Niedersachsen

Wohin fährt der Schienennahverkehr in Niedersachsen?

Bei der Flächenbahn ist Niedersachsen noch Entwicklungsland.

So fragte der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Landesverband Niedersachsen auf dem 1. Bahnkongress, der am 28. November 2002 in Niedersachsen stattfand. Mehr als 140 Personen zeugten vom großen Interesse, das die Zukunft der Bahn in der niedersächsischen Politik, bei Wirtschaft und Verbänden genießt.

Auf Einladung des VCD Niedersachsen referierte Dr. Gorka für die Landesnahverkehrsgesellschaft die Konzeption des Schienenpersonennahverkehrs, die sich traditionell weitgehend auf die Intercity-würdigen Hauptverkehrsstrecken und die dichtbesiedelten Großräume um Hannover, Braunschweig, Bremen und Nordostniedersachsen/Hamburg orientiert. Nur starkem Engagement vor Ort ist es offenbar zu verdanken, dass seit der Regionaliserung des Nahverkehrs 1994 mancher Haltepunkt neu eingerichtet wurde und die Bahnen auch auf Strecken der heutigen Nordwestbahn zwischen Osnabrück, Delmenhort, Oldenburg, Wilhelmshaven und Essens, im Elbe-Weser-Dreieck und zwischen Lüneburg und Dannenberg noch fahren.

Die anwesenden Verkehrswissenschaftler beschränkten sich darauf, die Entstehung der Position Dr. Gorkas nachzuzeichnen. Wie ein Vertreter von DB Regio berichtete, beschränkt sich DB Regio in Niedersachsen seit der Inbetriebnahme der S-Bahn Hannover im übrigen Netz auf Erhalt und qualitative Besserung des Ist-Zustandes.

Bahn-Fahrkartenschalter
Servicepoint im Hauptbahnhof Braunschweig. Foto: Georg Radke

Hingegen wusste Georg Drechseier, Vorsitzender der Bremer Straßenbahn und der Weserbahn, anhand seiner Erfahrungen aus dem Karlsruher Raum zu erläutern, wie anhand einiger Bahnstrecken bei Bremen in der Region eine attraktive Regionalstadtbahn vergleichsweise kostengünstig enstehen kann. Beispielshaft ist auch, wie durch Kooperation der Bahnunternehmen der Güterverkehr im Elbe-Weser-Gebiet erhalten und ausgebaut werden konnte.

Hans Leister von Connex zeigte auf, wie unabhängig von der DB in Deutschland Fernzüge auch kleinere Großstädte verbinden können, obwohl die DB den Interregio aufgibt. Die erste Verbindung des Interconnex Rostock - Berlin - Gera ist erfolgreich. Die Züge Zittau- Berlin und Rostock - Berlin - Kassel - Köln fahren noch an Niedersachsen vorbei.

Vielleicht werden die juristischen Hürden für die geplante Verbindung Osnabrück - Hannover übersprungen, dass auch hier bald der Interconnex verkehrt. Flankiert wurde der eintägige Kongress durch eine Ausstellung im Foyer des Grand Hotel Maritim, auf der sich verschiedene Bahnunternehmen, Fahrzeughersteller und Fachinstitutionen präsentierten.

„Wir sind überaus zufrieden mit der Resonanz auf diese erste Veranstaltung in Niedersachsen" erklärte der Landesvorsitzende Michael Frömming. Erstmals gab es ein Forum zum Informations- und Meinungsaustausch, wofür viele Akteure sehr dankbar waren. Als Vorbild der Veranstaltung diente der „Bahnkongress Schleswig-Holstein" der von der Landesweiten Servicegesellschaft Schleswig-Holstein (LVS) organsiert wurde.

Der VCD hatte die Bahnpolitik in Niedersachsen wiederholt kritisiert. Zu einseitig habe sich die SPD-Alleinregierung auf unnötige Großvorhaben wie der Y-Trasse Hamburg/Bremen - Hannover konzentriert. Zwar habe sich das Angebot auf bestehenden Bahnlinien wie im Weser-Ems-Raum teilweise erheblich verbessert. Gleichzeitig existiert in der Fläche noch ein enormer Nachholbedarf an attraktivem Schienenpersonennahverkehr.

Das Landesprogramm „Niedersachsen ist am Zug" weist zwar grundsätzlich in die richtige Richtung. Jedoch seien nach VCD-Auffassung weitere Schritte, wie die Reaktivierung von diversen Zweigstrecken vonnöten. Beispiele sind unter anderem Stade - Bremervörde - Bremen, Aurich - Emden, Bassum - Rahden, Rinteln - Stadthagen sowie Dannenberg - Lüchow.

Triebwagen
Nahverkehrstriebzug im Braunschweiger Hauptbahnhof. Foto: Georg Radke

Die Favorisierung des Straßenverkehrs stellt nach Auffassung des VCD Niedersachsen ein ernstzunehmendes Problem der niedersächsischen Landespolitik dar. Statt dem umweltfreundlichen System Bahn mehr finanzielle Mittel in die Hand zu geben, lenkt das Land Gelder aus dem Bahnetat zusätzlich in den Straßenbau um. Das hat mit zukunftsfähiger Verkehrspolitik und verantwortungsvollen Wirtschaften nichts mehr zu tun, erklärte der VCD. Neben der Stärkung innovativer Verkehrskonzepte muss der VCD wie die anderen Fahrgastverbände künftig auch bewusster in die Moderation von Entscheidungsprozessen im Bereich Schienenverkehr einwirken.

Das neue Bahnpreisystem der DB AG das gerade im Flächenland Niedersachsen für Empörung sorgt, noch die Einstellung der Interregio-Züge bzw. deren Umwandlung in teure Intercity-Züge ist wenig diskutiert worden. Dennoch werden vom 1. Bahnkongress Niedersachsen positive Impulse für den Schienenpersonennahverkehr zwischen Ems und Elbe ausgehen. Wie der Blick nach Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zeigt, ist in Niedersachsen das Potential des Schienenpersonennahverkehrs in der Fläche noch lange nicht ausgereizt. Bei der Flächenbahn ist Niedersachsen noch ein Entwicklungsland.

Es wird interessant, über welche Fortschritte beim 2. Bahnkongress, den der VCD Niedersachsen voraussichtlich im Frühjahr 2004 veranstalten wird, in der Bahnpolitik Niedersachsens zu berichten sein wird.

DBV Niedersachsen

aus SIGNAL 1/2003 (Februar/März 2003), Seite 24

 

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