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Sie waren eine kleine Sensation: Als am
28. August 1961, wegen des Mauerbaus und
des darauffolgenden S-Bahn-Boykotts fünf
Tage früher als zunächst geplant, der erste
Abschnitt der heutigen Berliner U 9 eröffnet
wurde, sorgten neben den Bahnhöfen die
neuen Züge für Aufsehen. Da sie mit maximal
1,2 m/s2 doppelt so schnell beschleunigten
wie die damals noch allgegenwärtigen
Vorkriegswagen und mit 70 km/h eine
größere Höchstgeschwindigkeit besaßen als
alle ihre Vorgänger, erschienen sie vielen
als „gelbe Blitze"' „,Det is ja'n Düsenjäger'
- .Donnerwetter, hat die einen Anzug' - ,Da
bleibt einem ja die Luft weg', so lauteten
die Kommentare der meisten Fahrgäste.",
berichtete der „Tagesspiegel" tags darauf.
„Wer im Gang der modernen Großraumwagen
stand, konnte sich bei Beschleunigung
und Bremsen kaum auf den Beinen halten.
Auf den Sitzen rutschte man seinem Nachbarn
beinahe auf den Schoß." Zwar war der
Prototyp dieser Fahrzeuge bereits im Frühjahr
1956 ausgeliefert worden, und ab Ende
1957 hatte die BVG die Wagen aus der ersten
neuen Serie in Dienst gestellt. Aber erst
auf dieser einzigen Berliner U-Bahnlinie, die
nach 1930 vollkommen neu entstand, konnten
die Züge ihre Höchstgeschwindigkeit
ausfahren. Zumal sie dort von Anfang an
unter sich waren.
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Abschiedsfahrt für die Berliner U-Bahn-Baureihe DL am 27. Februar 2005, fotografiert im U-Bahnhof Hönow. Das Bild ist auch als Postkarte im Fahrgastzentrum im S-Bahnhof Jannowitzbrücke erhältlich. Foto: Marc Heller |
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Am 27. Februar fand nun, von den Medien
kaum beachtet, die offizielle Verabschiedung
dieser Wagengattung statt. Jene Exemplare,
die seinerzeit so sensationell wirkten, haben
die Stadt größtenteils längst verlassen: Die
230 bis 1965 gebauten Vertreter des Typs D,
noch mit stählernen Wagenkästen und - außer
der jüngsten Serie - einer Innenraumverkleidung
aus echtem Holz, sind schon bis
zum Oktober 1999 aus dem Verkehr genommen
worden. 216 von ihnen wurden nach
Pjöngjang verkauft. Womit sie die BVG zum
zweiten Male veräußert hatte: Bereits 1988-90
waren viele von ihnen Ost-Berlin überlassen
worden, wo man dringend weitere Wagen
brauchte, um die Strecke nach Hönow in
Betrieb nehmen zu können. Derweil wollte
die BVG ihre schon damals ältesten Züge loswerden,
weil sie seit einer zu Einsparungszwecken
erfolgten Fahrplanausdünnung zu
viele Fahrzeuge besaß.
Jahrzehnte zuvor hatte man gefürchtet, die
andere Seite könnte einige davon entwenden:
Erst, als der Bestand an Vorkriegswagen immer
geringer geworden war, durften ab Ende
1969 D-Züge auch über die Transitstrecke der
U 8 durch den Ostsektor fahren, von der bekanntlich
eine Verbindung zur heutigen U 5
besteht, für welche es der Ost-BVG lange an
rollendem Material fehlte. Letzteres bot dem
ideologisch gefestigten Westler natürlich auch
Gelegenheit, sich in Anbetracht der D-Wagen
mal wieder überlegen zu fühlen und das System,
in dem er lebte, bestätigt zu sehen - die
Ostentwicklung E I kam schließlich über ein
bald als unausgereift und technisch überholt
abgestelltes Baumuster nicht hinaus. Die
stattdessen produzierten Züge des Typs EMI konnten
als umgebaute alte S-Bahnen abgetan werden, welche
eigentlich nur bedingt für den U-Bahn-Einsatz geeignet
waren. Und wie dann die überflüssigen, betagtesten
Westwagen im Osten auftauchten, das erinnerte
doch stark daran, wie man abgelegte Kleidungsstücke
„nach drüben" schickte. Nichtsdestoweniger war es
zumindest für West-Berliner allerdings auch ein verstörendes
Erlebnis, die so sehr vertrauten Fahrzeuge auf
einmal in dieser ungewohnten und in mancher Hinsicht
fremden Umgebung zu sehen. Und im Rückblick
scheint es, als hätte sich damit bereits angekündigt,
wie die Verhältnisse bald darauf allgemein ins Rutschen
kommen sollten.
Die 230 Fahrzeuge des Typs D und die 202 der
Leichtmetallausführung DL, von denen sie sich
technisch kaum und optisch überhaupt nicht unterschieden,
stellten einen enormen Fortschritt für
die Berliner U-Bahn dar. 1956 bis 1965 bzw. 1965
bis 1971 in West-Berlin von den Deutschen
Waggon- und Maschinenfabriken (später
Waggon Union) und Orenstein & Koppel
gebaut, folgten sie einem völlig neuen Konzept:
Da sich die Zahl der unterzubringenden
technischen Komponenten erheblich erhöht
hatte, verteilte man diese auf zwei, durch
eine Kurzkupplung miteinander verbundene
Wagen. Der „Kompressorwagen" (ungerade
Wagennummer) erhielt jeweils die
Druckluft- und die Umformeranlage sowie
die Einrichtungen für die Beleuchtung, der
„Steuerwagen" (gerade Nummer) jene für die
elektrische Steuerung. Die Idee, nicht mehr
Trieb- und Beiwagen zu bauen, erwies sich
als richtungweisend: Bis Mitte der neunziger
Jahre wurden über 700 solcher Doppeltriebwagen
hergestellt, einschließlich der als Typ
F bezeichneten Nachfolgemodelle, jener für
die Kleinprofillinien (Typ A 3 bzw. A 3 L) und
der S-Bahn-Serie 480.
Außerdem konnten die D-Wagen als erste
bei der Berliner U-Bahn mit magnetischen
Fahrsperren, vollautomatischen Scharfenbergkupplungen
und einem „Totmannschalter"
aufwarten - so konnte die schon damals
von Geldnöten geplagte BVG die Zugbegleiter
wegrationalisieren - , sowie mit einem automatischen
Schaltwerk, bei dem der Fahrer
nur noch die gewünschte Geschwindigkeit
einzustellen und einen Knopf zu betätigen
hatte. Auch elektronische Bauteile kamen
erstmals bei diesen Wagen zum Einsatz, die
zwei Drehgestelle besaßen, mit je einem
längsliegenden Fahrmotor und Düwag-Getriebe,
das alle Achsen antrieb. Betriebsmäßig
wurden sie mit der fremderregten
elektrischen Widerstandsbremse gebremst,
die elektropneumatische Druckluftbremse
diente zur Sicherheit.
Im Innern fanden sich Abdeckleisten (teilweise
mit eingelassenen schwarzen Zierstreifen
aus Kunststoff!), Fensterrahmen und Haltestangen
aus dem Modematerial eloxiertes
Aluminium, und Leuchtstofflampen bewirkten
eine nie gekannte Helligkeit - die alten,
bis 1930 ausgelieferten Fahrzeuge waren mit
sechzig oder sogar nur vierzig Watt starken
Glühlampen ausgestattet gewesen. Zur gleichen Zeit
wurde übrigens auch die Beleuchtung
der für heutige Ansprüche unglaublich
dunklen U-Bahnhöfe auf die damals hochmodernen
„Neonröhren" umgestellt. Vermutlich
deshalb wurden die D-Wagen nicht mehr im
traditionellen Gelb lackiert, sondern in jenem
erheblich rötlicheren „Orangegelb", das bis
heute den Fahrzeugpark dominiert: Das Licht
von Leuchtstofflampen besitzt bekanntlich
einen starken Blaustich, ganz im Gegensatz
zu jenem von Glühlampen mit seinem hohen
Anteil an Rot- und Gelbtönen. Bei der Farbgebung
des neuesten Typs H wurde dies anfangs
nicht beachtet - weshalb die Fahrzeuge unter
der Erde nicht in dem von der BVG propagierten
„Sonnengelb" erstrahlten, sondern durch
einen recht kränklich wirkenden Grünstich
auffielen.
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Das Ende kam schneller als erwartet: 1996 zierte ein DL-Wagen noch die BVG-Broschüre zur Verlängerung der Bahnsteige der U6 zwischen Reinickendorfer Straße und Kochstraße |
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Bei den D-Wagen stieß sich hingegen
mancher an der Innengestaltung. So verglich
der renommierte Architekturkritiker Günther
Kühne sie im „Tagesspiegel" vom 25. Januar
1970 mit den damals neuesten Hamburger
U-Bahn-Wagen des Typs DT 2 bzw. DT 3
(deren Designer stammten aus dem Umfeld
der berühmten Ulmer Hochschule für Gestaltung,
die sich in der Bauhaus-Tradition
sah): „Kein Zweifel, daß sie hervorragende
fahrdynamische Eigenschaften haben, daß
auf dem Wege zur automatischen Steuerung
große Fortschritte gemacht worden
und womöglich noch größere zu erwarten
sind. Doch schon bei der Innenausstattung
hat das Ingenium die Ingenieure (oder wer
sonst .gestaltet' hat) verlassen: Die Anordnung
der Längsbänke erinnert fatal an die
alten Vierter-Klasse-Wagen; die Verkleidung
der Innenwände mit (Holzmaserung imitierenden!)
dunklen Kunststoffplatten und
sorglos zusammengebastelten Deckleisten
aus Aluminium ist schlechtestes Erbe der
Nierentischzeit. Ein Vergleich mit den Hamburger
Fahrzeugen ist schlagend: Platten
und Polsterbezüge in angenehmen hellen
Grautönen sind so zusammengepaßt, daß
die Entwerfer auf die armseligen Krücken der
Deckleisten verzichten konnten; Stirnwände
und Türen der Fahrzeuge sind leuchtend
orange. Außerdem haben die Hamburger
U-Bahn-Wagen, obwohl sie schmaler sind
als die Berliner Großprofilwagen, Querbänke
entweder in der Anordnung 2+2 oder 2+1."
Die wenig später ausgelieferten F-Züge
sollten Kühnes Vorstellungen weitgehend
entsprechen. Weshalb Berlin mit den D-Wagen
nicht nur ein weiteres Mal Nahverkehrsfahrzeuge
verloren hat, welche das Bild der
Stadt jahrzehntelang geprägt haben - nach
den legendären alten S-Bahn-Wagen, den
„Reko"-Straßenbahnen und den bis Herbst
1989 in Ost-Berlin eingesetzten Vorkriegs-U-Bahnen.
Mit Furnier an den Wänden, rotem
Linoleum auf dem Boden und (ursprünglich)
dunkelgrünen Kunstledersitzen zählten
die D-Wagen auch zu den letzten, die noch
dem alten Ideal folgten, im Inneren von
Bussen und Bahnen Wohnlichkeit zu vermitteln.
Nur bei einigen A3L-Wagen, sozusagen
vom Typ D/DL aufs Kleinprofil adaptiert und
nach diesen die allerletzten in West-Berlin,
die noch mit Zierleisten und Türgriffen ausgestattet
waren, kann man dies nun noch
finden. Doch von der zeittypischen Eleganz,
welche diese in den Fifties kreierten Fahrzeuge
einmal besaßen, ist nur noch wenig
zu spüren: Vor allem im Laufe der letzten 20
Jahre wurde bei ihnen hier etwas angestükkelt,
dort etwas aufgeschraubt, wurden dort
neue Klappen angebracht, hier noch ein paar
Abdeckbleche, dazu die gefleckten Sitzbezüge,
oft neue Leuchten - die Wagen bieten ein
chaotisches, per se recht ungepflegtes Bild,
bei dem vom Schick und Charme der Nachkriegszeit
nahezu nichts übrig geblieben ist.
Insofern fällt auch der Quasi-Abschied vom
Typ A 3 leicht, dessen letzte 32 Doppeltriebwagen
seit einiger Zeit bei der Firma Mittenwalder
Gerätebau „ertüchtigt" werden.
Durch ein laut BVG „ehrgeiziges Programm"
sollen „die Oldies weitere 16 bis 20 Jahre
ohne großen Instandhaltungsaufwand fahren
können": Neben einer neuen Elektronik,
neuer Heizung und neuen Stromabnehmern
erhalten sie beispielsweise ein Interieur in
trendigem Grau statt in wohnlichem Braun
- und statt Nummern aus dem 900er- solche
aus dem 400er- und 500er-Bereich. Daß diese
1964 bis 1966 gebauten Fahrzeuge noch
stählerne Wagenkästen besitzen (und damit
Raritäten sind), ist für den Fahrgast praktisch
nicht zu erkennen. Doch weshalb möbelt die
BVG solche Wagen fürs Kleinprofilnetz mit
seinen vielen oberirdischen Strecken auf,
derweil sie jüngere, die den Großteil ihres
„Lebens" vor Wind und Wetter geschützt im
Tunnel verbracht haben, ausrangiert? Eine
Spätfolge der Ära Diepgen, die glücklicherweise
kaum thematisiert wurde: Wandern
die DL-Wagen doch seit dem Sommer 2002
auf den Schrottplatz dank der überzogenen
Berliner Wachstumsphantasien der ersten
Zeit nach dem Mauerfall. Plus der Vorstellung,
man könnte die Olympischen Spiele
2000 ergattern. Als diese an Sydney vergeben
worden waren und sich abzeichnete,
Berlin würde wohl doch nicht bald vier oder
fünf Millionen Einwohner haben, sollte die
Bestellung vieler H-Züge storniert werden.
Doch die BVG kam aus dem Vertrag, den
sie auf Geheiß des Senats geschlossen hatte,
nicht mehr heraus. Außerdem drohte der
Hersteller in der üblichen Weise mit dem Verlust
von Arbeitsplätzen.
Ihren letzten regulären Einsatz, der erstmals
für den Herbst 2002 angekündigt gewesen
war, hatten die DL-Wagen, von denen
viele erst 1996 für 1,5 Millionen DM mit Vorheizanlagen
ausgerüstet worden waren, am
11. Dezember 2004. Im Sommer 2003 waren
einige von ihnen sogar noch einmal kurzzeitig
auf die U 9 zurückgekehrt, ihre einstige
Paradestrecke, von der sie freilich früh und
vollständig durch die F-Züge verdrängt worden
waren. Einem kurzen Durcheinander in
der Fahrzeugverteilung geschuldet, hatte
sich damit - von kaum jemandem bemerkt
-ein Kreis geschlossen. Jan Gympel
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