Die Inbetriebnahme des neuen Berliner
Nord-Süd-Tunnels für Fern- und
Regionalzüge zum Fahrplanwechsel
im Mai 2006 sollte für die Bahnreisenden
ein Festtag werden. Doch ein Jahr
davor sieht es plötzlich so aus, als ob
für viele Reisende im Fernverkehr
die erhoffte Zeitersparnis durch deutlich
weitere Wege zum Fernzug verloren geht.
Einseitig hat die DB das mit dem
Bund und dem Berliner Senat abgestimmte
„Pilzkonzept" aufgekündigt,
demzufolge Berlin als Stadt mit mehreren
Zentren auch mehrere Fernbahnhalte
bekommen sollte.
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Fernbahnhof Zoo. Bald ein historische Foto? Die ICE-Züge aus dem Rhein-Main-Gebiet und aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet sollen nach dem Willen der Bahn ab Mai 2006 nicht mehr über die Berliner Stadtbahn verkehren. Foto: Marc Heller |
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Anfang Mai meldete der Berliner Tagesspiegel
das, was schon lange gerüchteweise herumgeisterte:
Die DB will ICE-Linien ab dem
28. Mai 2006 nicht mehr im Bahnhof Berlin
Zoologischer Garten halten lassen. Das
Echo in der Stadt war gewaltig. Es gab eine
lebhafte Diskussion, ob es richtig sei, Zoo
vom Fernbahnhof zum Regionalbahnhof zu
„degradieren" Neben überwiegend heftiger
Kritik gab es für diesen Plan allerdings auch
Zustimmung, gelegentlich verbunden mit
einem Seitenhieb: Auch die West-Berliner
müßten nun endlich von Liebgewordenem
Abschied nehmen.
Ende Mai informierte die DB dann den Berliner
Senat, daß ab dem 28. Mai 2006 alle
ICE-Linien durch den neuen Nord-Süd-Tunnel
fahren sollen. Auch die aus dem Rhein-Main- und
dem Rhein-Rhur-Gebiet kommenden
Linien sollen nicht mehr über die Stadtbahn
mit den Fernbahnhöfen Zoo und Ostbahnhof
verkehren, sondern über den Nordring
zum unterirdischen Lehrter Bahnhof (künftig
Hauptbahnhof) und weiter zum Bahnhof Papestraße
(künftig Südkreuz) und hier enden
bzw. kehren. Auf der Stadtbahn sollen lediglich
die drei Fernzugpaare nach Amsterdam
und die drei nach Warschau verbleiben.
Da es nach dem Bahnhof Zoo nun auch den
Ostbahnhof traf, war Berlin in dieser Frage
wiedervereinigt. Aus allen Teilen der Stadt
wurde kritisiert, daß die City-Ost und die City-West
künftig den größten Teil des Fernverkehrs
verlieren sollen. Die Empörung war so
heftig, daß immer wieder gefragt wurde, warum
die Bahn eine derartig unpopuläre, von
allen abgestimmten Planungen abweichende
Linien- und Haltekonzeption verfolgt.
Warum die Abkehr vom Pilzkonzept?
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Am Anfang war das Pilzkonzept. Von diesem zwischen Bund, Berlin und DB abgestimmten Konzept will die Bahn jetzt nichts mehr wissen. Über die Stadtbahn (Unterseite des Pilz-Hutes) sollen plötzlich keine Fernzüge mehr fahren Grafik: DB Projektbau |
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Die DB hat sich mit dem neuen Hauptbahnhof
und dem neuen Bahnhof Südkreuz finanziell
schwer überhoben. Deshalb sollen diese
nicht auch noch untergenutzt wirken. Vor
allem aber sollen so viele Reisende wie irgend
möglich dorthin gelenkt werden, damit
sie dort einkaufen und auf diese Weise die
Vermietung der Läden der DB einen maximal
möglichen Ertrag bringt. Außerdem ist
der Nord-Süd-Tunnel mit vier Gleisen überdimensioniert,
so daß bei zu wenig Zügen
die Erlöse aus den Trassenpreisen zu gering
sind. Bei der Planung in den 90er Jahren gingen
Bund, Senat und Bahn von erheblichen
Einwohner- und Fahrgastzuwächsen aus.
Zwar gibt es im Berlin-Verkehr Fahrgastzuwächse,
aber die DB wird aus finanziellen
Gründen 2006 nach Eröffnung des viergleisigen
Nord-Süd-Tunnels nicht mehr Fernzüge
fahren lassen, als heute auf der zweigleisigen
Stadtbahn verkehren. Da in den 90er
Jahren außerdem ein Flughafenzubringer
alle 15 Minuten vom Lehrter Bahnhof nach
Schönefeld eingeplant worden war, wird es
auch deshalb 2006 große unterausgelastete
Gleiskapazitäten geben.
Was bedeuten die DB-Pläne für die
Reisenden?
Mehr als 90 Prozent der Berliner Fernverkehrsreisenden
müssen ab dem 28. Mai
2006 zum neuen Hauptbahnhof oder zum
neuen Bahnhof Südkreuz fahren. Nur wenige
werden in Spandau zusteigen können,
weil dort weiterhin nur ein Teil der ICE-Züge
hält. Beide neuen Fernbahnhöfe sind nur
mit der S-Bahn und mit Regionalzügen gut
erreichbar. Straßenbahn- und U-Bahn-Anschluß
gibt es nicht. Mittelfristig soll zwar
der Hauptbahnhof beides erhalten, aber
2006 wird es nur während der Fußballweltmeisterschaft
die „Spielzeug-U-Bahn" U 55
mit Zwei-Wagen-Zügen zum Brandenburger
Tor geben. Ein regulärer Betrieb kann erst
nach zwischenzeitlicher Stillegung 2007 aufgenommen
werden, und eine verkehrliche
Bedeutung für einige Fernverkehrsreisende
erhält diese Linie erst, wenn sie als U 5 Richtung
Alexanderplatz fährt - Planungsstand
derzeit 2015. Die Straßenbahn vom Hauptbahnhof
nach Prenzlauer Berg soll immerhin
„schon" 2010 fahren, während die S 21 (neue
Nord-Süd-S-Bahn zum Hauptbahnhof) auf
Jahre hinaus nicht einmal begonnen werden
wird. Somit werden 2006 lediglich ein paar
veränderte Buslinien wenigstens einige der
Reisenden umsteigefrei zu den beiden neuen
Fernbahnhöfen bringen - wenn sie nicht im
Stau stecken bleiben.
Zusätzlich zu der für viele Berliner Fahrgäste
unbequemen und Zeit kostenden
Erreichbarkeit insbesondere des neuen
Hauptbahnhofs kommen noch weite Wege
innerhalb der Station hinzu. So müssen am
Hauptbahnhof die oben mit der S-Bahn ankommenden
Fahrgäste mit Gepäck mindestens
5 Minuten für ihren Weg zu den sehr
tief liegenden unterirdischen Fernbahnsteigen
einplanen. Zwar gibt es Aufzüge und
Fahrtreppen, aber nicht durchgehend, denn
die Fahrgäste sollen ja die Läden sehen und
dort kaufen ...
Viele Reisende werden also 2006 trotz
Fahrzeitverkürzungen im Fernverkehr durch
eine verlängerte Anreise zum Zug insgesamt
mehr Zeit benötigen als heute.
DB hat Vertrauen verspielt
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Der Bahnhof Zoo liegt mitten in der westlichen Innenstadt und wird bisher von Touristen häufig als der „Hauptbahnhof von Berlin" bezeichnet. Bahnchef Hartmut Mehdorn interessiert das aber nicht. Die Fahrgäste sollen zur Bahn kommen, nicht die Bahn zu den Fahrgästen. Foto: Marc Heller |
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Es ist unbestritten, daß die Bahn in großen
Finanzproblemen steckt, für die die „große
Politik" mit der Begünstigung von Auto
und Flugzeug mitverantwortlich ist. Aber
die Bahn selbst verschärft diese Probleme
erheblich durch die angestrebte Börsenfähigkeit.
Verkehrliche Interessen der Kunden
werden deshalb zur Zeit fast immer den wirtschaftlichen
Interessen des Unternehmens
DB AG untergeordnet. Dieser Prioritätensetzung
kann nur einer Einhalt gebieten: der
Eigentümer. Bundesregierung und Bundestag
müssen die Bahn endlich wieder auf das
richtige Gleis setzen. Dazu gehört auch, daß
Fernzüge in die City-West und die City-Ost
fahren. Ein Jahrzehnt lang war diese Planung
mit mehreren Halten in Berlin (Pilzkonzept)
zwischen Bund, Bahn und Senat Konsens
und Grundlage für Milliarden-Investitionen
öffentlicher und privater Gelder. Über Nacht
fegt die Bahn nun dieses Konzept vom Tisch
und stellt alle, vor allem ihre Kunden, vor
vollendete Tatsachen.
Damit diese Strategie auch aufgeht, hat
die DB die Planungen möglichst lange geheim
gehalten, obwohl die Überlegungen
innerhalb der Bahn, wie jetzt zu hören ist,
mindestens schon seit ein bis zwei Jahren in
diese Richtung gehen. Das ist dreist. Damit
hat die Bahn viel Vertrauen verspielt. Besserung
scheint noch nicht in Sicht. Großzügig
bietet die Bahn als „Kompensation" an,
morgens und abends einige ICE-Züge über
die Stadtbahn fahren zu lassen - wohl wissend,
daß sie das ohnehin tun muß, um die
Züge ins Betriebswerk Rummelsburg fahren
zu können.
Die DB hat sich bei den Verhandlungen
zum S-Bahn-Verkehrsvertrag über den Berliner
Senat aufgeregt - zu Recht. Jetzt ist
das Verhalten der DB gegenüber Berlin leider
nicht besser.
Erneute Wendung?
Am 14. Juni zitiert die Berliner Zeitung
Bahnchef Hartmut Mehdorn mit den Worten,
daß Ostbahnhof ein Fernzughalt bleibe,
er aber entschieden gegen einen ICE-Halt
im Bahnhof Zoo sei. „So schön ist die
Umgebung auch wieder nicht - mit dem
Erotikmuseum um die Ecke" Ignoriert man
einmal die unsachliche Argumentation, so
kann die Aussage Mehdorns eigentlich nur
als Rückkehr zum Modell „Fahren über die
Stadtbahn ohne Halten am Zoo" interpretiert
werden.
Warum soll der Bahnhof Zoo
Fernbahnhalt bleiben?
Die Verknüpfung mit dem innerstädtischen
Schnellbahnnetz ist am Bahnhof Zoo ideal:
Neben der S-Bahn ist die Anbindung sowohl
durch eine U-Bahnlinie in Nord-Südals
auch in Ost-West-Richtung gewährleistet;
hinzu kommen zahlreiche Buslinien.
Am künftigen Hauptbahnhof kann bezüglich
der Verknüpfung mit dem städtischen
Nahverkehrssystem kein gleichwertiger
Ersatz geschaffen werden. Außerdem liegt
der Bahnhof Zoo ideal im Einzugsgebiet
der City-West. Auch für Reisende aus dem
Berliner Südwesten und aus Potsdam ist
er bequemer und schneller erreichbar. Für
alle, die hier nur durchfahren wollen, verlängert
sich die Reisezeit lediglich um vier
Minuten.
Um ein fahrgastfreundliches Angebot zu
gewährleisten, muß der Bahnhof Zoologischer
Garten als Systemhalt für alle Züge
des Fernverkehrs, die weiterhin über die
Stadtbahnstrecke verkehren, verbleiben.
Auch ein Alibi-Halt beispielsweise einiger
weniger Züge in Tagesrandlagen stellt keine
Lösung dar, da das Ziel grundsätzlich ein für
den Bahnkunden leicht merkbares und übersichtliches
Fahrplanangebot sein muß.
Weil ein Teil der Linien sowohl im Fern- als
auch im Regionalverkehr in den Nord-Süd-Tunnel
verlagert wird, ergibt sich die
erwünschte und zweifellos auch notwendige
Entlastung des Bahnhofes Zoologischer
Garten. Kapazitätsengpässe stellen damit
ebenfalls kein Grund dar, diesen Halt aufzugeben.
Doch wer die Diskussion der letzten Wochen
verfolgt hat, wird den Eindruck nicht
los, daß all diese Sachargumente für die
Bahn nicht zählen bzw. dem DB-Verständnis
von Wirtschaftlichkeit untergeordnet
werden. Ein Indiz dafür ist, daß sich die DB
zuletzt allen Einladungen zu Veranstaltungen
und Interviews verweigert hat. Die DB
als Staatsbetrieb, der sich der Öffentlichkeit
und dem Kundendialog verweigert-war der
Anspruch nicht ein anderer? IGEB Fernverkehr
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