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Das Ende des InterRegio

Berlin—Chemnitz vor dem Aus

Die Deutsche Bahn plant zum kommenden Fahrplanwechsel am 28. Mai 2006 die Einstellung der letzten InterRegio-Verbindung Berlin—Chemnitz. Damit geht zum einen eine umsteigefreie Verbindung von der Hauptstadt in das sächsische Industrierevier verloren. Zum anderen wird damit auch der letzte Rest eines bundesweiten Netzes dieser erfolgreichen Zuggattung verschwinden. In Zukunft müssen Bahnkunden nun auch in dieser Relation umsteigen - und zugleich deutlich mehr bezahlen.

Der InterRegio (IR) wurde von der Bundesbahn nach intensiven Marktanalysen ab 1988 eingeführt. Er sollte den weitgehend verloren gegangenen Markt speziell derjenigen Kunden zurückgewinnen, die im Vergleich zu ICE- und IC-Verbindungen zu günstigeren Preisen reisen wollten und vorrangig umsteigefreie Verbindungen wünschten. Mit dem InterRegio-System wurde ein Markenartikel mit vielen Innovationen geschaffen:

  • Die Züge verkehrten liniengebunden überwiegend im Zwei-Stunden-Takt an allen Tagen.
  • Das IR-Netz konnte mit über 300 Systemhalten weit mehr Direktverbindungen bieten als das ICE- bzw. IC-Netz.
  • Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von bis zu 200 km/h ermöglichte kurze Fahrzeiten und die Nutzung der Infrastruktur-Möglichkeiten.
  • Für die Züge wurde eine neue Innenraumgestaltung entwickelt. Die differenzierte Ausstattung ermöglichte den Bahnkunden die Wahlmöglichkeit zwischen Abteil- und Großabteilen. Zwischen der 1. und 2. Wagenklasse wurden Bistro-Wagen eingesetzt (Blockzugbildung). Dieser Service wurde in der Folgezeit leider nicht auf allen Linien konsequent umgesetzt. Auch für die sichere Unterbringung von Fahrrädern war gesorgt.
  • Kostengünstige, vorhandene Betriebsmittel ermöglichten - im Gegensatz zum ICE - vergleichbar geringe Investitionen und niedrige Betriebskosten.

Hamburg—Kassel war erste IR-Linie

Am 25. September 1988 wurde die erste IR-Linie zwischen Hamburg und Kassel eingeführt. In Fahrgastbefragungen ermittelten die Marktforscher Spitzenwerte für den InterRegio - in den meisten Kategorien weit besser als für InterCity-Züge. Im Jahr 1995/96 wies das Zugverzeichnis der DB AG schließlich 443 InterRegio-Züge aus-die meisten davon fuhren täglich.

Leute beim Einsteigen
Das InterRegio-Konzept war attraktiv und erfolgreich. Zu den Systemmerkmalen gehörten Linienverkehr im Zwei-Stunden-Takt an allen Tagen und neue Wagen mit einer modernen Innenraumgestaltung und Wahlmöglichkeit zwischen Abteil und Großabteil. Auch für die Unterbringung von Fahrrädern war gesorgt. Foto: F. Müller

Die Strategie der DB AG, im Fernverkehr auf Hochpreisprodukte wie den prestigeträchtigen ICE- und IC-Verkehr zu setzen bzw. für die Auslastung vorrangig dieser Produkte Sorge zu tragen, führten zu der Entscheidung, das IR-Netz nach und nach einzustellen. Die entsprechenden Einschränkungen begannen im Juni 1999. Schlechte Marketing-Planung, ungenügende Kommunikation und der Verzicht auf eine Weiterentwicklung bzw. Erneuerung des Fahrzeugparks taten das Übrige, so dass die Qualität des grundsätzlich erfolgreichen Produktes InterRegio zunehmend verfiel.

Fragwürdig sind die Entscheidungen der DB AG angesichts der Konkurrenzlage. Um das Marktpotenzial besser auszuschöpfen, muss der Fernverkehr gerade gegenüber dem Pkw, dem Fernreisebus, den Mitfahrzentralen und Billigfliegern im Preisniveau konkurrenzfähig sein. Dazu wäre gerade das InterRegio-System ideal, mit dem ein Fernverkehrs-Produkt angeboten werden könnte, dass deutlich unter dem Preisniveau des IC, erst recht unter dem des ICE liegt.

Berlin—Chemnitz: Umsteigen und 58 Prozent teurer

Auch die Streichung der IR-Verbindungen zwischen Berlin und Chemnitz führt künftig zu erheblichen Nachteilen für die Bahnkunden. Die Fahrt mit dem ICE bzw. mit dem RegionalExpress ist zwar schneller, aber die Bahnkunden werden in Leipzig Hbf umsteigen müssen und der Fahrpreis wird deutlich höher sein. Derzeit zahlt ein Reisender zum Beispiel zwischen Berlin-Ostbahnhof und Chemnitz Hbf für die einfache Fahrt 29,80 Euro bei Nutzung des InterRegio (2. Klasse), der entsprechende Fahrpreis für die ICE- bzw. RE-Verbindung über Leipzig Hbf beträgt dagegen 47,00 Euro!

Innenraum
IR-Großraumabteil 1. Klasse. Die neue Innen raumgestaltung fand in den 80er Jahren viel Beachtung und ist noch immer beliebt. Foto: Marc Heller

Neben Chemnitz verlieren auch Städte wie Döbeln und Riesa ihre direkten Verbindungen in bzw. aus Richtung Berlin. Zusätzliche Umsteigezwänge entstehen somit auch hier.

Aus Fahrgastsichtwäre daher der Erhaltder direkten IR-Verbindungen zwischen Chemnitz und Berlin die deutlich bessere Lösung. Mit der Einführung eines Zwei-Stunden-Taktes auf dieser Linie und der Durchbindung ab/bis Rostock Hbf bzw. Warnemünde wäre endlich auch eine deutliche Attraktivitätssteigerung und Angebotsverdichtung zwischen Berlin und Ostsee möglich.

IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 1/2006 (Februar/März 2006), Seite 4

 

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