|
Wenn auch der Lehrter Bahnhof womöglich
nie ganz fertig wird - einen neuen Namen
benötigt er trotzdem. „Eine Hauptstadt
braucht einen Hauptbahnhof", wird
stellvertretend Margit Scheller-Wegener
von der Firma Metadesign, der die BVG ihr
Corporate Design zu verdanken hat, im
„Tagesspiegel" vom 12. September zitiert.
Richtig, und deshalb erblassen London, Paris
oder Wien, denn mangels Hauptbahnhof
sind sie als Provinzstädtchen gebrandmarkt.
Ganz im Gegensatz zu strahlenden
Metropolen wie Bielefeld, Kaiserslautern,
Spremberg oder Neustrelitz die alle eine so
betitelte Station stolz ihr eigen nennen.
„Wichtigstes Argument bleibe Orientierungshilfe",
erfahren wir, und vor so viel
geballter Kompetenz kann man endgültig
nur noch kapitulieren. Denn wenn man am
künftigen Berliner Hauptbahnhof aussteigt,
wird man dort all das finden, was man an
den Hauptbahnhöfen von Frankfurt am
Main, München, Leipzig, Hamburg oder
Köln findet und deshalb auch an der Spree
erwartet: Um den Lehrter, pardon Hauptbahnhof,
gibt es Kinos, Diskos und Theater,
massenweise große und kleine Hotels, Waren-
und Geschäftshäuser und nicht zu vergessen
ein Rotlichtviertel. Bis in die späte
Nacht hinein tobt dort das Leben, und nur
wenige Schritte entfernt befinden sich der
alte Kern und das gegenwärtige, unumstrittene
Zentrum der Stadt. Alles ganz so wie
bei jener Station, die diesen Namen auch
schon einmal trug. Konsequenterweise
sollte man auf dem neuen Berliner Hauptbahnhof
Zusatzschilder anbringen: „Berlin
- Hauptstadt der BRD".
Zugegeben, momentan liegt „der größte
Kreuzungsbahnhof Europas" (neue Sprachregelung
in den Dufte-Medien, seit bemerkt
wurde: die Hauptbahnhöfe von Leipzig
oder Frankfurt/M. sind doch ein wenig
größer) noch in einer Einöde zwischen verschlafenen
Regierungsviertel, leerstehenden
Wohnungen, Leichenschauhaus und
Brachland. Aber sicher bald werden sich
die Investoren darum reißen, hier, im Herzen
der Boomtown Berlin, Wohnungen,
Büros oder auch Filmtheater zu bauen -
Dinge, welcher die explosionsartig wachsende
Stadt, in der die Arbeitsplätze wie Pilze
aus dem Boden schießen und die Kaufkraft
sprunghaft steigt, dringend bedarf.
So ist die gefundene Lösung nicht nur
ein echter Strieder: Durchströmt von
Wunschdenken, wird plötzlich ein Name
bestimmt, der bei der mit viel Trara durchgeführten
Abstimmung schon in der ersten
Runde mangels Zuspruch aussortiert worden
war. Sie ist auch ein Musterbeispiel sozialdemokratischer
Entmün-, pardon: Fürsorgepolitik.
Man stelle sich nur vor, jemand
würde an einem Fahrkartenschalter,
pardon: TicketCounter, ein Billett nach Berlin
verlangen und hätte dann auszusuchen
zwischen Zoo, Ostbahnhof, Lehrter Bahnhof,
Lichtenberg und was es noch so gibt!
Kann man von Bahn-Bedienstesten, Verzeihung:
CustomerConsultants, erwarten zu
wissen, wie diese Station im Zentrum der
deutschen Hauptstadt heißt? Früher gab's
die praktische Tarifbezeichnung „Berlin
Stadtbahn", da konnte man dann aussteigen,
wo man wollte, oder auch noch ein
wenig mit der S-Bahn weiterfahren - aber
das war ja in der furchtbaren alten Zeit.
Doch warum auf halbem Weg stehen
bleiben? Zumal München seit kurzem die
wohl erste deutsche Stadt ist, wo auf der
Netzspinne dem altertümlichen deutschen
Wort „Hauptbahnhof" die Bezeichnung
„Central Station" hinzugefügt worden ist.
So internäschenell müssen auch wir
schleunigst werden! Wie wäre es also mit
„Berlin City Central Station" (sprich: Börlinn
Ssiddy Ssentrell S-teyschen)? Vielleicht
noch mit den Untertiteln „Chancellor's Office"
und „Reich's Day". Oder so.
In der „Abendschau" hat der Senator für
Bauen, Wohnen, Verkehr etc. pp. auch bereits
in erfreulicher Offenheit erklärt, wie er
sich das weitere Verfahren vorstellt: Wenn
der Bahnhof fertig ist, werden sich die Leute
schon an den neuen Namen gewöhnen,
basta!
Und den Untertitel „Lehrter Bahnhof",
jetzt noch zur Beruhigung der erzürnten
Volksseele beigegeben? Den könnte mann
möchte man Strieder ergänzen, bei irgendeinem
Fahrplanwechsel klammheimlich
wegfallen lassen. Die S-Bahn hat doch gerade
mit der geschwinden Totalentsorgung
der Traditionsnamen Witzleben und Eichkamp
gezeigt, wie sowas funktioniert.
Zumal die doofen Berliner selber schuld
sind, wenn sie das Falsche entscheiden. Dabei
hatte man sie gleich zweimal abstimmen
lassen. Und Strieders Verwaltung hatte
ihnen weiß Gott reichlich Hilfestellung
für das richtige Votum gegeben: Wer im Internet
die Stadtentwicklungs-Verwaltung
anwählte, erfuhr: „In Berlins Mitte entsteht
ein völlig neuer Bahnhof der Superlative.
Nach seiner Fertigstellung werden mehr als
200.000 Passagiere täglich das neue Gebäude
frequentieren. In 15 Meter Tiefe unter
dem Straßenniveau liegen die vier Bahnsteige
in Nord-Süd-Richtung, zehn Meter
über dem Straßenniveau sind die zwei
Bahnsteige für die Regional- und Fernzug
in Ost-West-Richtung. Natürlich ist der
Bahnhof an das S- und U-Bahnnetz [sic!]
angebunden. Einen solchen Bahnhof gab
es bisher in Berlin nicht. Der neue Bahnhof
braucht einen neuen Namen!" Klickte man
weiter, landete man auf der Abstimmungsseite
und las dort: „Der neue Bahnhof der
Superlative in Berlins Mitte soll heißen..."
Und als erste Möglichkeit wurde genannt-
Strieders Lieblingsname „Berlin Mitte".
|
Bald kann sich die Bundeshauptstadt mit einem weiteren Titel schmücken: sie ist die einzige Stadt mit zwei Hauptbahnhöfen. Den Herren Strieder und Mehdorn sei Dank! Denn die Berliner Parkeisenbahn hat ihn schon viel länger - den Hauptbahnhof! Foto: Alexander Frenzel |
|
Nach diesem Vorbild könnte man demnächst
auch die Wahlzettel gestalten: „Entscheiden
Sie, ganz unbeeinflusst, ob es gemeinsam
mit der SPD und ihrem tollen,
sympathischen, superkompetenten Landesvorsitzenden
Strieder weiter aufwärts
gehen soll oder aber mit dem unfähigen
Haufen wie CDU, FDP oder Grünen schnurstracks
ins Verderben." Oder Strieder ernennt
sich gleich selbst zum Senator auf
Lebenszeit. Bei seinem in Sachen Lehrter
Bahnhof demonstrierten Verständnis von
Demokratie wäre dies nur konsequent.
In den Wochenend- und Feiertagsnächten
verkehrten im Berliner Schnellbahn-Netz
alle S-Bahn-Linien, die U 9 (Osloer Straße -
Rathaus Steglitz), eine U 12 (Warschauer
Straße - Ruhleben) und die U 6 auf dem
Abschnitt Seestraße - Tempelhof. Doch
das U 6-Nachtangebot gibt es seit dem
13. Oktober 2002. Das Angebot wurde
von der S-Bahn GmbH als Ersatz für den
S-Bahn-Nord-Süd-Tunnel finanziert. Und
da der Tunnel ab dem Morgen des 13. Oktober
wieder befahren werden kann, endet
an diesem Tag die Bestellung der
nächtlichen U 6-Fahrten.
Die Einstellung des U 6-Nachtverkehrs
ist deshalb so ärgerlich, weil Senat und
BVG seit langem auf den Innenstadtstrecken
der U-Bahn, also auch auf der U 6, einen
durchgehenden U-Bahn-Nachtverkehr
planen. Denn in beiden Häusern hat man
gemerkt, dass der Bus-Nachtverkehr am
Wochenende am Rande seiner Leistungsfähigkeit
ist. Man fahre zum Beispiel mit
dem N 5 über Karl-Marx- und Frankfurter
Allee. Oft gibt es nur noch Stehplätze, und
das bei einem 15-Minuten-Takt des N 5.
Derweil herrscht unter diesem Straßenzug
im U5-Tunnel Nachtruhe.
Der über vier Monate erprobte U 6-Nachtverkehr
hätte ein guter Einstieg in
den künftigen nächtlichen Innenstadt-U-Bahn-Verkehr
an Wochenenden sein
können. Natürlich wird dieser Verkehr
Umstrukturierungen und Einsparungen
bei teilweise parallelen Nachtbuslinien erfordern.
So funktioniert es ja schon bei der
U 9: In der Woche fährt der Bus N 9, am
Wochenende die U-Bahn U 9. Doch die
BVG hat die U 6-Chance nicht genutzt.
Statt dessen bietet sie weiterhin ein rudimentäres
U-Bahn-Nacht„netz" aus zwei
Linien, das 1989 für West-Berlin entwickelt
und 1990 gestartet wurde. Im
U-Bahn-Nachtverkehr gibt es sie also noch
immer: die Berliner Mauer. So wird Wochenende
für Wochenende auf dem Westast
der U 2 nach Ruhleben (U 12) vor allem
warme Luft transportiert, während
auf dem Ostast nach Pankow, in dessen
Umfeld das Nachtleben von Prenzlauer
Berg tobt, der U2-Verkehr ruht.
Jan Gympel
|