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Liebe BVG,
wie ich höre, hast Du mal wieder eine ganz
tolle Idee ausgebrütet: Künftig könnten doch
die Busfahrgäste wieder gezwungen werden,
ausschließlich vorn einzusteigen. Wie gut diese
Idee ist, das willst Du jetzt erstmal in einem
Modellversuch klären.
Wie lange so ein Versuch wohl wird dauern
müssen? Offenkundig haben ja die Erkenntnisse
aus der bis 1994 jahrzehntelang betriebenen
Praxis noch lange nicht gereicht. Und
wieviel Geld man da wohl sachkundigen Beratern
wird zahlen müssen?
Guter Rat ist eben teuer. Außerdem geht es
hier ja auch um eine Erhöhung der Einnahmen,
steht im Mittelpunkt doch der Kampf
gegen die bösen, bösen Schwarzfahrer. Deren
Zahl sich völlig überraschenderweise erhöht
hat, seitdem beim Zustieg nicht mehr die
Fahrscheine vorgezeigt werden müssen. Weswegen
sich allerdings auch die Aufenthaltsdauer
an den Haltestellen verkürzt hat, wodurch
Du weniger Busse einsetzen kannst.
Von dem Attraktivitätsgewinn kürzerer Reisezeiten
für die Beförderungsfälle ganz zu
schweigen.
Doch es ist ja zum Glück nicht so, als würden
die Zeitverluste bei der Autobenutzung
durch Staus und Parkplatzsuche oft mehr als
ausgeglichen durch die vielen Stopps der öffentlichen
Verkehrsmittel, den Weg zu und
von ihnen und vor allem das (beim Umsteigen
meist mehrfache) Warten auf sie - gerade am
Wochenende, abends oder bei dem Versuch,
ohne Umweg durch die Innenstadt von Außenbezirk
zu Außenbezirk zu fahren, immer
wieder ein unerschöpflicher Quell der Freude.
Wenn sich nun auch noch die Zwischenstopps
erheblich verlängern, wird das sicher sehr viele
Autofahrer zum Wechsel auf den ÖPNV animieren.
Zumal Du, liebe BVG, Deinen Buskunden
noch so viel mehr bietest, als bloß gemächlich
durch die Gegend zu zockeln: Insbesondere
auf stark frequentierten Streckenabschnitten
wird ja nun, wenn die schon in der Rumpelkammer
der Verkehrsgeschichte verschwunden
geglaubte Idee des Fahrgastflusses
fröhliche Wiederkehr feiert, das Gewühl
an den Haltestellen noch größer werden. Will
meinen: Das Gewühl VOR dem Bus, wo die
Kunden nicht mehr halbwegs gleichmäßig
über die verschiedenen Türen verteilt Zutritt
begehren, sondern wieder einen Riesenpulk
am Wagenkopf bilden, um im Gänsemarsch
am Fahrer vorbeizutrotten. Und das Gewühl
IM Bus, wo es an jeder Station gilt, sich nicht
von den von vorn hereindrängenden Massen
ab- und womöglich hinausdrängen zu lassen.
Dies um so mehr, als Du ja die Zahl der Doppeldecker
ordentlich reduziert hast und Deine
ganze Liebe dem Stehbus, pardon: Eindecker
gehört. So lernt man dann, etwa auf dem kleinen
Fußmarsch vom Vordereinstieg zum Heck
eines Gelenkbusses, auch seine Mitmenschen
viel besser kennen. Zumindest bekommt man
körperlichen Kontakt mit ihnen - ob man nun
will oder nicht. (Oder hast Du dabei etwa die
Zukunft im Blick, liebe BVG, wo Du zwecks
Optimierung der Beförderungskapazitäten auf
so überflüssigen Luxus wie Sitzplätze vollständig
verzichtest?)
Was für ein Erlebnis, wenn man sich künftig
wieder mit Sack und Pack durch den vollen
Bus quetschen darf, hier jemanden anrempelt,
dort angeblafft wird, statt einfach in der Mitte
einzusteigen und dort gleich seine Tüten und
Taschen abzustellen! Welch Herausforderung
an die eigene Kraft und Geschicklichkeit,
wenn es wieder gilt, bei jedem Betreten eines
Busses den Fahrschein aus der Tasche bzw.
aus dieser erst mal die Geldbörse herauszufummeln
und zu versuchen, das Billet irgendwie
dem Fahrer zu präsentieren, derweil man
mit der anderen die Beutel... - Zum Shopping
wird angesichts dessen ganz Berlin bald nur
noch Deine Busse benutzen, liebe BVG. Und
so macht dann auch der Schienenersatzverkehr
viel mehr Spaß.
Eine Idee wie die Wiedereinführung des
ausschließlichen Vordereinstiegs kann nur aus
profunder Kenntnis des Alltags in Deinen Bussen
entstanden sein, eine Frucht jenes reichen
Schatzes an Erfahrung, welchen Deine Verantwortlichen
durch die tagtägliche Benutzung
Deiner Verkehrsmittel gewonnen haben.
Denn Deine Oberen sind doch zweifelsohne
regelmäßig auf Inspektionstour durch Dein
Netz, und zwar unter Realbedingungen, so
wie Hinz und Kunz Dich erleben, nicht etwa
bloß mittags mit dem Aktenköfferchen, sondern
auch mit drei, vier vollen, schweren Tüten.
Oder mit zwei Kindern. Im Berufsverkehr.
Und selbstverständlich auch abends, nach
20 Uhr, wenn ja nach wie vor vorn eingestiegen
und die Fahrkarten kontrolliert werden
sollen. Letzteres machen Deine Busfahrer
dann auch äußerst gewissenhaft - man hat
nicht etwa häufig das Gefühl, als würde man
sie mit dem Vorzeigen des Tickets geradezu
unsittlich belästigen, weil sie sich so demonstrativ
desinteressiert abwenden, wenn man
ihnen den Schnipsel hinhält.
Oder sollten sie immer noch schmollen?
Vor fast zehn Jahren, als die Neuregelung eingeführt
wurde, reagierten ja viele Fahrer äußerst
mürrisch auf diese. Und oft hat man den
Eindruck, als hätten sie den damit verbundenen
Autoritätsverlust („Jetz komm Se mal
noch ma zurück und zeijen mir den Fahrschein
richtisch, sonst stellick den Motor aus!") bis
heute nicht recht verkraftet. Die Personalvertretung
soll von Deiner tollen Idee denn auch
gleich ganz begeistert gewesen sein.
Eine wirklich wirkungsvolle Kontrolle, samt
Prüfung der Sicherheitsmerkmale und am besten
standrechtlicher Erschießung aller Studenten,
die ihr Semesterticket laminiert haben,
wird natürlich noch mehr Zeit kosten, als
die Reduzierung des Zustiegs auf eine einzige
Tür ohnehin verschlingt. Aber das Personal für
die zusätzlichen Busse, die dann gesetzt werden
müssen, damit der Fahrplan nicht noch
weiter ausgedünnt zu werden braucht, das
amortisiert sich dann ja durch die Kontrolleure,
die Du einsparst, nicht wahr? Ja, liebe BVG, bei
dieser Vorstellung habe ich auch sehr gelacht.
In Bochum und Gelsenkirchen, wird Dein
Chef Graf von Arnim zitiert, habe man mit
dem ausschließlichen Vordereinstieg schon
gute Erfahrungen gemacht. Dann brauchte
man vielleicht nur noch Erkenntnisse aus Garmisch-Partenkirchen,
Stendal oder Kaiserslautern
(Wird da eigentlich immer noch der Busverkehr
um 19 Uhr faktisch eingestellt?), und
schon kann der Berliner Versuch starten. Und
warum eine so gute Idee auf den Bus beschränken?
Auch bei der Straßenbahn gibt es
doch sicher viele dieser Schwarzfahrer, die an
Deiner miserablen Finanzlage bekanntlich die
Hauptschuld tragen!
Auf Deine nächsten Einfälle freut sich schon
ganz irrsinnig
Dein Jan Gympel
Jan Gympel
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