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Der verabschiedete umfassende Katalog
zur Stärkung der Fahrgastrechte orientiert
sich am Flugverkehr, um Wettbewerbsnachteile
für die Bahn zu vermeiden. Im Eisenbahn-Personenverkehr
aller EU-Mitgliedsstaaten
sollen im Falle von Verspätungen
einklagbare Entschädigungen ermöglicht
werden. Der von den Grünen zwischen den
Fraktionen initiierte Kompromiss sieht ab
einer Stunde Verspätung eine Erstattung
von 25 Prozent des Fahrpreises vor, ab zwei
Stunden 50 Prozent und ab drei Stunden 75
Prozent. Dies sind Mindeststandards - höhere
Standards können jederzeit von den
nationalen bzw. regionalen Behörden oder
auch den Eisenbahngesellschaften eingeführt
werden.
Fahrradmitnahme
In namentlicher Abstimmung und mit einer
verblüffenden Mehrheit von 550 zu 87 Stimmen
bei 16 Enthaltungen votierten die Abgeordneten
für die Fahrradmitnahme auch
in Hochgeschwindigkeitszügen. Der von uns
initiierte Änderungsantrag hatte folgenden
Wortlaut: „Das Fahrrad des Fahrgasts wird
in allen Zügen, einschließlich grenzüberschreitenden
Zügen und Hochgeschwindigkeitszügen,
gegebenenfalls gegen Bezahlung,
befördert."
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Fernbahnhof Berlin-Spandau. Im Fernverkehr der DB AG fahren inzwischen fast nur noch ICE-Züge, bei denen eine Fahrradmitnahme, anders als beim französischen TGV, (bisher) nicht möglich ist. Foto: Marc Heller |
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Was im französischen TGV bereits möglich
ist, darf der deutsche ICE künftig nicht
mehr verweigern. Die Deutsche Bahn AG
ist aufgefordert, ihren Widerstand gegen
die Fahrradmitnahme im ICE aufzugeben.
Seit 20 Jahren boomt der Fahrradtourismus
mit zweistelligen Zuwachsraten pro Jahr,
während andere Tourismusarten stagnieren
oder zurückgehen. Hier kann sich die
Bahn an die Spitze der Bewegung stellen,
indem sie zeigt, dass sie nicht, wie die deutsche
Automobilindustrie beim Katalysator
und beim Rußfilter, die Entwicklungstrends
verschläft.
Zudem werden die Eisenbahngesellschaften
verpflichtet, umfassende Informationen
und den Kauf europaweiter Tickets zu garantieren.
Der Zugang für mobilitätsbehinderte
Fahrgäste ist sicherzustellen.
Öffnung der
nationalen Eisenbahnnetze
Die Öffnung der nationalen Eisenbahnnetze
soll schrittweise stattfinden. Freie Fahrt
durch Europa, von Lissabon nach Tallinn, von
London nach Athen, gibt es nämlich bisher
nur auf der Straße und in der Luft. Das Eisenbahnnetz
hingegen gleicht einem Teppich
aus 25 Flicken. So bleibt die Bahn auf der
Strecke!
Ab 2008 gilt das für den grenzüberschreitenden,
ab 2012 für den nationalen Personenfernverkehr.
Mit dem europäischen
Lok-Führerschein wird dann auch der Fahrerwechsel
an der Grenze zwischen den Mitgliedsstaaten
überflüssig.
Die Zustimmung zur schrittweisen Öffnung
der nationalen Eisenbahnnetze auch
im Personenfernverkehr war für uns mit klaren Bedingungen verbunden, die wir auch im
Bericht durchsetzen konnten:
- Es darf kein Sozialdumping geben und die
ökologischen Belange müssen beachtet
werden. Diese Aspekte wurden vom Europäischen
Parlament (Verkehrsausschuss,
Berichterstatter Meijer) bereits hinsichtlich
der Vergabe öffentlicher Dienstleistungen
für den Personenverkehr auf Schienen,
Straßen und Binnenschifffahrtswegen gefordert.
In diesem Zusammenhang begrüßen
wir, dass die Kommission nach mehreren
Jahren endlich einen neuen Vorschlag
für die „Öffentlichen Personenverkehrsdienste
auf Schiene und Straße" gemacht
und dem Parlament zugeleitet hat.
- Es darf keinen ruinösen Wettbewerb geben.
Deshalb kann auf eine Ausschreibung
verzichtet werden, wenn nationale Eisenbahngesellschaften
existenziell bedroht
sind.
- Notwendig ist ein Bericht über die bisherigen
Erfahrungen mit Wettbewerb. Wir
wollen das Gute kopieren und aus den
Fehlern lernen.
- Die Infrastruktur - das ist eine Erfahrung aus
dem britischen und dem estnischen Beispiel
- muss vollständig bei der Öffentlichen Hand
bleiben. Für uns ist das eine nicht verhandelbare
Bedingung! Zwischen Riga und Tallinn
gibt es nämlich seit der Privatisierung der
Netze keinen Personenverkehr mehr, weil
der neue Eigentümer mit dem Güterverkehr
mehr Geld verdient. Die Personenzüge störten
das Geschäft, weshalb sie ausgemustert
wurden. Die Politik war machtlos - ein Beispiel,
das sich nicht wiederholen darf!
Mit der vom Europäischen Parlament beschlossenen
Regelung wird auch die bisherige
Praxis beendet, nach der Eisenbahnunternehmen
aus Mitgliedsstaaten in fremden
Netzen fahren, das eigene aber abschotten.
Die Politik muss sich einmischen
Mit der Situation auf der Schiene kann Europa
nicht zufrieden sein - und die Kunden
schon gar nicht. Nicht nur zu hohe Preise,
vielfache Verspätungen und schlechter
Service sind meist die Regel, es gibt auch
fahrgastfeindliche Planungen. Dazu drei
Beispiele:
- In Deutschland will die DB AG die Fernverkehrszüge
am Berliner Bahnhof Zoologischer
Garten nicht mehr halten lassen.
Die Fahrgäste laufen dagegen Sturm, einstimmig
unterstützt von Parlament und
Politik. Doch die DB AG bewegt sich nicht,
die Politik kapituliert!
- In Italien soll die Eisenbahnstrecke zwischen
Mailand und Verona beschleunigt
werden. Dafür soll die zweitgrößte Stadt
der Lombardei, Brescia, abgekoppelt werden.
Für ihre 200.000 Einwohner verlängert
sich dann die Reisezeit um 30 Minuten.
Auch hier scheint die Politik machtlos
zu sein.
- Da beschließen die nationalen Parlamente
und auch das Europäische Parlament
in seinem Tourismusbericht, dass auch in
den Hochgeschwindigkeitszügen die Fahrradmitnahme
erlaubt sein soll. Im französischen
TGV ist es möglich, im deutschen
ICE nicht. Doch die DB AG bleibt stur, die
Politik ist hilflos.
Deshalb wollen auch die Grünen, dass die
Parlamente und die gewählten Politikerinnen
und Politiker wieder Einfluss auf die
Eisenbahnpolitik in Europa bekommen.
Mit dem 3. Eisenbahnpaket wird das der
Fall sein. Deshalb hoffen die Grünen, dass
nach dem Europäischen Parlament auch
der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs
diesem Paket unverzüglich
zustimmt. Michael Cramer, MdEP,
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
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