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„The difference between men and boys is the
price of their toys." - dieses kluge englische
Sprichwort gilt auch für Peter Hendy, Londons
obersten Busmanager. Von Bürgermeister
Ken Livingstone vor einigen Jahren zu „Transport
for London" (TfL) geholt, jener Behörde,
die für die Organisation des an Privatfirmen
vergebenen Busnetzes der britischen Hauptstadt
zuständig ist, möchte Mr. Hendy, wie
die meisten spielerisch veranlagten Kinder,
natürlich möglichst neue Spielsachen sein
eigen nennen.
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Es war einmal: Routemaster und moderne Doppeldecker im Londoner Linienverkehr. Lediglich für Liebhaber und Touristen werden einige Routemaster im Einsatz bleiben. Foto: Sebastian Amler |
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Insofern kann es nicht verwundern, dass
er von der Idee nicht sonderlich angetan war,
auf 20 starkbelasteten Linien im Zentrum
Londons weiterhin die betagten, aber zuverlässigen
und beliebten Routemaster-Busse
(Baujahre 1954 bis 1968) einzusetzen, während
seine Kollegen in Städten wie Paris, Berlin
oder München alle paar Jahre auf Kosten
ihrer jeweiligen Stadtverwaltungen neue,
technisch aufwendige (wenn auch nicht unbedingt
funktionale) Omnibusse geschenkt
bekommen, mit denen sie dann für einige
Jahre spielen können - so lange, bis sie auch
dieser Busse wieder überdrüssig sind und der
Onkel Bürgermeister neues Spielzeug springen
lässt.
Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass
Mr. Hendy die - dank Schaffner - kundenfreundlichen
Routemaster gegenüber der
Presse als „verdammtes Museum" bezeichnet
hat. Ganz klar, hier sprach das verletzte
Kind im Technokraten, das böse ist, weil seine
Kameraden auf dem Kontinent sehr viel
neueres Spielzeug besitzen als es selbst. Die
Interessen der Fahrgäste, für die die Busse ja
fahren sollen, sind bei diesem Spiel hingegen
höchstens von untergeordneter Bedeutung.
Folglich musste der Routemaster verschwinden:
Bis auf einige wenige Alibi-Museumsbusse
wurden zwischen August 2003
und Dezember 2005 sämtliche Routemaster
auf Londons Straßen durch moderne Einmannbusse
ersetzt. Was macht es schon aus,
dass damit eine der Ikonen Londons mutwillig
zerstört wurde?
Noch immer ziert der klassische Bus zahlreiche
Postkarten und Reiseführer. Dean Godson
bezeichnete deshalb seine Abschaffung
in der Times vom 21. Juli 2005 zu Recht als
„einen der größten Akte von städtischem Vandalismus
unserer Zeit."
Ebensowenig scheint es Bürgermeister
Livingstone zu stören, dass er eigentlich im
Wahlkampf 2000 versprochen hatte, die
Routemaster unter allen Umständen weiterfahren
zu lassen. Plötzlich sind ihm auch die
zahlreichen Schaffner, die durch die Umstellung
in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden,
egal - höchst bemerkenswert für einen sozialistischen
Bürgermeisters dersichder„Rote
Ken" ja versteht.
Auch die Tatsache, dass laut Umfragen 81 %
der Londoner ihren Routemaster behalten
wollten, ließ die Verantwortlichen kalt, ein
Verhalten, das fatal an die Vernunftresistenz
von London Transport bei der Abschaffung
von Londons alter Straßenbahn in den Jahren
1950 bis 52 erinnert.
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Das besondere an den Routemastern sind der Schaffner und die hintere Plattform ohne Tür, an der man auch ohne Haltestelle auf- und abspringen kann. Das ist natürlich offiziell nicht erlaubt, aber die Fahrgäste machen von dieser Möglichkeit gerne Gebrauch. Ebenso ist die Am-Platz-Bedienung beim Fahrkartenkauf durch den Schaffner sehr bequem. Foto: Sebastian Amler |
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Was interessiert es TfL schon, dass mit der
Abschaffung der Schaffner nicht nur der Service
und die Sicherheit abnehmen, sondern
auch die Effizienz der Busse im Großstadtverkehr,
denn schließlich muss der Fahrer
nebenher nun auch noch die Aufgaben des
Schaffners erledigen. Was kümmert es Ken
Livingstone, dass der Routemaster bei den
Fahrgästen auch wegen des hohen Sitzplatzanteils
beliebt war? Auf einigen Linien wurden
die beliebten Fahrzeuge nämlich nicht durch
moderne Doppeldecker, sondern durch besonders
kundenunfreundliche Gelenkbusse
(„bendy-busses")ersetzt, in denen es gerade
einmal 49 Sitzplätze (verglichen mit 72 im
Routemaster) gibt. Was stört es schließlich
Peter Hendy, dass seine Fahrgäste, die im Übrigen
seine technokratische Selbstverwirklichung
mit regelmäßig drastisch ansteigenden
Preisen finanzieren dürfen, auf die neuen
bendy-busses jetzt auch noch länger warten
dürfen als auf die alten Busse, da sie seltener
verkehren?
Konsequent ignoriert wurde von den Verantwortlichen
auch, dass die Anschaffung der
neuen Gelenkbusse, die, nebenbei bemerkt,
höchst unzuverlässig und für die Londoner
Straßenverhältnisse gänzlich ungeeignet
sind, ein Vielfaches der Kosten verschlingt,
die für die regelmäßige Aufarbeitung der
Routemaster nötig gewesen wären. Das
gleiche gilt für die von führenden Umweltexperten
gestützte Erkenntnis, dass ein modernisierter
Routemaster aufgrund seiner
ausgefeilten Konstruktion einen geringeren
Benzinverbrauch hat als moderne Busse und
deshalb auch umweltfreundlicher ist.
Lediglich ein Argument existiert, dass sich
tatsächlich gegen den Routemaster ins Feld
führen lässt: seine mangelnde Behindertenfreundlichkeit.
Die Tatsache, dass Rollstuhlfahrer
nicht in der Lage sind, den Routemaster
zu benutzen (während ihn zum Beispiel
Blinde wegen der helfenden Hand des Schaffners
sehr zu schätzen wussten), ist ein ernstes
Problem, das die Verantwortlichen bei
TfL ursprünglich dadurch lösen wollten, dass
man Routemaster-Linien aufweiten Strecken
mit Schwesterlinien überlagerte, auf denen
Niederflurbusse zum Einsatz kommen, um
so auf allen Strecken die Zugänglichkeit für
Rollstuhlfahrer sicherzustellen.
Auch ist von Seiten einiger Behindertenverbände
überliefert, dass sie zwar eigentlich
das Ideal einer 100 % niederflurigen Busflotte
hegen, die Abschaffung der Routemaster für
sie jedoch keine übermäßig hohe Priorität
besaß. Vielmehr wären sie, wie der Londoner
Evening Standard am 27. Juli 2004 meldete,
schon zufrieden, wenn bei den vorhandenen
Niederflurbussen die Rollstuhlfahrerrampen
ordentlich funktionierten.
All dies ficht Peter Hendy jedoch nicht an:
Er wollte modernes Spielzeug, er wollte den
Gelenkbus um jeden Preis in London einführen.
Das hat er geschafft. Im Dezember 2005
fuhren im Londoner Linienverkehr die letzten
Routemaster. Auf der Strecke blieben die
Fahrgäste und die Umwelt. Sebastian Amler
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