Ein Jahr nach der EU-Osterweiterung und
mehr als 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs sind gerade die Eisenbahnverbindungen
gen Osten noch immer in einem
schlechten Zustand. Die Züge auf der Verbindung
von Berlin nach Tallin brauchen heute
mehr als doppelt so lange wie im 19. Jahrhundert.
Damals schaffte die Dampflokomotive
die Strecke in 27 Stunden, heute ist man
60 Stunden unterwegs. Von der deutschen
Hauptstadt nach Breslau dauerte es einst
lediglich zweieinhalb Stunden, heute sind es
sechs. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Angesichts des stetig wachsenden
Verkehrs zwischen den alten und neuen EU-Mitgliedern
ist diese Situation untragbar.
Insbesondere der Güterverkehr, den solche
Rahmenbedingungen geradezu auf die
Straße drängen, wird mehr und mehr zu einer
schweren Belastung für die Umwelt, die
längst verheerende Folgen zeigt: Laut einer
Studie der EU sterben infolge der Luftverschmutzung
in Europa jährlich etwa 310.000
Menschen, allein in Deutschland rechnet die
Kommission mit 65.000 Opfern. Der Schwerlastverkehr
ist einer der Hauptverursacher
der gefährlichen Feinstäube.
Transeuropäische Netze
Europa braucht ein dichtes und zeitgemäßes
Netz an Eisenbahnverbindungen, um dieser
Herausforderung zu begegnen. Die Transeuropäischen
Netze (TEN), sozusagen der europäische
Bundesverkehrswegeplan, haben einige
der notwendigen Maßnahmen aufgeführt.
Doch vom Plan zur Realität ist es bekanntlich
ein langer Weg, der eine entscheidende Hürde
nehmen muß: die ausreichende finanzielle
Ausstattung. Derzeit laufen in der EU die Verhandlungen
über die Brüsseler Ausgaben in
den Jahren 2007 bis 2013. Dabei geht es auch
um die Frage, in welchem Umfang die 30 geplanten
Verkehrsprojekte finanziert werden.
Selbst bei positiven Prognosen ist klar: Das
Geld in nationalen Budgets wie auch auf EU-Ebene
wird nicht ausreichen, um alle Projekte
ausreichend auszustatten.
Die Grünen wollen deswegen klare Prioritäten
setzen - zugunsten der Schienenverbindungen
zwischen den alten und neuen
EU-Mitgliedsländern der EU, für die „Verkehrsprojekte
Europäische Einheit" Denn
bei knappen öffentlichen Mitteln muß politisch
entscheiden werden, was Vorrang hat.
Im Verkehrsausschuß des Europaparlaments
wollte sich die Mehrheit aber nicht auf vorrangige
Ziele festlegen. Alle 30 Projekte, so
der Beschluß gegen die Stimmen der Grünen,
sollten gleichwertig gewichtet sein. Mit
diesem Beschluß hat der Ausschuß aus den
Transeuropäischen Netzen eine Wunschliste
nationaler Egoismen gemacht.
Zweifelhafte Prestigeprojekte
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Die Verbesserung des Bahnverkehrs nach Osteuropa muß in der erweiterten EU Priorität erhalten. Das Bild zeigt einen der wenigen durchgehenden Züge nach Osten: In Frankfurt (Oder) steht am 16. April 2005 die PKP-Lok SU 45-255 mit dem D 1249 nach Saratow (Rußland) bereit zur Abfahrt. Foto: Gerd Böhmer |
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Damit stehen jetzt gleichberechtigt neben
dringend gebotenen Verbindungen zahlreiche
Prestigeobjekte, die viel Geld verschlingen
werden und verkehrspolitisch von zweifelhaftem
Nutzen sind. So findet sich unter
den 30 TEN-Projekten der EU auch die Brükke
über die Straße von Messina zwischen Sizilien
und dem italienischen Festland. Diese
Brücke soll „gleichberechtigt" geplant, gebaut
und kofinanziert werden, obwohl die
Züge zwischen Messina und Trapani heute
für die 340 Kilometer tagsüber zwischen 6
und 10 Stunden brauchen und die Bahnlinien
auf Sizilien nicht einmal zu 25 Prozent
elektrifiziert sind. Und wenn es noch eines
zusätzlichen Argumentes bedurft hätte:
Die Fehmarnbelt-Brücke zwischen Deutschland
und Dänemark ist auch angesichts der
mangelhaften Schieneninfrastruktur von
Osteuropa eine krasse Fehlentscheidung für
Europa.
Die europäischen Grünen wollen, daß das
Europäische Parlament ein klares Votum
für die Planung, den Ausbau und die Finanzierung
der Verbindungen zwischen alten
und neuen EU-Mitgliedern abgibt und den
Beschluß des Verkehrsausschusses durch
klare Prioritätensetzungen ergänzt und
korrigiert. Gemeinsam mit dem ehemaligen
polnischen Außenminister und Solidarnosc-Aktivisten
Bronislaw Geremek (Abgeordneter
der Liberalen), seinem Landsmann Boguslaw
Liberadzki (Sozialdemokraten), dem
niederländischen Parlamentsmitglied Erik
Meijer (Sozialisten/Vereinigte Linke) und
dem österreichischen Konservativen Paul
Rübig habe ich deshalb im April eine Initiative
gestartet, die sich für die besondere
Berücksichtigung der Strecken zwischen Ost
und West ausspricht. Insbesondere, so die
Forderung unserer Schriftlichen Erklärung,
sollen die Verbindungen Berlin—Warszawa—Vilnius—Riga—Tallinn
(TEN-Projekt
Nr. 27) und die Strecken von Wien und Venedig
nach Prag, Bratislava, Ljubljana und
Budapest (TEN-Projekte Nr. 6, 17, 22) Vorrang
erhalten.
Gute Chancen
Um mit unserer „Schriftlichen Erklärung"
erfolgreich zu sein, brauchen wir die Unterstützung
von mehr als der Hälfte der Abgeordneten
im Europaparlament. Die politische
Botschaft wird dann vom Parlamentspräsidenten
an die EU-Institutionen Rat und Kommission
sowie an alle EU-Mitgliedsstaaten
überbracht. Die Erfolgschancen stehen nicht
schlecht: Das Ziel, die Verkehrsnetze nachhaltig
auszubauen und auf diese Weise Ost
und West in Europa wieder zu verbinden, hat
bereits im Kreis der Erstunterzeichner die
Unterstützung aus allen politisch relevanten
Fraktionen gewonnen.
Die „Schriftliche Erklärung" ist zu finden auf
der Homepage des Europäischen Parlamentes
www.europarl.eu.int/Declaration/
Applica tion/Scrip t/Declara tion_2005.
asp?LG_CODE=DE&YEAR_VAL=2005
und auf www.michael-cramer.de/
europa/index.html Michael Cramer, MdEP,
Verkehrpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament
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