Die Fortschreibung des Eisenbahnrechts in
Deutschland unterliegt gegenwärtig einer
rasanten Dynamik. Kaum ist eine Novelle
zum Allgemeinen Eisenbahngesetz in Kraft
getreten, arbeiten die Gesetzgeber schon an
weiteren Veränderungen. Bekanntlich müssen
zahlreiche EU-Vorgaben nunmehr zur
unternehmerischen Trennung von Verkehrsdurchführung
und Netzbetrieb, in nationales
Recht umgesetzt werden.
Erstaunlich ist nun, daß an anderen, offenbar
weniger beachteten Stellen in den
Gesetzbüchern die Zeit im wahrsten Sinne
des Wortes stehen geblieben ist. So kann
man beispielsweise unter § 48 der Eisenbahn-Bau- und
Betriebsordnung (EBO) immer
noch die „Anforderungen an Betriebsbeamte"
nachlesen, und schnell wird klar,
daß diese Passagen wohl aus den guten alten
Bundesbahnbehörden-Zeiten stammen
müssen. Hier stellt sich im Grunde schon die
Frage, ob diese Vorschriften auch auf die Angestellten
der unzähligen privat getragenen
Bahngesellschaften zutreffen.
Noch interessanter wird es in den Rechtsbereichen
der (nun eigentlich gar nicht
mehr so) neuen Bundesländer. Hier findet
man unverändert noch ehemaliges DDR-Recht,
das per Einigungsvertrag immer
noch Gültigkeit besitzt. So wird der Leser
der „Anordnung über den Bau und Betrieb
von Anschlußbahnen" (BOA) vom 13. Mai
1982 schon einleitend darauf hingewiesen,
daß die Anschlußbahnen Bahnen des nichtöffentlichen
Verkehrs „Bestandteil des einheitlichen
sozialistischen Transportsystems
der Deutschen Demokratischen Republik"
sind.
Um es gleich klarzustellen: Es geht hier
nicht darum, diese oder ähnliche gesetzliche
Regelungen aus DDR-Zeiten ins Lächerliche
zu ziehen - gerade die BOA ist ein von
vielen Fachleuten anerkanntes praxisorientiertes
Werk. Andererseits sollte ein Gesetz
keine Unklarheiten, Interpretationsschwierigkeiten
und Umsetzungshindernisse beinhalten.
Dieses Manko lastet naturgemäß
auf diesen DDR-Gesetzen, da diese auf einer
nicht mehr gegebenen Rechtsordnung
beruhen.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang
die Verordnung über die Staatliche
Bahnaufsicht - Bahnaufsichtsverordnung
(BAVO) - vom 22. Januar 1976. Diese Verordnung
gilt beispielsweise immer noch in
den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg und Thüringen. Unter
§ 1 dieser Verordnung heißt es u.a.. „Der
Minister für Verkehrswesen ist für die Staatliche
Bahnaufsicht verantwortlich ... Die
Staatliche Bahnaufsicht erfüllt ihre Aufgaben
auf der Grundlage der Beschlüsse der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands,
der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften
sowie der Beschlüsse der örtlichen Volksvertretungen
und ihrer Räte"
Hier könnten interessante Fallkonstellationen
ausgetüftelt werden, da die PDS ja
bekanntlich Rechtsnachfolgerin der SED
ist. Somit wären - würde man eins zu eins
nach den Buchstaben des Gesetzes gehen
- Beschlüsse der PDS bindend für die Aufgabenwahrnehmung
der Bahnaufsichten. Eine
Einflußnahme der PDS auf die Arbeit der
Bahnaufsichten wäre auf den ersten Blick
eine theoretische Möglichkeit.
Zusammenfassend soll dafür plädiert
werden, neben den „großen" Bahn-Gesetzeswerken
wie dem Allgemeinen Eisenbahngesetz
auch einmal die nachrangigen
Gesetze und Verordnungen auf Bundes- und
Länderebene durchzuschauen, zu „entrümpeln"
und besser als in der Vergangenheit zu
pflegen. Die Anwender, vor allem Bahnunternehmen,
Gleisanschließer und Verkehrsbehörden,
würden es danken. DBV
|