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Neues Tarifsystem
ab Dezember 2002
Zunächst wurde das neue Tarifsystem von
vielen, auch von den Fahrgastverbänden,
überwiegend positiv bewertet. Wegen der
vielen Schwächen des derzeitigen Systems
stieß die Werbung der Bahn, das neue System
würde für viele billiger und zudem einfacher,
auf offene Ohren. Aber dennoch
sollte das neue System genauer an seinen
eigenen Ansprüchen gemessen werden.
Der Einführung von Relationstarifen stimmen
wir grundsätzlich zu. Diese Relationspreise
dürfen jedoch nicht teurer sein als die
heutigen Preise, ihre Ermittlung muss für
den Bahnkunden nachvollziehbar sein. Einige
Punkte des neuen Systems kann man -
gerade in Hinblick auf die Konkurrenz Auto
- nur begrüßen, etwa die kostenlose Mitnahme
von Kindern bis 12 Jahren in Begleitung
der Eltern oder die günstigen Mitfahrertarife.
Diese Vorteile werden aber mit diversen
Nachteilen erkauft.
Bahncard 50% beibehalten!
Die Abschaffung der Bahncard 50% halten
wir für falsch. Für viele bisherige Stammkunden
werden wegen des auf 25% reduzierten
Rabattes die Fahrkarten um 50%
teurer. Diese Ermäßigung kann sich zwar
erhöhen, denn die neue Bahncard kann
auch auf die zukünftigen Rabattangebote
angerechnet werden. Jedoch gelten diese
stets nur unter bestimmten Bedingungen.
Vielen Stammkunden bringen diese Rabatte
nur wenig Nutzen:
Für Reisende, die nur in Nahverkehrszügen
unterwegs sind, sind gar keine Frühbucherrabatte
vorgesehen. In Relationen
wie Berlin - Rostock oder Berlin - Görlitz
werden Stammkunden dreifach bestraft: sie
werden in oft vollen Zügen ohne Reservierungsmöglichkeit
mit teilweise niedriger Reisegeschwindigkeit
befördert und müssen
zukünftig noch mehr dafür bezahlen.
Auch für andere bisherige Bahncard-Nutzer
im Regionalverkehr, etwa Kunden, die
bis zu dreimal pro Woche zwischen Wohn- und
Arbeitsort pendeln oder Wochenendausflügler
ins Umland wird es um die Hälfte
teurer. Vergessen wird bei Diskussionen,
daß auch keineswegs jeder Fernverkehrsreisende
in den Genuß der neuen Rabatte
kommt. Die Durchschnittsreiseweite im
Fernverkehr liegt bei derzeit 230 Kilometer,
mit sinkender Tendenz. Reisen auf solchen
relativ kurzen Entfernungen werden von
den wenigsten lange im voraus geplant.
Ohne Vorausbuchung und Festlegung auf
einen Zug gibt es aber keine weiteren Rabatte.
Daher fordern wir die Erhaltung der
Bahncard 50 % (neben der neuen Bahncard
25 %). Unabhängig davon begrüßen wir
Planungen, die Bahncard zum Beispiel
durch Anerkennung in allen Verbünden und
andere Maßnahmen zu einer „Mobilitätscard"
aufzuwerten.
Die Kontigentierung
kann die Fahrgäste teuer
zu stehen kommen
Der Wegfall bisheriger Vergünstigungen soll
durch ein System aus Vorausbuchungsrabatten
kompensiert werden. Die sind an
recht restriktive Bedingungen geknüpft. Insofern
sind die Verbilligungen im neuen
Preissystem zu relativieren, weil die dafür
erhaltenen Leistungen nicht den heutigen
entsprechen. Die Rabatte sind nicht nur vorausbuchungspflichtig
und an die Festlegung
auf einen bestimmten Zug gebunden,
sie sind zudem kontigentiert, daß heißt nur
im begrenztem Umfang erhältlich. In
Schwachlastzeiten wird dies kein Problem
sein, aber ein Wochenendpendler wird am
Freitag oder Sonntag Schwierigkeiten bekommen,
billige Fahrscheine zu erhalten.
Dies ist ein durchaus gewünschter Effekt
seitens der Bahn, um die Auslastungsspitzen
zu senken. Hartmut Mehdorn in der
Zeitschrift „mobil", Heft 8/01: „Ja, das müssen
wir machen, wenn wir mehr Menschen
auf die Bahn holen wollen. Es ist doch unsinnig,
in Zügen, die zu 120 oder 130 Prozent
besetzt sind, immer noch 50 Prozent
Rabatt zu geben. Deshalb werden wir da,
wo die Züge voll sind, nur noch wenig Rabatte
geben, und da, wo die Züge leerer
sind, gibt es mehr als heute. Dann entscheiden
sich Leute, die flexibel sind und längerfristig
planen können, statt freitags abends
schon am Vormittag oder am Donnerstag
zu fahren und sparen dabei noch eine Menge
Geld. So wird es auch für alle angenehmer
und bequemer."
Das klingt zunächst plausibel, bei näherer
Betrachtung wird klar, daß die auch bei den
Bahnkundenvereinen weitverbreitete Annahme,
mit den neuen Tarifen oft billiger zu
fahren, sich mit großer Wahrscheinlichkeit
als falsch erweisen wird. Die wenigsten Leute
fahren aus Spaß zu Spitzenzeiten, sondern
weil zum Beispiel ihre Arbeitszeitregelung
das erfordert. Ihnen droht eine kalte
Tariferhöhung durch die Kontigentierung
beim Wegfall bisheriger Rabatte.
Aus marktwirtschaftlicher Sicht bleibt die
Frage, ob ein Unternehmen, das mehr Kunden
haben möchte, gut beraten ist, wenn
es eine Änderung ihrer Gewohnheiten verlangt.
Viele dieser Kunden verfügen über ein
Verkehrsmittel, das unabhängig von Reisezeit
und Vorausbuchung immer gleich viel
kostet.
Kontigentierte Fahrkarten können nur bis
zum Ablauf der jeweiligen Vorausbuchungsfrist
zurückgeben werden. Wer seinen
Zug verpaßt, kann nicht einfach einen
anderen gegen Zahlung des Unterschiedsbetrages
nutzen, sondern muß dann neben
seiner wertlos gewordenen rabattierten
Fahrkarte noch den Vollpreis bezahlen.
Ein einfaches Tarifsystem?
Man muß sich fragen, wie es eigentlich mit
der vielbeschworenen Übersichtlichkeit des
neuen Systems wirklich ist. Zukünftig hat
man ein Nebeneinander aus Grundpreis,
Bahncard, Mitfahrerermäßigung und drei
Rabatten. Ist das wirklich einfacher?
Noch schlimmer: ein Kunde, der zum
Schalter geht, um für eine Reise eine rabattierte
Fahrkarte zu erwerben, weiß gar
nicht, ob sie dank Kontigentierung überhaupt
verbilligt ist. Ein transparentes Preissystem
sieht anders aus!
Trickreiche Kunden können auf den Gedanken
kommen, statt eines ausgebuchten
Kontigents vielleicht ein Kontigent auf Teilstrecken
zu nutzen, oder auch mal 1. Klasse
zu fahren, wenn dort noch Plätze frei
sind. Nahverkehrsreisende, die keinen Vorausbucherrabatte
bekommen können, können
vielleicht auch ein Stückchen Fernzug
mitnutzen. Für Kunden, die schon jetzt die
besten Wege durch den vielbeschworenen
„Tarifdschungel" finden, bieten sich jedenfalls
auch fortan Möglichkeiten. Und das,
könnte man, als einen der größten Vorteil
des neuen Tarifssystems ansehen.
Sehr zu denken geben die heftigen Reaktion
der Bahn auf kritikische Stimmen. So
sagte Mehdorn auf eine (inhaltlich korrekte)
Kritik: „Wir haben nicht die Absicht, uns die
insgesamt positive Resonanz in der Öffentlichkeit
auf unser neues Preissystem dadurch
zerreden zu lassen, daß wir auf den
zu Papier gebrachten Unsinn der so genannten
Initiative auch noch eingehen. Da
leiden offensichtlich ein paar Leute unter
Profilneurose, die wollen wir nicht auch
noch fördern. Wir haben das Papier wegen
der zahlreichen Falschbehauptungen unseren
Rechtsanwälten übergeben."
Statt Preiserhöhungen
die Wünsche der Kunden bedienen
„Für Millionen Menschen wird Bahnfahren
billiger" wie die Deutsche Bahn AG es
nennt, mag für einen Teil der Kunden zutreffen.
Für Millionen andere Kunden, sei es,
weil sie Regionalzüge nutzen oder auf
durchschnittlich langen Strecken unterwegs
sind oder weil sie zeitlich nicht flexibel sind,
wie die Bahn es gerne hätte, sei es, weil ihre
Sonderangebote wegfallen, wird es keineswegs
billiger. Für Millionen Stammkunden
wird es teurer.
Maßnahmen wie Kontigentierung mögen
vielleicht kurzfristigen Rentabilitätsinteressen
der Bahn dienen. Ob sie auf lange Sicht
mehr Kunden anlocken darf aber bezweifelt
werden. Dieses ist letztlich nicht nur zum
Nachteil für die Bahn, sondern trägt (worauf
wir als Fahrgastverband achten müssen)
auch nicht zu einer nachhaltigen Verkehrswende
bei. Wir brauchen eine Bahn, die
sich durch Vorhalten des entsprechenden
Wagenmaterials und angemessener Netzkapazitäten
auf regelmäßige Nachfragespitzen
einstellen kann, und darauf nicht nur
mit verkappten Preiserhöhungen reagiert. IGEB
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