Leitlinie des StEP ist, daß die verbesserte
Nutzung der vorhandenen Infrastruktur
Vorrang hat vor dem Ausbau. Im Sinne der
Nachhaltigkeit und der Finanzlage kann diese
Richtung von den Verkehrsökologischen
Initiativen und Verbänden (VIV), die das
StEP-Verfahren begleiten, nur unterstützt
werden. Beim Straßenbahnnetz besteht -
ähnlich wie bei der S-Bahn in den 90er Jahren
- ein großer Nachholbedarf. Als Folge
der Teilung sowie des folgenschweren West-Berliner
Einstellungsbeschlusses von 1953
existiert nur noch ein Rumpfnetz in den östlichen
Stadtteilen mit lediglich einer Stichstrecke
in den ehemaligen Westteil Berlins.
Die im StEP genannten Neubaustrecken
bis 2015 enthalten wichtige Verbindungen
wie die in der Turmstraße oder der Potsdamer
Straße. Allerdings ergibt sich kein
schlüssiges Gesamtnetz, das die Potentiale
des vorhandenen Teilnetzes voll ausschöpft
und wichtige Netzlücken schließen kann.
Im Sinne von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit
ist ein entschlossener Ausbau
des Straßenbahnnetzes geboten. Er ermöglicht
der BVG überhaupt erst einen wirtschaftlichen
und für den Fahrgast attraktiven
Betrieb.
Konzept der AG Straßenbahn
Die AG Straßenbahn, ein Zusammenschluß
aus IGEB, BUND, BI Westtangente, Moabiter
Ratschlag und VCD, legt als Gegenentwurf
ein Konzept zum Ausbau des Berliner Straßenbahnnetzes
bis zum Jahre 2015 vor. Ziel
ist es, mit möglichst geringem Aufwand
eine möglichst große Verbesserung des
Angebots für den Fahrgast zu erzielen.
|
Nach Meinung der AG Straßenbahn darf am U-Bahnhof Warschauer Straße nicht Schluß sein mit dem Straßenbahn-Ausbau. Foto: Alexander Frenzel, März 2001 |
|
Grundlage der vorgeschlagenen Maßnahmen
bildet die im Oktober 2000 veröffentlichte
Studie „Straßenbahn für ganz Berlin"
von Holger Orb und Tilo Schütz. Im Unterschied
zu dieser bis ins Jahr 2038 angelegten
Planung mit einem angenommenen
Streckenausbau von zehn Kilometer pro
Jahr (jährliche Ausbauschritte in Paris oder
Bordeaux), geht das vorgestellte Strecken- und
Liniennetz mit jährlich 4,2 Kilometer bewußt
von einem geringeren Wert aus und
nähert sich somit dem Tempo im Verkehrskompetenzzentrum
Berlin an. Es soll
der Nachweis geführt werden, daß aus dem
heutigen Rumpfnetz auch mit begrenzten
Mitteln und unter weiter ungünstigen politischen
Rahmenbedingungen ein kompaktes
und betrieblich schlüssiges System entwickelt
werden kann.
Netz 2015 - die Investitionen
Das Netz 2015 umfaßt ein Volumen von 64
Kilometer. Bei angenommenen Baukosten
von 20 Millionen DM für den Kilometer kostet
dieser Ausbau also 84 Millionen DM
pro Jahr. Das entspricht ca. 30 Prozent der
jährlichen Investitionen in das Schienennetz
(S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn).
Hinzu kommen Kosten für Fahrzeugbeschaffungen.
Für das vorgeschlagene Netz
werden insgesamt 390 Züge, darunter 38
Zweirichtungsbahnen, benötigt. Das sind
120 Züge mehr als heute. Bei Anschaffungskosten
von 3 Millionen DM pro Fahrzeug
ergibt das eine Summe von 360 Millionen
DM. Der Bedarf an Zweirichtungsfahrzeugen
ist aus bereits getätigten Bestellungen
der BVG (45 Fahrzeuge) gedeckt.
Netz 2015 - das Angebot
Beim Netz 2015 handelt es sich um eine
bestandsorientierte Planung. Das zeigt sich
daran, daß zu den heutigen 28 Linien lediglich
drei hinzukommen. Die vorhandenen
Liniennummern werden weitgehend übernommen:
die Linien 1 bis 10 bedienen die
großen Radialen und werden durch 11, 15,
17, 18 und 19 ergänzt; die 20er Linien befahren
wie bisher die Ringe und Tangenten
und die 50er und 60er Linien erschließen
den Pankower bzw. Köpenicker Netzteil.
Das Grundgerüst der Netzerweiterung
bilden vier innerstädtische Korridore:
- Lehrter Bahnhof - Turmstraße - Jungfernheide
(im StEP enthalten)
- Alexanderplatz - Zoologischer Garten
über Französische Straße (im StEP
nicht enthalten)
- Alexanderplatz - Steglitz über Leipziger
Straße (im StEP bis Innsbrucker
Platz enthalten, Verlängerung nach
Steglitz offen)
- Moabit - Neukölln - Köpenick über
Lehrter Bahnhof - Regierungsviertel -
Potsdamer Platz - Hermannplatz -
Schöneweide (im StEP nicht enthalten).
Diese vier Korridore lassen ein sehr hohe
Fahrgastaufkommen erwarten. Durch Verlängerung
der in der östlichen Stadthälfte
vorhandenen Radiallinien in den Westteil
der Stadt entstehen Durchmesserlinien.
Damit wird das betrieblich vorhandene Potenzial
genutzt und das innerstädtische
Netz entzerrt. Die Zahl der in der City endenden
Linien kann drastisch reduziert werden.
Die Endstelle am Hackeschen Markt
kann als Regelendstelle ganz entfallen. Das
ermöglicht die Durchfahrung der gegenwärtigen
Aufstellanlage in der Großen Präsidentenstraße
und somit als völlig neue Linienführung
die Durchbindung der künftigen
Straßenbahnlinie 10 (heute: Linie 13)
von Prenzlauer Berg in Richtung Spittelmarkt
- Hallesches Tor - Mehringdamm.
Das Rückgrat der Netzkonzeption bildet
der Korridor Moabit - Neukölln - Köpenick.
Es handelt sich dabei um eine völlig neue
überbezirkliche Durchmesserlinie. Sie verbindet
wichtige Ziele miteinander, die heute
nur mit mehrmaligem Umsteigen zu erreichen sind.
Diese Relation wird von der 9
(Jungfernheide-Baumschulenweg) und 19
Lehrter Bahnhof - Köpenick, Müggelschlöschenweg) befahren.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem
Ausbau der Ring- und Tangentialverbindungen.
So wird die Osttangente bis Zwickauer
Damm (U 7) verlängert und besser vertaktet
(durchgehender 5-Minuten-Takt von
Gehrenseestraße bis Zwickauer Damm im
Tagesverkehr). Das ist zugleich der erste
Ausbauschritt für die Südtangente (heute
vom X11 bedient) nach Marienfelde und
Lichterfelde. Zwischen Hellersdorf und Köpenick
erfolgt der Lückenschluß nach
Mahlsdorf. Hier soll die Linie 62 künftig im
10-Minuten-Takt verkehren. Dazu ist die
Schaffung einer weiteren Ausweiche notwendig.
Weitere Ringschließungen sind von
Warschauer Straße nach Hermannplatz (Linien
20, 22) sowie von Beusselstraße über
Moabit zum Zoologischen Garten (Linien
23, 24) vorgesehen.
|
Linienverzeichnis der AG Straßenbahn. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren |
|
Das Pankower Netz wird in seinem heutigen
Angebot erhalten. Die AG Straßenbahn
wendet sich entschieden gegen Planungen,
die Linie 53 aus der Schönhauser Allee und
Kastanienallee herauszunehmen und die
Linie 52 in einer neu zu bauenden Schleife
an der Maximilianstraße (abseits des U-Bahnhof
Vinetastraße!) enden zu lassen.
Um einen reibungslosen Betrieb auf dem
derart gewachsenen Netz zu gewährleisten,
sind drei neue Standorte für Betriebshöfe
vorzusehen: Schöneweide (Neubau an der
Nalepastraße), Lichterfelde (Fläche des alten
Betriebshofes am Endpunkt der Strecke
nach Steglitz) sowie der vorhandene Betriebshof
Charlottenburg in der Königin-Elisabeth-Straße
(Endpunkt der westlichen
Netzerweiterung).
Fazit
Wir fordern für die nächsten 15 Jahre einen
entschlosseneren Netzausbau, als er im StEP
bisher vorgesehen ist. Städte wie Strasbourg,
Lyon, Sheffield, Portland und Barcelona
zeigen, wie man auch aus dem Nichts
heraus in wenigen Jahren umfangreiche
Straßen bahn netze verwirklichen kann. Berlin
braucht dagegen nur sein vorhandenes
Netz zu erweitern, um mit vergleichbar geringem
Aufwand eine enorme Verbesserung
des ÖPNV-Angebots zu erzielen und
somit dem Ziel eines stadtverträglichen
modal splits einen Schritt näher zu kommen.
Kontakt: AG Straßenbahn, c/o Bund für
Umwelt- und Naturschutz Deutschland,
Landesverband Berlin, Crellestraße 35,
10827 Berlin, Telefon 78 79 00 - 17.
Im Signal 5/2001 veröffentlichen wir zu
diesem Artikel das Liniennetz mit Streckenführung,
Anzahl der benötigten Fahrzeuge
usw. AG Straßenbahn
|