Am Ende war es Chefsache. Nach langen
ergebnislosen Diskussionen über einen
neuen Tarifvertrag für die Beschäftigten
der BVG einigten sich in der Nacht zum
16. Juni 2005 Berlins Regierender
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der
Verdi-Gewerkschaftschef Frank Bsirske
auf einen neuen Kompromiss, der nach Unterzeichnung
der sogenannten Anwendungsvereinbarung
am 1.September 2005 in Kraft
trat. Damit dürfte zugleich der Fortbestand
der BVG als lokaler Nahverkehrsmonopolist
bis 2020 gesichert sein.
Die Zukunft der BVG (Anstalt des öffentlichen
Rechts - AöR) wurde wegen ihrer finanziellen
Rahmenbedingungen vor dem
Hintergrund der lange Zeit als unvermeidlich
dargestellten EU-Ausschreibungspflicht
für öffentliche Verkehrsleistungen immer
unklarer. Der Berliner Senat liebäugelte mit
dem Gedanken, nach Auslaufen des BVG-Unternehmensvertrages
Ende 2007 zumindest
Teile der Verkehrsleistungen öffentlich auszuschreiben,
und erhoffte sich davon Einsparungen.
Deshalb und zur Erzielung höherer
Gehaltsabschläge verschleppte vor allem
Berlins Finanzsenator den Abschluss eines
von den Tarifpartnern im Grundsatz bereits
Anfang 2005 ausgehandelten sogenannten
Sparten-Tarifvertrages.
Die zuständige Staatssekretärin Maria Krautzberger
kündigte auf einer Veranstaltung in der
Friedrich-Ebert-Stiftung noch wenige Tage
vor der Tarifvereinbarung vom Juni an, dass
ca. 30 % der bisher von der BVG erbrachten
Verkehrsleistungen ab 2008 ausgeschrieben
werden sollen.
Aber dann kam es ganz anders: Die Gewerkschaft
verstärkte ihren Druck auf den Senat, es
gab einen Warnstreik und eine Urabstimmung
über einen großen BVG-Streik. Die Situation
drohte zu eskalieren. Zugleich zeichneten sich
überraschend vorgezogene Bundestagsneuwahlen
ab. Deshalb ließ sich Klaus Wowereit
wohl nicht nur von finanziellen, sondern auch
von übergeordneten Aspekten bei seinem Einschalten
in den Tarifkonflikt leiten. Denn ein
Streik im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt
als Begleitmusik zum Bundestagswahlkampf
wäre nicht hilfreich gewesen. So kam
es völlig unerwartet und schnell am 16. Juni zu
einer Tarifvereinbarung, die weit mehr regelt,
als in Tarifverträgen üblich ist, und die das Land
Berlin bis zum Jahr 2020 mit vielen Rahmenbedingungen
bindet.
Gehaltsverzicht für
Arbeitsplatzsicherheit
Mit dem neuen Tarifvertrag garantiert das
Land Berlin den Fortbestand der BVG als vollintegriertes
und vollständig im öffentlichen Eigentum
stehendes Nahverkehrsunternehmen
bis zum 31. August 2020. Die BVG wird bis zum
Jahr 2020 (!) durch das Land Berlin mit 100 % (!)
des jeweiligen Verkehrsleistungsvolumens beauftragt.
Betriebsbedingte Kündigungen sind
für alle BVG-Alt-Beschäftigten für die nächsten
15 Jahre ausgeschlossen.
Im Gegenzug müssen die BVG-Mitarbeiter allerdings
Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Diese
Gehaltseinbußen orientieren sich an dem bereits
2003 vom Land Berlin für den öffentlichen
Dienst geschlossenen Tarifvertrag nach dem
Prinzip „kürzere Arbeitszeit und entsprechend
weniger Geld" So wird die wöchentliche Arbeitszeit
von bisher 39 (BAT/BMT-G - West) bzw.
40 (BAT/BMT-G - Ost) nunmehr einheitlich auf
39 Stunden festgelegt und dann für alle ohne
Lohnausgleich auf 36,5 Stunden reduziert. Das
entspricht einer Gehaltssenkung um ca. 6,5 %.
Zum Vergleich: Für den übrigen öffentlichen
Dienst im Land Berlin beträgt die Gehaltsenkung
seit 2003 je nach Einkommen zwischen 8
und 12 %. Bei der BVG sollen nur die Gehälter
der Führungskräfte („AT"-Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder)
um 12 % reduziert werden.
Für neue BVG-Mitarbeiter (s.u.) wird das Gehaltsniveau
allerdings um bis zu 30 % (!) abgesenkt.
Darüber hinaus fällt für alte und neue
Mitarbeiter ab 2005 das Urlaubsgeld weg und
das Weihnachtsgeld wird gekürzt. Dieser Tarifabschluss
soll der BVG jährlich Personalkosten
in Höhe von 38,5 Millionen Euro ersparen. Das
Gehaltsniveau ist bis Ende 2007 festgeschrieben,
danach muss neu verhandelt werden.
Weitere nicht unwesentliche Vereinbarungspunkte
beziehen sich beispielsweise auf
die Verpflichtung, dass die BVG weiterhin über
den Eigenbedarf hinaus Ausbildungsplätze anbietet
und die Azubis danach mindestens ein
Jahr beschäftigt. Vereinbart ist außerdem der
Verbleib der BVG bzw. der Eintritt ihrer Tochter
„Berlin-Transport" (BT) beim Kommunalen Arbeitgeberverband.
Eine Reihe weiterer Vereinbarungen bezieht
sich nur auf BT, deren Personal immerhin
rund ein Drittel der Verkehrsleistungen
erbringt. Für die BT-Mitarbeiter ist eine Reduzierung
der wöchentlichen Arbeitszeit
von bisher fast 42 auf 39 Wochenstunden
mit Lohnausgleich vorgesehen. Und mittelbar
werden auch die Gehälter von BT an
das Niveau der BVG-Mitarbeiter angehoben,
denn vereinbart ist, dass der Tarifvertrag
Nahverkehr (TV-N) künftig das verbindliche
Tarifniveau für die Vergabe von Nahverkehrsleistungen
in Berlin bilden wird.
Vergabequoten bis 2020 festgeschrieben
Noch etwas Ungewöhnliches wird im TV-N geregelt:
Die Fremdvergabequote wird auf 45 %
festgelegt. Bis zu 37 % der Verkehrsleistungen
je Unternehmensbereich können durch die BVG
(AöR) an die eigene Tochter „Berlin-Transport"
vergeben werden. Weitere 8 % der Leistungen
je Unternehmensbereich können durch die BVG
an weitere (private) Subunternehmer vergeben
werden. Damit werden in etwa die derzeitigen
Vergabequoten bis zum Jahr 2020 festgeschrieben.
Die BVG verzichtet bis 2020 auf Aus-, Neu- und
Umgründungen im Bereich des operativen
Kerngeschäfts, wozu Beförderung, Reparatur,
Wartung, Betriebshof und technische Infrastrukturbereiche
gezählt werden.
Der neue TV-N führt durch die Arbeitszeitreduzierung
zu einem Mehrbedarf von bis zu
400 Mitarbeitern im Fahrdienst, die bei der BVG
(Anstalt des öffentlichen Rechts nicht BT) angestellt
werden sollen. Dies ist ein besonders
kurioses Ergebnis: Nachdem die BVG jahrelang,
auch in jüngster Zeit noch, zum Teil sehr hohe
Abfindungsprämien an die Mitarbeiter gezahlt
hat, die das Unternehmen freiwillig verlassen
haben, erfolgen nun Neueinstellungen-wenn
auch zu einem deutlich niedrigeren Gehalt.
Im Ergebnis bedeutet der neue Tarifvertrag,
dass die BVG in den nächsten 15 Jahren alleiniger
Anbietervon Verkehrsleistungen im Berliner
öffentlichen Nahverkehr bleiben wird. Ein entsprechender
Verkehrsvertrag zwischen dem
Land Berlin und der BVG wird im Anschluss an
den jetzigen, 2007 endenden Unternehmensvertrag
zwar erst noch zu schließen sein, aber
seine Eckpunkte sind durch den neuen Tarifvertrag
vorgegeben.
Nach derzeitiger, allerdings noch nicht verbindlicher,
EU-Rechtslage wird eine Direktvergabe
("kommunale Eigenproduktion") an die
BVG für die Jahre nach 2007 nur dann möglich
sein, wenn die BVG zu Kosten wie ein durchschnittlich
gut geführtes Unternehmen produziert.
Ob die Voraussetzungen dafür aber allein
schon mit dem neuen Tarifvertrag gegeben
sein werden, darf man bezweifeln.
Insofern hat sich das Land Berlin mit der extrem
langen Laufzeit der tarifvertraglichen Regelungen
von 15 Jahren auf ein sehr großes Risiko
eingelassen, denn streitbare Wettbewerber,
die sich vom großen Berliner Nahverkehrsmarkt
Profite versprechen und sich vor Gericht durchzusetzen
wissen, gibt es schon heute reichlich.
Zahlen die Fahrgäste die Zeche?
Vieles wird nun von der Ausgestaltung des
neuen Verkehrsvertrages abhängen. Das Land
Berlin muss hier seine Rolle als Aufgabenträger
für den öffentlichen Nahverkehr ernsthaft und
aktiv wahrnehmen, um der BVG klare Vorgaben
zu machen: Wo soll sie fahren, wie viel mit
welchen Qualitätsstandards - und zu welchem
(Fahr-)Preis.
Wie wichtig klare Rahmenbedingungen für
den alten und neuen Monopolbetrieb BVG sind,
zeigt auch die aktuelle Diskussion um eine, entgegen
der Absprache mit dem Land Berlin, von
der BVG kurz nach Abschluss des Tarifvertrages
geforderte zusätzliche Fahrpreiserhöhung im
Jahr 2006. Diese Haltung der BVG lässt erahnen,
auf wessen Rücken die finanziellen Folgen des
neuen Tarifvertrages wohl im Wesentlichen
abgeladen werden sollen. Berliner Fahrgastverband IGEB
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