Fernverkehr

10 Jahre ICE-Verkehr: Eine Bilanz aus Fahrgastsicht

Am 2. Juni 1991 begann bei der Deutschen Bundesbahn das Zeitalter des Hochgeschwindigkeitsverkehrs. Durch Neubaustrecken, kurze Reisezeiten, mehr Komfort und Service und einem Quantensprung im Design war der ICE zum Inbegriff der modernen Bahn geworden. Der ursprüngliche Anspruch doppelt so schnell wie der Pkw, halb so schnell wie das Flugzeug gilt angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren zunehmend weniger.

Entwicklung des Liniennetzes

Mit 23 eingesetzten ICE-1-Triebzügen wurde ab Juni 1991 die Nord-Süd-Verbindung der Linie 6 Hamburg - Frankfurt/Main - Stuttgart - München bedient. Mit dieser Linienführung konnten Teile der Neubaustrecken Hannover - Würzburg und Mannheim - Stuttgart genutzt und zum Beispiel die Fahrzeit von Hamburg nach Stuttgart um fast zwei Stunden gekürzt werden.

Mit dem Sommerfahrplan 1992 wurde nach weiterer Lieferung und Abnahme auch die Linie 4 Hamburg - Hannover - Nürnberg - München mit dem ICE bedient.

Berlin und Brandenburg wurden ab 23. Mai 1993 mit der Linie 6 (neu: Hamburg/Bremen/Berlin - Kassel - Frankfurt/Main - Stuttgart - München) in das ICE-Netz integriert; aufgrund der nicht abgeschlossenen Bauarbeiten war anfangs Start-/Zielbahnhof Berlin-Lichtenberg. Außerdem fuhren die Züge den Umweg über Güterglück.

Zum Jahresfahrplan 1993/94 wurde ebenfalls die Linie 3 Hamburg - Frankfurt/Main - Karlsruhe eingerichtet; bereits seit September 1992 wurden auf dieser Linie einzelne ICE-Züge von/nach Zürich eingesetzt.

Seit 1. Juni 1997 besteht die ICE-Linie 10 Berlin - Hannover - Köln, wobei seit 27. September 1998 die Schnellfahrstrecke Berlin - Hannover Fahrzeitkürzungen ermöglichte.

Ab Mai 1999 wurden erstmals Neigetechnikzüge der Baureihe 415 eingesetzt: auf der ICE-Linie 2a Stuttgart - Singen - Zürich.

Seit 28. Mai 2000 werden die Linie 8 Berlin - Nürnberg - München und 9 Dresden - Leipzig - Frankfurt/Main auch mit Neigetechnikzügen ICE-T bedient, wobei seit 5. November 2000 auch Saarbrücken mit drei Zugpaaren integriert ist.

Nach der Expo wurde die EC-Linie in die neue ICE-Linie 5a Köln - Amsterdam umgewandelt. Seit 10. Juni 2001 verkehrt die Linie 17 Nürnberg - Hof - Dresden mit ICE-T (Baureihe 605), weiterhin erfolgte die Verlängerung der Linie 8 nach Hamburg/Kiel.

Fahrzeugkonzepte der ICE-Familie ICE-1 (Baureihe 401)

ICE
Ein ICE der dritten Generation im Werk Hennigsdorf. Foto: Christian Schulz, Oktober 2000

Anzahl: 59, Konzeption: Triebzug mit 12, 13 oder 14 Mittelwagen, Sitzplätze: 673 bei 12 Mittelwagen incl. Restaurant, Höchstgeschwindigkeit: 280 km/h, Indienststellung: ab 1990 (die erste komplette Einheit stand Anfang 1991 zur Verfügung). Für den Verkehr in die Schweiz sind 19 Züge mit Stromabnehmer- und Zugsicherungssystem der Schweizerischen Bahnen (SBB) ausgerüstet.

ICE-2 (Baureihe 402)

Anzahl: 44, Konzeption: Triebzug mit sieben Fahrgastwagen, davon ein Steuerwagen (Einsatz als Halbzug oder zwei Einheiten gekuppelt als Langzug), Sitzplätze: 368, zusätzlich 23 im Restaurant, Höchstgeschwindigkeit: 280 km/h, Indienststellung: ab 1996. Zur Komfortverbesserung haben diese Fahrzeuge luftgefederte Drehgestelle der Bauart SGP 400 erhalten.

ICE-3 (Baureihe 403 -Einsystemzug-, Baureihe 406 -Mehrsystemzug-)

Anzahl: 37 der Baureihe 403, 13 der Baureihe 406, zusätzlich vier Stück für die Niederländischen Eisenbahnen, Konzeption: Triebwagenzug als achtteilige Einheit, Sitzplätze: 391 bei Baureihe 403, 380 bei Baureihe 406, zusätzlich jeweils 24 im Restaurant, Höchstgeschwindigkeit: 330 km/h im Wechselspannungs-, 220 km/h im Gleichspannungsnetz, Indienststellung: ab 2000. Gegenüber dem ICE 2 wurde mit dem Einsatz von - ebenfalls luftgefederten - Drehgestellen der Bauart SGP 500 eine nochmalige Verbesserung des Fahrkomforts erreicht.

ICE-T (Baureihen 415 und 411)

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Der ICE ist zum Inbegriff der modernen Bahn geworden. Doch kurze Fahrzeiten auf einigen Strecken nutzen wenig, wenn Zuführungsstrecken vernachlässigt werden oder ein Fahrkartenkauf mit überlangen Wartezeiten verbunden ist. Foto: Christian Schultz, Abstellbahnhof Rummelsburg

Anzahl: 11 fünfteilige Züge der Baureihe 415, davon 5 Einheiten mit zusätzlicher Ausrüstung für die SBB und den Einsatz auf der Strecke Stuttgart - Zürich, 32 siebenteilige Züge der Baureihe 411, Konzeption: Triebwagenzüge mit Neigetechnik, System FIAT (die Neigung des Wagenkastens beträgt maximal 8° bei bogenschnellem Fahren), Sitzplätze: 250 bei Baureihe 415; statt des Restaurants wird ein Bistro angeboten 357 bei Baureihe 411, zusätzlich 24 im Restaurant, Höchstgeschwindigkeit: 230 km/h, Indienststellung: ab 1999.

ICE-TD (Baureihe 605)

Anzahl: 20, Konzeption: dieselelektrische Triebwagenzüge mit Neigetechnik; abweichend von den Baureihen 415 und 411 kommt eine elektromechanische Neigetechnik der Firma Siemens SGP-Verkehrstechnik zum Einsatz (Wagenkasten-Neigung beträgt maximal 8° bei bogenschnellem Fahren); zur Verbesserung des Fahrverhaltens sind diese Drehgestelle luftgefedert, Sitzplätze: 195; statt des Restaurants wird ein Bistro angeboten, Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h, Indienststellung: ab 1999. Von der DB AG sind weitere 28 ICE-T für rund 800 Millionen DM nachbestellt, weiterhin sollen auch 13 ICE-3 im Wert von rund 500 Millionen DM beschafft werden. Sie sollen 2004 zur Verfügung stehen.

Entwicklung der Verkehrsleistungen seit 1992

Ende Mai 1992, ein Jahr nach der Einführung des ICE-Angebotes, wurden rund zehn Millionen Reisende befördert; dahinter verbergen sich ca. 3,3 Milliarden Personenkilometer. 1995 nutzten bereits 24,6 Millionen Reisende das ICE-Angebot, bzw. es wurde eine Verkehrsleistung von 8,74 Mrd. Personenkilometern (Pkm) erbracht. 2000 wurden mit den ICE-Zügen 41,6 Millionen Fahrgäste befördert, bzw. 13,92 Milliarden Pkm erbracht (zum Vergleich: Intercity/Eurocity: 48 Millionen Reisende und 11,3 Mrd. Personenkilometer; Interregio 59,8 Millionen Fahrgäste, 7,83 Milliarden Personenkilometer).

Das Produkt ICE: Wirklich nur Grund zum Jubeln?

Beispiel: Reisezeiten...

Die Strategie, den ICE als Hochgeschwindigkeitszug auf Linien einzusetzen, die auf ihrem Laufweg einen hohen Anteil von Schnellfahrstrecken nutzen, gilt zumindest bei den Linien 8, 9 und 17 nicht mehr. Der Anspruch „doppelt so schnell wie der Pkw, halb so schnell wie das Flugzeug" charakterisiert den ICE auf diesen Linien nicht, denn die Infrastruktur-Voraussetzungen sind hier nur teilweise gegeben! So benötigt beispielsweise der ICE-T zwischen Berlin Zoologischer Garten und München Hauptbahnhof eine Fahrzeit von rund sieben Stunden. Die mit den ICE-Tarifen verbundene Fahrpreiserhöhung bei nur eingeschränkt reduzierten Fahrzeiten bringt vorrangig finanzielle Nachteile für den Kunden!

Beispiel: Komfort

Der bei Einführung der ICE-Züge der ersten Generation (Baureihe 401) geltende Grundsatz, Schnelligkeit mit einem Höchstmaß an Komfort und Service zu verbinden, wurde nicht zuletzt unter dem anhaltenden Kostendruck bei nachfolgenden Baureihen aufgeweicht. Beim ICE-1 wurden noch Wünsche der Reisenden berücksichtigt: es bestand eine Wahlmöglichkeit zwischen Einzel- und Großraumabteilen. Bei den nachfolgenden Baureihen gibt es, abgesehen vom Mutter/Kind-Abteil, ausschließlich Großraumabteile. Lediglich in der 1. Klasse sind beim ICE-3 einige Abteile und beim ICE-T halbhohe Trennwände mit Abteilwirkung vorhanden.

Während der ICE-2 noch eine Wagenkastenbreite von 3020 mm hat, beträgt die Fahrzeugbreite beim ICE-T mit Rücksicht auf die Neigetechnik nur 2842 mm. In der 2. Klasse bedeutet dies bei der Sitzanordnung 2+2 einen spürbaren Komfortverlust.

Im Gegensatz zu dieser Entwicklung sei an das hohe Komfortniveau im IC-Wagen, 2. Klasse (Bauart Bvmz 185) erinnert, bei dem in einer Abteil-/Großraum-Mischbauweise den Reisenden 64 bequeme Sitzplätze geboten werden.

Beispiel: Transport von Gepäck...

Nicht zufriedenstellend ist beim ICE, zumindest in den Großraumabteilen, die Unterbringung von Gepäck. Für einen Familienurlaub sind die Fahrzeuge unzweckmäßig (besonders wenn auch ein Kinderwagen mitgeführt wird) und zu sehr auf den Geschäftsreiseverkehr ausgerichtet.

Ein Nachteil der Großraumabteile sind bei Zwischenhalten nicht zuletzt Belästigungen durch unausweichliche Drängeleien oder durch über die Köpfe hinweg bewegtes Gepäck; ein Problem, das es in dieser Form beim Flugverkehr nicht gibt!

Weiterhin ist die Fahrradmitnahme beispielsweise im ICE-T nur als Option berücksichtigt, bzw. zur Zeit lediglich auf der Linie 2a Stuttgart - Zürich realisiert.

Beispiel: Ersatz von Interregio- durch ICE-Verbindungen...

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Im Rahmen der Schienenverkehrs-Wochen 1999 war unter anderem auch der Besuch des ICE-Betriebswerks Berlin-Rummelsburg möglich. Foto: Christian Schultz

Mit dem bestehenden Interregio-Angebot, das die DB AG bis 2003 durch andere Produkte ersetzen möchte, werden bislang umsteigefreie Verbindungen speziell auch in Urlaubsgebiete hergestellt. Künftig muß der Reisende durch den (mangels Alternativen) Zwang der ICE-Nutzung zum einen vermehrt umsteigen, zum anderen dafür auch einen höheren Fahrpreis entrichten. Vergessen werden bei dieser Angebotsplanung Kundengruppen wie Urlaubsreisende, Familien und ältere Fahrgäste, die einen zusätzlichen Umsteigezwang als unattraktiv empfinden. Es ist daher nicht auszuschließen, daß Fahrgastzuwächse im Schienenverkehr nicht oder nur eingeschränkt eintreten, stattdessen aber die Auto- und Bustouristik profitieren.

IGEB, Abteilung Fernverkehr

aus SIGNAL 4/2001 (Juli-August 2001), Seite 17-18

 

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