Als am 16. Mai 1881 Werner von Siemens
vor den Toren Berlins die weltweit erste elektrische
Straßenbahn ins Rollen brachte, war ihm
wahrscheinlich nicht bewusst, dass er
damit den Stammbaum aller elektrischen
Bahnen legte. Wie bei einem schön gewachsenen
Baum mit vielen Ablegern entwickelte sich
daraus nicht nur die uns bekannte
„Elektrische", sondern auch U- und S-Bahnen
und nicht zuletzt auch der moderne ICE.
Verfolgt man bei allen modernen elektrischen
Bahnen ihre technische Entwicklung
zurück, dann stellt man fest, dass sie ihren
Ursprung in der kleinen Bahn haben, die am
16. Mai 1881 vom heutigen Bahnhof Lichterfelde
Ost bis zur Kadettenanstalt den Betrieb
für die Öffentlichkeit aufnahm.
Die weitere Entwicklung von der schmalspurigen
Bahn mit 180 V Gleichstrom bis
zum modernen Niederflurzug mit 600 bzw.
750 V oder zum ICE mit 15 kV Wechselstrom
ist in der Fachliteratur umfangreich behandelt,
so dass dem Geschriebenen kein weiterer
Artikel hinzufügt werden muss. Nachfolgend
geht es um die Bedeutung, die die
Straßenbahn in Berlin erlangte, und welche
Zukunft sie nach wechselvollen Jahren für uns hat.
Dem rührigen Werne von Siemens und seinen
kreativen Ingenieuren ist es zu verdanken,
dass aus der anfangs belächelten Bahn ein
alltagstaugliches Verkehrsmittel wurde. Die
technische Entwicklung verlief so rasant, dass
bereits im Dezember 1902 das qesamte Berliner
Pferdebahnnetz auf elektrischen Betrieb
umgestellt war. Die neue Antriebsart hatte
für die aufstrebende Metropole einen ungeheuren
Einfluss, da die bisherige räumliche
Abhängigkeit von Wohnort und Arbeitsplatz
aufgehoben werden konnte. Die nun längeren
Wege konnten durch leistungsfähige
und schnellere Verkehrsmittel wie U-Bahn,
Eisenbahn und natürlich die Straßenbahn
wieder kompensiert werden.
Zur Zeit der Weimarer Republik war die
Straßenbahn mit einem Anteil von 50 % am
Gesamtverkehr unumstrittener Spitzenreiter
im Berliner Nahverkehr.
Mit Beginn der 1930er Jahre zogen nicht
nur für die BVG dunkle schwere Zeiten auf.
Die BVG wurde in einen Eigenbetrieb umgewandelt
und Teil der machtpolitischen Ziele
der Nationalsozialisten. Die ursprünglichen
Pläne der BVG zur Modernisierung und zum
Ausbau der Straßenbahn wurden gestoppt,
da sie den größenwahnsinnigen Plänen der
Nationalsozialisten zuwiderliefen. Unmittelbar
vor Kriegsende im April 1945 war mit der
kompletten Betriebseinstellung aufgrund
der Kriegsschäden der Tiefpunkt der Entwicklung
erreicht.
In der Nachkriegszeit stand der Wiederaufbau
zunächst im Vordergrund. Aber
schon bald wurde die Entwicklung der Straßenbahn
durch die Teilung der Stadt in zwei
unterschiedliche Richtungen gelenkt, da
auch die BVG in zwei Betriebsteile aufgeteilt
wurde.
In West-Berlin
wird die Straßenbahn stillgelegt
Im westlichen Teil fand nun eine verkehrspolitische
Entwicklung statt, die sich schon
Anfang der 1930er Jahre in Nordamerika
zeigte. Der Motorisierungsgrad der Bevölkerung
nahm rapide zu. Ebenso veränderten
sich das Bewusstsein und die Ansichten zur
Straßenbahn. Sie wurde als altmodisch und
verkehrsbehindernd angesehen. Der Pkw
und der Omnibus waren die Verkehrsmittel
der Zukunft. West-Berlin wollte den anderen
Metropolen wie Paris, London und New
York nicht nachstehen und ebenfalls seine
Straßenbahn abschaffen. Innerhalb einer
Dekade wurde das gesamte Straßenbahnnetz
im westlichen Berlin stillgelegt. Am
2. Oktober 1967 fuhr die letzte Straßenbahn
in West-Berlin.
Im östlichen Teil Berlins wurde zunächst
eine ähnliche Entwicklung angestrebt, aber
der immense Investitionsaufwand zur Herstellung
eines reinen U-Bahn/Bussystems
war nicht zu schaffen. Mitte der 1970er Jahre
erfolgte ein wichtiger Paradigmenwechsel:
In den Großwohngebieten im Nordosten
der Stadt wurde ein leistungsfähiges, aber
bezahlbares Massenverkehrsmittel benötigt.
Damit bot sich für das Verkehrsmittel
Straßenbahn eine neue Chance, da relativ
schnell Neubaustrecken mit einem guten
Kosten-Nutzen-Verhältnis gebaut werden
konnten. Diese günstigen Bedingungen
führten zu einem neuen Aufschwung für die
Straßenbahn im Ostteil der Stadt mit einem erheblichen
Zuwachs von 26 km Streckennetz und
dem Beginn der Beschaffung damals moderner
Tatrafahrzeuge im Jahr 1976. Neben der S-Bahn
war die Straßenbahn das Rückgrat des städtischen Nahverkehrs.
Der Fall der Mauer führte zur Wiedervereinigung
der beiden Betriebe BVG (West)
und BVB (Ost) zur gemeinsamen BVG Anfang
der 1990er Jahre und zu einer Neuorientierung
in der Verkehrspolitik. Auch die Frage nach
der Zukunft der Straßenbahn im Ostteil der
Stadt stand auf der Tagesordnung. Es wurde
jedoch schnell klar, dass sie zu einem integralen
Bestandteil des ÖPNV in Berlin gehörte.
In anderen Städten der alten Bundesländer
als auch Europas wurde die Straßenbahn auf
hohem technischem und städtebaulichem
Niveau weiterentwickelt und besonders in
Frankreich, wo nur ein Betrieb überlebt hatte,
wurden innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl
neuer Betriebe eröffnet. Das hatte für die
Neuausrichtung der Verkehrsmittel zur Folge,
dass die Straßenbahn in Berlin nicht nur in
ihrem Bestand erhalten blieb, sondern auch
grundlegende Beschlüsse zur Modernisierung
und zum Ausbau gefasst wurden.
Nach der Wiedervereinigung
umfassende Modernisierung
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Modernisiertes Tatra-Fahrzeug und neue Niederflurbahn. Sie sind sichtbares Zeichen für die seit der Wiedervereinigung Berlins von der BVG durchgeführte umfangreiche Modernisierung der Straßenbahn. Foto: Marc Heller |
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Seither wurde und wird das umfangreichste
Modernisierungsprogramm in der Geschiehte
der Berliner Straßenbahn durchgeführt
und bis zum Jahr 2000 wurden insgesamt
11,8 km neue Strecken in Betrieb genommen.
Sichtbarstes Zeichen für die Fahrgäste
ist die Modernisierung der Tatrafahrzeuge
und die Beschaffung von 150 neuen Niederflurfahrzeugen.
Ebenso wurden und werden
die Strecken, wie Gleise und Bahnenergieversorgungsanlagen
und Haltestellen erneuert
und bilden mit den Niederflurfahrzeugen
ein integriertes leistungsfähiges
Niederflursystem, das allen Fahrgästen einen
bequemen Zugang zum Verkehrsmittel
Straßenbahn bietet.
Neben den für die Fahrgäste sichtbaren
Modernisierungsmaßnahmen sind zugleich
moderne Betriebsüberwachungs- und Ausbildungssysteme
geschaffen worden, die
mit den einhergehenden Rationalisierungsmaßnahmen
die Berliner Straßenbahn zu einem
der modernsten Straßenbahnsysteme
Europas gemacht haben.
Wie sieht die Zukunft der Straßenbahn
in Berlin aus?
Die Straßenbahn ist ein fester Bestandteil
der Berliner Verkehrsysteme und bleibt
auch langfristig bestehen.
Im Innenstadtbereich wird es mehr Straßenbahn
geben. Die Eröffnung der Neubaustrecke
zum Nordbahnhof steht kurz bevor,
der Alexanderplatz wird im Jahr 2007 auch
über die Karl-Liebknecht-Straße angebunden
und zum Ende dieses Jahrzehnts wird
auch der neue Hauptbahnhof über eine
leistungsfähige Straßenbahnanbindung
verfügen.
Ein weiteres Augenmerk ist derzeit darauf
gerichtet, die in die Jahre gekommenen
Tatrabahnen durch neue behindertengerechte
Fahrzeuge schrittweise innerhalb
der nächsten 10 Jahre zu ersetzen. Entsprechende
Entscheidungen der Aufsichtsgremien
der BVG dafür stehen unmittelbar
bevor.
Die wirtschaftliche Lage Berlins und der
BVG erfordert es auch, schwach belastete
Streckenabschnitte vor dem Anstehen umfangreicher
Modernisierungsmaßnahmen
hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit auf den
Prüfstand zu stellen. Konkret geht es um
die Frage, ob die Straßenbahn auf diesen
Streckenabschnitten das wirtschaftliche
Verkehrsmittel oder der Bus die kostengünstigere
Alternative ist. Die Antworten dazu
stehen noch aus und werden sorgfältig geprüft.
Es gibt aber auch noch einige Verkehrskorridore,
die vom Fahrgastaufkommen her
„straßenbahnwürdig" sind. Hier ist trotz oder
vielleicht gerade wegen der knappen Mittel
ernsthaft zu prüfen, ob nicht eine Investition
in Strecken eine Reduzierung der Betriebskosten
ermöglicht. Denn eine Umstellung
von Bus auf Straßenbahn lässt auch eine
Attraktivitätssteigerung des ÖPNV mit zusätzlichen
Fahrgastzahlen erwarten.
Das letzte Beispiel einer Umstellung
von Bus auf Straßenbahnbetrieb im Zuge
der Osloer Straße—Seestraße hat der BVG
zweistellige Fahrgastzuwächse auf diesem
Streckenabschnitt beschert. Beispiele aus
anderen deutschen und europäischen Städten
bestätigen diesen Trend und lassen dies
auch für ausgewählte Strecken in Berlin erwarten.
Damit „rechnet" sich eine Straßenbahnstrecke
nicht nur für die BVG, sondern
auch für die Stadt.
Wir sind von der Zukunft für die Berliner
Straßenbahn überzeugt. Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Anstalt des öffentlichen Rechts
Thomas Necker, Vorstand Betrieb
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