
werden, können wir ja schon das
„Nachkriegsfeeling" genießen - durch die
Stadt kutschiert werden mit fast soviel
Ausblick wie anno '47, als es statt Scheiben
meist nur Pappe oder Blech gab. Nun
kommt das "Tokyo-Feeling" hinzu: Zusammengepfercht
wie in der U-Bahn der
japanischen Hauptstadt, wozu die BVG
sich hoffentlich bald auch der berühmten
Hilfskräfte bedienen wird, die die Fahrgäste
in die Wagen quetschen. Und das
nächste Feeling könnte dann noch mehr
Reklameflächen, Beförderungskapazität
und weniger Reparaturkosten bringen:
Man verzichtet konsequenterweise gleich
ganz auf Sitze und Fenster.
Jan Gympel
|