Frage 1: (...) Ist es zutreffend, daß der
gesamte Eisenbahnfernverkehr Berlin—Görlitz—Breslau
eingestellt wurde, obwohl
dies die einzige Strecke ist, für
die es eine zwischenstaatliche Vereinbarung
für einen Ausbau auf 160 km/h
gibt? (...)
Antwort: (...) Zwischen Deutschland und
Polen wurde am 30. April 2003 ein Abkommen
geschlossen, das neben dem Ausbau
der Bahnstrecke Berlin—Warschau für den
Personenverkehr auch den Ausbau der Strecke
Dresden—Görlitz—Breslau auf bis zu
160 km/h vorsieht.
Es ist zutreffend, daß seit dem Fahrplanwechsel
im Dezember 2004 der Eisenbahnfernverkehr
Dresden—Görlitz—Breslau
„aus wirtschaftlichen Gründen" entfällt.
Neben der DB AG haben auch dritte Eisenbahnunternehmen
(wie z. B. Connex) bisher
kein Interesse, unter den derzeitigen Bedingungen
(Trassenpreise und Netzzugang
über die deutsch-polnische Schnittstelle) die
Schieneninfrastruktur der DB Netz AG für einen
eigenwirtschaftlichen Fernverkehr nach
Breslau zu nutzen.
Frage 2: Welche Auswirkungen hat das
Fehlen einer Tagesrandverbindung Posen—Berlin—Posen
auf die Kooperationsmöglichkeiten
in Wirtschaft und
Politik, auf die Nutzbarkeit der Berliner
Flughäfen für Posen sowie auf die Zugangsmöglichkeit
in das deutsche ICE-Netz?
Antwort: Der Senat sieht darin negative
Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort
Berlin. Posen ist Messestadt, wirtschaftliches
Zentrum Polens und europäische „Boom"-Region.
Da es zwischen Berlin und Posen keinen
Regionalflugverkehr gibt (was angesichts der
Entfernung auch nicht sinnvoll wäre), ist die
Nutzung des Pkw im Geschäfts- und Dienstreiseverkehr
die einzige Alternative. Aufgrund
einer fehlenden Autobahn östlich von Frankfurt
(Oder) und fehlender Ortsumfahrungen
in Polen ist eine Fahrzeit mit dem Pkw von
4,5 bis 5 Stunden pro Richtung erforderlich
(gegenüber 3 Stunden bei Nutzung des IC).
Eine Nutzung des IC als „Flughafen-Zubringer"
für Posen zu den Berliner Flughäfen
scheidet weitgehend aus.
Im Falle, daß die letzte Verbindung
nach Posen (Berlin Zoologischer Garten ab
16.26 Uhr) vom Flughafen nicht erreicht wird,
gibt es für polnische Bürger einen Übernachtungszwang
in der Stadt. Posen ist auch
weitgehend vom deutschen IC-/ICE-Netz
abgehängt. So sind z. B. die von Berlin nur
90 Minuten entfernte Messestadt Hannover
und die Metropole Hamburg für Tagesfahrten
von Posen aus nicht erreichbar. Posen
kann mit ICE-Verbindungen aus Süddeutschland
nur bei sehr frühen Abfahrten erreicht
werden.
Frage 3: Teilt der Senat meine Einschätzung,
daß nach Artikel 87 e des Grundgesetzes
der Bundesverkehrsminister
für die Gewährleistung der Grundbedürfnisse
im Schienenfernverkehr
verantwortlich ist? Welche Möglichkeiten
sieht der Senat, um gegen die
Verschlechterung im Eisenbahnverkehr
Richtung Polen initiativ zu werden?
Antwort: Ja. Nach Artikel 87 e Absatz 4
Grundgesetz trägt der Bund die Verantwortung
für den Schienenpersonenfernverkehr
(SPFV), d. h. er hat ein dem Wohl der Allgemeinheit,
insbesondere den Verkehrsbedürfnissen
entsprechendes Verkehrsangebot im
SPFV auf dem Schienennetz der Eisenbahnen
des Bundes zu gewährleisten. Die Bundesregierung
vertritt dazu die Auffassung, daß der
Bund seine Verpflichtung durch Investitionen
auf Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes
erfüllt und daß die konkrete Ausgestaltung
des Angebotes den Eisenbahnverkehrsunternehmen
unter Berücksichtigung
der Verkehrsnachfrage und betriebswirtschaftlichen
Randbedingungen obliegt.
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Berlin-Warszawa-Express. Foto: Christian Schultz |
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Demgegenüber hat die Verkehrsministerkonferenz
der Länder (VMK) bereits mit Beschluß
vom 15./16. Mai 2001 deutlich gemacht,
daß die Finanzierung der Infrastruktur
für den SPFV allein nicht ausreichend
ist, um dem Artikel 87 e des Grundgesetzes
genüge zu tun. Vielmehr müsse die Bundesregierung
zusätzlich durch gesonderte Maßnahmen
dem Wohl der Allgemeinheit auch
bei den Angeboten des SPFV Rechnung tragen.
Insofern bedarf der Gewährleistungsauftrag
des Bundes noch einer weiteren
bundesgesetzlichen Regelung. Berlin wird
im Rahmen seiner künftigen Vorsitzfunktion
in der VMK versuchen, zwischen den
unterschiedlichen Auffassungen von Bund
und Ländern zu vermitteln und sich für eine
Herstellung der Chancengleichheit im intermodalen
Wettbewerb zugunsten des umweltfreundlichen
Verkehrsträgers Schiene
einzusetzen. Gleichzeitig ist der Senat der
Meinung, daß durch die Verbesserung der
Wettbewerbsbedingungen auf der Schiene
(intramodaler Wettbewerb) neue Angebote
auch im internationalen Verkehr generiert
werden können.
Obwohl der Senat keine direkten Zuständigkeiten
hat, wird er versuchen, durch einen
Dialog mit allen Akteuren (Bund, Polen, Eisenbahnunternehmen)
auch kurzfristig kleine
Verbesserungsmöglichkeiten auszuloten.
Der Senat ist dazu auch mit den Landesregierungen
in Brandenburg und Sachsen in Kontakt
getreten. Durch eine Steuerungsrunde
„Berlin—Stettin", zu welcher der Senat alle
Akteure eingeladen hatte, konnten bereits
einige Verbesserungen erzielt werden. So
gibt es z. B. seit dem 12. Dezember 2004
eine IC-Verbindung Stettin—Berlin—Amsterdam.
Der Senat wird außerdem die eingerichtete
Steuerungsrunde zur Vorbereitung des
160jährigen Eisenbahnjubiläums Berlin—Breslau
im Jahr 2006 auch für den Dialog mit
den zuständigen Akteuren zugunsten dieser
Verbindung nutzen. Der Senat hat außerdem
Kontakte zur Stadtverwaltung Posen und zur
Wojewodschaft Großpolen aufgenommen
mit dem Ziel, auf deutscher und polnischer
Seite koordiniert vorzugehen.
Frage 4: Ist es richtig, daß der Aufgabenträger
des Landes Sachsen versucht,
durch Verlängerung von RegionalExpreß-Zügen
über Görlitz hinaus
Notverbindungen für die gestrichenen
Fernverbindungen zu schaffen? Werden
die Aufgabenträger der Länder
Berlin und Brandenburg haushaltsneutrale
Notlösungen prüfen, wie
etwa abends ein RegionalExpreß aus
Berlin in Frankfurt (Oder) mit einem
rückverlängerten Regionalzug von
Rzepin [Reppen] nach Poznan [Posen]
verknüpft werden könnte?
Antwort: Nein. Zum Fahrplanwechsel am
12. Dezember 2004 haben der DB Regio
Verkehrsbetrieb Sachsen und die polnische
Eisenbahn PKP individuell einen grenzüberschreitenden
Nahverkehr Görlitz—Zgorzelec
vereinbart. Er wurde nicht durch die Aufgabenträger
bestellt.
Zu Verbesserungen des Eisenbahnverkehrsangebotes
zwischen Berlin und Posen
wird auf die Antwort zu Frage 3. verwiesen.
Unterstützend ist der Verkehrsverbund
Berlin-Brandenburg (VBB) mit der Wojewodschaft
Lebuser Land im Gespräch, um
Verbesserungen zu realisieren. Dem Senat
ist jedoch bewußt, daß die Realisierung von
Lösungen wegen der wirtschaftlichen Situation
in Polen schwierig ist.
Berlin, den 4. Januar 2005
Staatssekretärin Maria Krautzberger,
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Frank Jahnke (SPD),
Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
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