Seit mehreren Jahren sind Standards Teil
der Berliner Nahverkehrsplanung. Mit Kenngrößen
über die Entfernung zur nächsten
Haltestelle oder Reisezeiten zwischen Bezirkszentren
werden Defizite im Angebot
aufgedeckt und Verbesserungen geplant.
In einer Präsentation zum Nahverkehrsplan
2010-2014 hieß es: „Standards haben sich
überwiegend bewährt und werden erfüllt,
sie sichern eine hohe Qualität des Berliner
ÖPNV“.
Eine hohe Qualität, die aber für wesentliche
Bereiche des Berliner ÖPNV nur auf dem
Papier steht. In der Realität erlebt man, dass
gerade auch auf Metrobus-Korridoren mit
planmäßig sehr gutem Angebot der Frust
bei den Fahrgästen tief sitzt.
M 48/M 85 im 5-Minuten-Takt –
theoretisch
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Ein großes Problem bei den Busspuren in Berlin ist, dass die Busse oft durch Lieferverkehr und parkende Pkw behindert werden. Abschleppen (so wie hier am Rathaus Steglitz) und Bußgelder gibt es viel zu selten. Foto: Florian Müller |
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Die Linien M 48/M 85 sind ein Beispiel für ein
hervorragendes Angebot. Tagsüber täglich
im 5-Minuten-Takt verbinden sie das Steglitzer
Zentrum entlang dicht bewohnter Viertel
mit einem großen Einzelhandelsangebot
direkt mit dem Potsdamer Platz. Tatsächlich
findet der 5-Minuten-Takt eher zufällig oder
am Sonntagvormittag statt. Häufig kommen
zwei, manchmal drei Busse im Pulk, dazwischen
gibt es lange Wartezeiten. Bis man
sein Ziel erreicht hat, sind weitere Minuten
außerplanmäßig auf der Strecke geblieben.
Die tatsächliche Gesamtreisezeit kann so
nur mit Mühe mit dem Fahrrad konkurrieren.
Und dies 13 Jahre (!) nach Vereinbarung
des Busbeschleunigungsprogramms. Wie
konnte es dazu kommen?
Bei Straßenbahnprojekten fließt selbstverständlich
viel Energie in die Planung der
Trasse und der Haltestellen – auch wenn das
Ergebnis nicht immer zufriedenstellend ist.
Bei Bussen begnügen sich die Verantwortlichen
zumeist mit dem Aufstellen von Haltestellenmasten
und lassen den Bus ansonsten
im Verkehr „mitschwimmen“. Teilweise
werden Busspuren eingerichtet, jedoch
nicht zusammenhängend und mit ständig
wechselnden zeitlichen Begrenzungen.
Das Busbeschleunigungsprogramm hat
sich vor allem auf Ampelschaltungen konzentriert.
Doch das reicht nicht. Auch gut
funktionierende dynamische Grünphasen –
wenn Sie nicht von der Verkehrsleitzentrale
auf Grund „besonderer Verkehrslage“ abgeschaltet
werden – nutzen nichts, wenn der
Bus vor der Ampel im Stau steht.
Entlang der Strecke des M 48 gibt es einige
größere Staufallen wie z. B. die Kreuzung
Zehlendorf Eiche, die eine grundsätzliche
Frage nach der Priorisierung der Verkehrsarten
aufwerfen. Daneben gibt es aber auch
viele kleine Mängel, die die Busse an ihrer
zügigen Fahrt hindern und denen offenbar
wenig Beachtung geschenkt wird. Viele
einzeln betrachtet unscheinbare Verzögerungen
summieren sich hier zu Unregelmäßigkeiten
von mehreren Minuten, die Pulkbildung
und lange Wartezeiten auch ohne
Staus verursachen.
Haltestellen zu weit hinter den
Kreuzungen
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Die erfreuliche Zunahme beim Radverkehr wird für die Busbeschleunigung zum Problem. Dort, wo es möglich ist, muss die Busspur so breit sein, dass der Bus den Radfahrer überholen kann, ohne die Busspur verlassen zu müssen. Foto: Marc Heller |
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Die Geltungsdauer der Busspuren auf dem Straßenzug Potsdamer/Haupt-/Rheinstraße ist uneinheitlich und viel zu kurz. Oft ist am Sonnabendmittag ähnlich viel Verkehr wie zum Beispiel am Mittwochnachmittag. Foto: Marc Heller |
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Einer der unscheinbaren Mängel sind zu
weit hinter einer Kreuzung liegende Haltestellen,
die zwischen Kreuzung und Haltestelle
einige (gefühlt) legale Halteplätze
für Pkw und Lieferwagen zulassen und ein
geradliniges Anfahren der Haltestellen unmöglich
machen; Beispiele sind die Haltestellen
Hähnelstraße und Kärntner Straße
Richtung Mitte und Bülowstraße Richtung
Steglitz, wo sogar extra ein Bereich zum
Be- und Entladen zwischen Kreuzung und
Haltestelle ausgewiesen ist. Teilweise wird
dies mit Grundstücksausfahrten begründet,
doch muss man fragen, ob die von der
Kreuzung abgerückte Lage immer die einzig
mögliche Lösung darstellt.
Insgesamt ist die Sichtbarkeit der Haltestellen
als Zugangsstellen für Fahrgäste
unzureichend. Die Ausstattung der Haltestellen
des „Premiumprodukts“ Metrobus
beschränkt sich oft auf einfache Haltestellenmasten,
die allzu leicht(fertig) übersehen
werden. Notwendig wären gut erkennbare
„Bussteigkanten“ mit Sonderborden, die direkt
hinter der Kreuzung beginnen mit gut
sichtbarer Ausweisung und Markierung des
Halteverbots.
Ein weiterer Mangel sind Busspuren, die
50 m vor einer Kreuzung enden, um Platz
für eine Abbiegerspur zu schaffen (Kaisereiche,
Ben-Gurion-Straße). Das Problem
sind weniger die fehlenden 50 m, sondern
ein psychologischer Effekt: Staut sich der
Verkehr tatsächlich, ist die Hemmschwelle
für Autofahrer, vorzeitig auf die ohnehin in
Sichtweite endende Busspur auszuweichen,
sehr niedrig. Stehen erst einmal mehrere
Pkw auf der Busspur, macht sich zum Beispiel
auf der Rheinstraße der am Breslauer
Platz nachfließende Individualverkehr gar
nicht mehr die Mühe, sich links von der Busspur
einzuordnen. Das Ergebnis: Zu Zeiten,
wo die Busspur ihre Wirkung wenigstens bis
zum Ende der Markierung entfalten könnte,
ist sie schnell selber zugestaut.
Busspurzeiten zu kurz und
unübersichtlich
Zur Akzeptanz der Busspuren tragen auch
nicht die ständig wechselnden, in kleiner
Schrift auf die Verkehrsschilder gedruckten
Geltungsdauern bei. Man müsste als Autofahrer
anhalten, um kurz zu studieren, ob
das Befahren der Busspur gerade legal ist
oder nicht.
Spurlos an manchen Busspuren vorbeigegangen
ist auch der Wandel des Verkehrsaufkommens.
Einkaufs- und Freizeitverkehr
haben an Bedeutung zugenommen, die
Arbeitszeiten verteilen sich breiter über 6
oder 7 Tage in der Woche. Der Verkehr auf
der B1 ist am Sonnabendmittag nicht von
Mittwochnachmittag zu unterscheiden. Viele
Busspuren sind jedoch am Wochenende
aufgehoben. Notwendig wären durchgehende
Busspuren mit einheitlicher ausgedehnter
Geltungsdauer.
Auch muss die Sichtbarkeit der Busspur
weiter verbessert werden. In New York werden
z. B. reflektierende Noppen zusätzlich
zur dicken durchgezogenen Linie auf dem
Fahrbahnbelag getestet. Die Lichtpunkte
signalisieren dem Verkehrsteilnehmer auch
in der dunklen Jahreszeit: Achtung, dies ist
ein Sonderstreifen.
Konflikte zwischen Bus- und Radverkehr
Berlin erlebt einen aus vielen Gründen erfreulichen
Aufschwung des Fahrradverkehrs.
Die Busbeschleunigung aber stellt dies vor
eine neue Herausforderung. Bei der üblichen
rechtsseitigen Anordnung der Busspur
ist es natürlich, dass auch Fahrradfahrer
diese benutzen. Sie ist aber in ihrer Breite
meist nicht darauf ausgelegt (und kann i.d.R.
auch nicht entsprechend ausgelegt werden),
dem Bus das Überholen von Radfahrern in
der Spur zu erlauben. Der Busfahrer hat die
Wahl, die Busspur zu verlassen oder im Fahrradtempo
hinterher zu fahren. Das Ziel der
Busbeschleunigung ist so nicht zu erreichen.
Ein eklatantes Beispiel ist der Innsbrucker
Platz. Mitten in einer riesigen Verkehrswüste
kommen sich Radfahrer und Busse auf der
Busspur nach Norden ins Gehege, obwohl
ringsum reichlich tote Abstandsfläche verfügbar
und die daneben liegende überlange
Linksabbiegerspur nicht annähernd ausgelastet
ist.
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An vielen Haltestellen lassen die BVG-Busfahrer die Fahrgäste bereits vorne und hinten einsteigen, um den Aufenthalt an der Haltestelle nicht unnötig zu verlängern. Doch allzu oft verlängert der Zwang zum „Vorne-Einstieg“ die Fahrzeit der Busse. Foto: Marc Heller |
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Fahrradfahrer suchen Wege mit wenig
Fahrwiderstand (glatter Fahrbahnbelag,
möglichst wenige Ampeln) und meiden
Umwege. Das müssen nicht zwangsläufig
die Hauptstraßen sein, die auch für den Busverkehr
von herausragender Bedeutung sind.
Dort, wo dem Bus Priorität eingeräumt werden
soll, müssen parallele Straßen fahrradfreundlich
gestaltet werden. Beispiel Hauptstraße:
Vom Innsbrucker Platz zum Zentrum
Schönebergs würde sich die Ebersstraße als
Umfahrung anbieten. Doch Kopfsteinpflaster
im Norden und Süden der Straße, die Sperrung
vor einer Schule auch für Radfahrer und
die zweifelhafte Ampel an der Ebers- und
Feurigstraße machen diese Route unattraktiv
im Vergleich zur Busspur auf der Hauptstraße.
Die Schloßstraße hingegen ist seit ihrem
Umbau gerade für Radfahrer attraktiv. Auch
wenn man die Lösung mit nur einer Fahrspur
für motorisierten Individual-, Liefer- und
Busverkehr grundsätzlich akzeptiert, kann
man die jetzige Situation für die Busse nicht
hinnehmen. Man fragt sich, ob in der Verkehrsverwaltung
bekannt ist, dass in der
südlichen Schloßstraße 24 Busse pro Stunde
und Richtung verkehren. Am Walther-Schreiber-Platz
überstaut sich vor allem
abends und Sonnabends die Linksabbiegerspur
zu den Parkhäusern der Einkaufszentren,
so dass der Abfluss aus der Schloßstraße
über den Walther-Schreiber-Platz dicht
ist und auch die Busse stecken bleiben. An
der Schildhornstraße wurde die Haltestelle
Richtung Süden aus schwer nachvollziehbaren
Gründen statt unter die Brücke (wie in
Richtung Norden) in die Rechtsabbiegespur
gelegt, die auch der Zufahrt zum Parkhaus
des „Boulevard Berlin“ dient. Hier benötigen
die Busse, wiederum vor allem sonnabends
ein oder zwei Ampelumläufe allein beim
Vorrücken an die Haltestelle. Der Metrobus
verliert gegen den Parkhausverkehr!
Notwendig wäre eine konsequente Zuflussregelung
für die Schloßstraße. Von außen darf
nur so viel Verkehr eingelassen werden, dass
sich auf dem kritischen Abschnitt ein mit mäßigem
Tempo fließender Verkehr ergibt. In der
Zufahrt benötigen die Busse zwingend eigene
Fahrstreifen, die konsequent durchgesetzt
werden müssen. In der Schloßstraße selbst
dürfen die geradeaus fahrenden Busse nicht
durch Abbiegespuren geführt werden.
Dauerärgernis Vorne-Einstieg
Ein weiteres Thema hängt nicht direkt mit
der „Trassenführung“ zusammen, wohl aber
mit dem System Metrobus. Einstieg und
Fahrscheinverkauf sind ein ewiges Thema in
Berlin, aber es muss hier wiederholt werden:
Auch durch den Zwang zum Vorne-Einstieg
sind die Busse nicht so zügig und nicht so
zuverlässig unterwegs, wie es für die im Nahverkehrsplan
angesprochene „hohe Qualität“
notwendig wäre. Zumindest bei Metro- und
Expressbussen muss der Schwerpunkt auf die
Beförderungsgeschwindigkeit gelegt werden.
Das heißt: kein Fahrscheinverkauf im Bus
und Ein-und Ausstieg an allen Türen, wie es
in vielen anderen europäischen Großstädten
üblich ist. Der Fahrscheinverkauf im Bus ist
praktisch für Touristen und Gelegenheitsfahrer,
kostet aber alle Stammkunden Zeit. Und
die BVG kostet es Einsatzzeit für Fahrer und
Busse – häufig nicht eben billige dreiachsige
Doppeldecker.
Als die Stadt Hamburg vor einiger Zeit ein
umfassendes Beschleunigungsprogramm
für ihre eigenen Metrobuslinien ankündigte,
kam in Fachkreisen die Reaktion: So wie in
Berlin solle die Busbeschleunigung in Hamburg
nicht werden. Eine Verbesserung von im
Mittel 0,08 km/h habe der Bund der Steuerzahler
9 Jahre nach Start des BVG-Beschleunigungsprogramms
ausgemacht. Man muss
annehmen, dass sich potenzielle Kunden im
Umfeld der Metrolinien heute nicht für den
ÖPNV entscheiden, weil sie eine Vorstellung
von der realen Qualität haben. Die Zuverlässigkeit
und Geschwindigkeit vieler Metrobusse
ist in der Tat unzureichend, weil es
am politischen Willen fehlt, den Busverkehr
wirklich zu priorisieren. Des Weiteren weil der
Systemansatz fehlt, der Fahrspuren, Abbiegeströme,
Haltestellen, Ampeln, Rad- und Fußgängerverkehr
gesamthaft betrachtet und
den Bussen eine durchgehend freie Trasse
durch das Verkehrsgeschehen schafft.
Viele der hier aufgeführten Punkte wurden
auch in der Ausarbeitung des Nahverkehrsplans
2010-2014 debattiert, der aber
nie beschlossen wurde und der auch im
Jahr 2013 noch keine konkreten Maßnahmen
im Metrobusbereich zur Folge hatte.
Für den Nahverkehrsplan 2014-2018 können
wir nur auf eine schonungslose Bewertung
von Anspruch und Wirklichkeit der Qualität
der Metrobusse hoffen und alle Beteiligten
und Betroffenen aufrufen, sich für die Festschreibung
und Umsetzung von konkreten
Verbesserungen zu engagieren.
Schlaglicht
Eine junge Frau steigt in den 123er und beschwert
sich beim Busfahrer, dass ihr der Bus
vorher vor der Nase weggefahren sei (weil zu früh)
und dieser auch schon wieder drei
Minuten vor der angegebenen Abfahrtszeit kommt.
Der Busfahrer antwortet ruhig, dass
er mitnichten drei Minuten zu früh sondern
37 Minuten zu spät sei und dass es sich mit
seinem „Vorgänger“ wohl auch so verhalten hätte.
Diese Szene wirft zwei Fragen auf:
- Was hat die Busbeschleunigung gebracht,
wenn die Busse ihren Bezug zum Fahrplan völlig
verloren haben und mit realen Verspätungen
von 30 bis 60 Minuten unterwegs sind?
- Wieso ist es mit moderner Betriebsleittechnik nicht möglich, dem Fahrer einer im
20-Minuten-Takt verkehrenden Linie mitzuteilen, bei 37 Minuten Verspätung bitte
noch drei Minuten stehen zu bleiben, um dann wenigstens die Fahrgäste mitzunehmen,
die noch Hoffnung in den veröffentlichten Fahrplan setzen?
Bund für Umwelt und Naturschutz – BUND Berlin
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