Rheinland-Pfalz

Die Möglichkeit einer S-Bahn in Rheinland-Pfalz Nord

Im Auftrag der S-Bahn-Initiative Rheinland-Pfalz Nord, Initiator Joachim Vockel, hat Bernhard Strowitzki, gutachterlich überprüft, ob und wie ein S-Bahn-Netz in Rheinland-Pfalz Nord aussehen könnte.

Die Idee der S-Bahn-Initiative besteht darin, die Kosten so gering wie möglich zu halten, indem weitgehend auf bestehende Gleise zurückgegriffen wird. Haltestellen müssen da eingerichtet werden, wo die Menschen sind. Das Ergebnis der Studie: Wir haben die Möglichkeit, ein S-Bahn-Netz im Norden von Rheinland-Pfalz anzubieten - zu den niedrigsten Kosten in Deutschland!

Themen und Thesen

Der Ballungsraum Koblenz/Neuwied in der Region Rheinland-Pfalz Nord mit rund 300.000 Einwohnern umfasst Koblenz, das mit über 100.000 Einwohnern den Rang eines Oberzentrums hat, die Städte Neuwied und Andernach, die Verbandsgemeinde Weißenthurm mit Urmitz und Mülheim-Kärlich, die Städte Lahnstein, Montabaur, Puderbach, Altenkirchen, Bendorf und Vallendar. Berücksichtigt wurde auch die Stadt Höhr-Grenzhausen und einige kleinere Orte.

Mit Reiseweiten von durchaus zehn bis zwanzig Kilometern und einem erheblichen Verkehrsaufkommen bietet sich die Region geradezu für ein S-Bahn-ähnliches Schienenverkehrsnetz als Rückgrat des Verkehrs an. Die herkömmliche Verkehrspolitik setzt allerdings meist auf teure Großprojekte, die oft bei Inbetriebnahme schon von der Entwicklung überholt sind. Zudem ist leider häufig schon der Ansatz solcher Projekte falsch, wie die aktuelle Diskussion um das Projekt „S 13" im Köln-Bonner Raum, von der auch der Kreis Neuwied betroffen ist, zeigt.

Der in dieser Studie verfolgte Ansatz hingegen will auf vorhandenen Strukturen aufbauen und mit geringen Mitteln kurzfristig Verbesserungen für geplagte Verkehrsteilnehmer schaffen und so eine Trendwende zugunsten ökologischen Verkehrs einleiten. Die Diskussion um die jeweiligen Maßnahmen muss bürgernäher und offener geführt werden.

Der Verkehrsexperte Prof. Dr. Heiner Monheim (Universität Trier) schätzt einen Bedarf von fünf- bis zehnmal mehr Haltepunkten als vorhanden, um einen optimalen öffentlichen Verkehr zwischen Koblenz und Köln zu realisieren.

S-Bahn in der Stadt Neuwied

Herzstück einer Neuwieder S-Bahn und erstes Untersuchungsobjekt ist das Anschlussgleis vom Neuwieder Hauptbahnhof das Wiedtal aufwärts entlang den Rasselstein-Werken (heute: Thyssen AG) bis hin nach Niederbieber zu den Boesner-Werken. Das bestehende Gleis berührt große Teile von Niederbieber, Segendorf und Rodenbach, wenn man von einem 300-Meter-Radius ausgeht; erst recht jedoch bei den weiteren Radien der konventionellen Verkehrsplanung. Eine nahezu betriebsbereite Strecke in einigermaßen günstiger Lage!

Auch wenn es sich im Wesentlichen um ein Privatgleis handelt, ist es für den Personenverkehr bestens geeignet. Dadurch besteht hier die Möglichkeit, dass die Stadt Neuwied tätig wird und diese Strecke als Stadtbahn nutzt. Also kann die Stadt Neuwied unabhängig von der Deutschen Bahn AG handeln und beim Aufbau einer „flächigen" S-Bahn in der Region Rheinland-Pfalz eine Vorreiter-Rolle spielen.

Von Neuwied nach Koblenz linksrheinisch

Von den zwei Schienensträngen zwischen Neuwied und Koblenz führt der kürzere hinter Neuwied-Engers über den Rhein und dann am Ort Urmitz vorbei. Dort existierte früher der Haltepunkt Urmitz- Rheinbrücke. Diese Station lag zum eigentlichen Ort Urmitz wesentlich günstiger als der heute noch betriebene Bahnhof an der linken Rheinstrecke Koblenz - Andernach. Trotzdem wurde die Station geschlossen.

Die DB AG demonstriert Schwerfälligkeit

Karte
Karte

Derzeit setzt die DB zur Schließung einiger Fahrplanlücken eine 628er-Garnitur für den Pendelzug Neuwied - Lützel - Koblenz ein. Damit ist zwar (zusammen mit den Zügen über Ehrenbreitstein) eine halbstündige Verbindung Neuwied - Koblenz gegeben, aber die Züge stehen die meiste Zeit nutzlos herum. Die Wartezeit von fast vierzig Minuten würde bequem reichen, schon heute nach Niederbieber und zurück zu fahren! Mehrkosten - ein paar Tropfen Diesel.

In Koblenz beträgt die Standzeit 51 Minuten. Diese Zeit reicht für eine komplette Tour über Ehrenbreitstein nach Neuwied und zurück oder für eine Fahrt bis Boppard Süd und zurück oder fast bis Bad Ems und zurück. Der Zug wird außerdem im Moment nur zu wenigen Fahrten auf der Strecke eingesetzt. Er könnte, anstatt den Rest des Tages ungenutzt herumzustehen, eingesetzt werden, um im Halbstundentakt nach Niederbieber zu fahren. Mehrkosten: Treibstoffkosten, geringer zusätzlicher Personalaufwand.

Das Gleispaar mündet vor dem Bahnhof Koblenz-Lützel in die linksrheinische Hauptstrecke. Auch diese Station, in dicht bebautem Gebiet gelegen, nutzt nicht im entferntesten ihr Potential. Dringend nötig ist ein zusätzlicher Westausgang in Lützel zur Antoniusstraße. Dafür muß lediglich der vorhandene Fußgängertunnel um ein paar Meter verlängert werden. Durch die spezielle topographische Situation kann der Zugang gleich auf die Westseite der Mayener Straße gelegt werden. Vorteil: Den Fußweg zum Bahnhof um bis zu 200 Meter verkürzen und Zugang zur Bushaltestelle „An der Ringmauer".

In und um Koblenz

Im Eisenbahnverkehr der Stadt Koblenz bestehen erhebliche Erschließungsmängel. Im linksrheinischen Stadtgebiet ist, abgesehen vom Bahnhof Lützel und den westlich gelegenen Vorortstationen Moselweiß und Güls, derzeit der weit südlich gelegene Hauptbahnhof der einzige Verkehrshalt. Ein zusätzlicher Haltepunkt Koblenz-Mitte (Löhr-Center) wird zwar schon seit einiger Zeit lebhaft diskutiert - allein es fehlen Taten. Die derzeitige Stadtratsmehrheit scheint nicht gewillt, eine Verbesserung des Schienennahverkehrs zuzulassen.

Ein ähnliches Bild bietet sich auch in der Weststadt entlang der Moselstrecke. Diese führt zwar dicht am Verwaltungszentrum mit Tausenden von Berufspendlern vorbei, hat ihren nächsten Halt jedoch erst nach drei Kilometern in Moselweiß. Ein zusätzlicher Haltepunkt bietet trotz einiger kostentreibender technischer Schwierigkeiten (breites Bahngelände, Durchbruch mit Unterführung zur Straße) erhebliche Vorteile für das Verwaltungszentrum, die Krankenhäuser und Wohngebiete. Die technisch günstigste Lage (intensiv diskutiert) wäre in Höhe Behringstraße/Eduard-Müller-Straße, wo Zugänge von beiden Seiten möglich sind. Zudem würde ein Fußgängertunnel hier auch die Verbindung zwischen den Stadtteilen verbessern, die durch die Bahnanlagen behindert wird. Zusätzliches Interesse gewinnt der Standort bei einer Neunutzung der bisherigen Boelcke-Kaseme, zum Beispiel als Universitätsstandort.

Stadtverkehr ohne Schienen

Über den Stand des städtischen Nahverkehrs gibt ein Blick in die Partnerstadt Potsdam Auskunft. Diese ist nur wenig größer als Koblenz. Im Gegensatz zu Koblenz hat die Brandenburger Landeshauptstadt hingegen ihr Straßenbahn-Netz bewahrt und baut es heute weiter aus, trotz der schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland. Koblenz hingegen leistet sich seit 1967 einen völligen Verzicht auf dieses Verkehrsmittel.

Besonders pikant ist dies im Hinblick auf die Bundesgartenschau, um die sich Koblenz für das Jahr 2015 bewirbt. Potsdam hat eigens zum Anlass der Bundesgartenschau Potsdam 2001 neue Schienenstrecken in Betrieb genommen und besondere Linien eingerichtet. Wenn eine Gartenschau Gelegenheit bietet, dauerhafte Zukunftschancen in eine Stadt zu holen, dann wäre die Neubelebung der Schiene in Koblenz eine der zentralen Schlüssel, um die Stadt auf den Weg von der Beamten-und-Soldaten-Stadt zur Wissenschafts-und-Touristik-Stadt zu bringen!

Von Koblenz auf die Eifelhöhen

Wie lückenhaft das Schienennetz ist, zeigt sich auch daran, dass es keine direkte Schienenverbindung von Koblenz nach Mayen gibt. Diese erst 1904 eröffnete Bahnstrecke wurde 1983 stillgelegt. Bis zuletzt gab es hier sogar eine durchgehende Zugverbindung von Gerolstein nach Koblenz. Erhalten ist noch das Anfangsstück von Koblenz-Lützel bis Ochtendung, das auf Koblenzer Stadtgebiet die Orte Metternich und Rübenach berührt.

Wichtig ist auch hier eine gute Lage der einzurichtenden Stationen. Neben dem klassischen Halt in Rübenach an der oder nahe der Lambertstraße könnte ein Halt Rübenach-Ost an der Kreuzung mit der Bundesstraße die dortige Wohnbebauung ebenso wie das nahe Bundeswehrkrankenhaus erschließen. Ansonsten hat die Strecke wegen ihrer weit nördlichen Lage für Metternich, auch für die dortigen Uni-Institute, bei heutiger, unveränderter Streckenführung nur eine Teil-Wirkung.

Holzbachtal-Strecke (Westerwald-Bahn)

„Schwesterstrecke" der Brexbachtal-Bahn ist die Holzbachtalbahn von Siershahn über die Wasserscheide bei Marienrachdorf ins Holzbachtal und nach Altenkirchen (39 Kilometer), die zugleich mit der vorigen Strecke eröffnet wurde, allerdings schon 1984 den Personenverkehr einen Tag nach ihrem 100. „Geburtstag" verlor.

Diese Strecke schloss nicht nur Unterzentren wie Puderbach an das Schienennetz an, sondern verschaffte auch Marienrachdorf und Brückrachdorf einen Haltepunkt. Da das Verkehrsaufkommen freilich geringer war, gab es hier Bedarfshalte. Bis Ende der siebziger Jahre waren zudem Puderbach und Dierdorf mit einem Eilzug Siegen - Koblenz.an die weite Welt angeschlossen. Heute hat die Strecke eine geteilte Perspektive. Der nördliche Teil bis Raubach wurde jüngst von der Westerwald-Bahn übernommen, die dort den noch relativ starken Güterverkehr betreibt. Insoweit ist zumindest der Bestand der Strecke gesichert.

Neue Schienen durch den Westerwald

Speziell in der betrachteten Region ist die inzwischen unterbrochene Querverbindung von Montabaur über Wallmerod nach Westerburg und weiter in Richtung Rennerod zu nennen. Zu begrüßen sind hier die Vorschläge zu einem Westerwald-Kreisel, mit denen jüngst Klaus Paas an die Öffentlichkeit trat: „Wir müssen unseren Öffentlichen Personennahverkehr so organisieren, dass zum Beispiel alle Hauptorte der zehn Verbandsgemeinden des Westerwaldkreises über die Schiene mit dem ICE-Bahnhof Montabaur verbunden werden".

Eine Diskussion um Ausbaustandards wird in Fachkreisen bereits seit einiger Zeit geführt. Die PDS-Fraktion im Bundestag hatte in diesem Zusammenhang einen Antrag eingebracht für eine Bau- und Betriebsordnung für Regionale Eisenbahnstrecken (BOR). Dieser Diskussionsbeitrag für an die örtlichen Verhältnisse angepasste Standards stieß bei Umwelt- und Verkehrsverbänden auf Zustimmung, amtlicherseits bisher aber leider auf heftige Ablehnung.

Letztlich hängt die Qualität des Verkehrs vom Gesamtsystem ab, und auch das Schienennetz kann erst als Gesamtsystem seine volle Wirkung entfalten. Es kommt also auch auf die gute Verbindung von Bahn, S-Bahn, Bus, Fahrrad, Fußgängern und Park-and-Ride-Möglichkeiten an. Der Vorteil des hier dargestellten Ansatzes besteht darin, in flexiblen Einzelschritten vorgehen zu können. Eine neue Station hier, eine reaktivierte Strecke dort können das System in ihrer Summe schließlich entscheidend voranbringen.

Die S-Bahn-Firma würde sich weitgehend aus ihrem Umsatz und gezielten Investitionszuschüssen refinanzieren, was die Belastung der Gemeinden und das Risiko von Fehlinvestitionen deutlich senkt. In diesem Sinne sei zuletzt noch ein möglicher Stufenplan angedeutet, der einige der oben genannten Maßnahmen in eine sinnvolle Reihenfolge bringt.

  1. Schritt: „Sofortmaßnahmen": Zugverkehr nach Niederbieber im Halbstundentakt. Einführung eines City-Busses als Ergänzung.
  2. Schritt: kurzfristig umsetzbare Maßnahmen: Reaktivierung von Brexbachtal-Bahn und Holzbachtal-Bahn. An verschiedenen Strecken Reaktivierung vorhandener Stationen, Ergänzung von Stationen mit geringem Aufwand.
  3. Schritt: mittelfristige Maßnahmen: Ausweitung der Neuwieder S-Bahn durch die Engerser Straße als Kreis zum Hauptbahnhof zurück. Einführung eines gänzlich überarbeiteten Busnetzes. An verschiedenen Strecken Neubau und Verschiebung von Stationen.
  4. Schritt: längerfristige Maßnahmen: Elektrifizierung der Strecken nach Niederbieber, Engerser Straße und anderer Abschnitte wie etwa der Lahntalbahn. Weitere Netzergänzungen.

Prof. Monheim schätzt, dass die Gesamtheit der Maßnahmen dazu führt, dass der heutige Anteil des öffentlichen Verkehrs im ländlich-mittelständischen Raum von dürftigen eins bis fünf Prozent am Gesamtverkehr auf etwa 25 bis 30 Prozent wie in Großstädten ansteigt.

Es ist ein Märchen, dass S-Bahnen oder ähnlich organisierter Schienenverkehr nur in Großstädten funktionieren! Die Beispiele von Lemgo, der Bodenseeregion mit Konstanz und Lindau, aus Düren und anderen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz belegen, dass ein aufeinander abgestimmter und attraktiver Verkehr auf Schiene und Straße abseits der Großstädte möglich ist und zeigen, dass der in dieser Studie, diesem S-Bahn-Konzept enthaltene Weg machbar und Erfolg versprechend ist.

S-Bahn-Initiative Rheinland-Pfalz Nord

aus SIGNAL 1/2003 (Februar/März 2003), Seite 26-29

 

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