„Die Elektrische ist tot. Der Motoromnibus
hat seit dem Weltkriege solche Fortschritte
gemacht, dass man sich die Renovierung
der Geleise ersparen kann." Zeitgeist etwa
1935. Und siehe, Paris konnte innerhalb von
drei Jahren alle Straßenbahnen durch neue
Renaultbusse ersetzen. Nun beförderte nicht
mehre/n Fahrer 150 Fahrgäste, sondern drei
Chauffeure - eine echte Weltstadt musste
sich das leisten können.
„Der Verkehr der Zukunft wird nicht mehr
reglementiert verlaufen, sondern flexibel
und individuell, in jeder Familie werden nicht
nur Automobile, sondern sogar Miniflugmobile
für ein bis zwei Personen verfügbar sein.
Der Bau autogerechter Städte hat gerade in
Amerika ungeheure Fortschritte gemacht,
nun gibt es dort schon achtspurige Highways.
Für solche altmodischen Verkehrsmittel
wie die Straßenbahn ist die Zeit abgelaufen
und der Fußgänger gehört zum Nutzen
eines flüssigen Verkehrs unter die Erdoberfläche."
Zeitgeist etwa 1965. Von Flugmobilen
redeten bald nur noch Batman-Fans und
noch vor dem Jahr 2000 erhielten Paris und
Los Angeles wieder Straßenbahnen.
„Durchbruch bei alternativen Antrieben,
die ersten Busse mit Wasserstoffantrieb
fahren bald im Großversuch, auch die
Brennstoffzellentechnologie macht Fortschritte.
Gegen diese Innovationen mit
den geringen Infrastrukturkosten hat die
klassische Straßenbahn keine Chance."
Zeitgeist ab etwa 1995. Bis heute besitzt
kein Verkehrsbetrieb eine alltagstaugliche
Version dieser Visionen. Demgegenüber
waren vom ersten elektrischen Straßenbahnwagen
bis zum Beginn des weltweiten
Siegeszuges (ausgehend von Amerika!)
nur sechs Jahre vergangen.
Was macht die elektrische Straßenbahn
so zukunftsfähig?
Es ist vor allem der Antrieb: Man stelle sich
einen Wettstreit zweier Systeme vor. Eines
erzeugt beim Arbeiten aus dem zugeführten
Rohstoff nutzlose Abwärme und giftige
Abfallprodukte in solchem Maß, dass nur
ein Drittel der zugeführten Energie nutzbar
ist. Wird das damit ausgestattete Fahrzeug
wieder gebremst, wird die gesamte Bewegungsenergie
in weitere nutzlose Abwärme
umgewandelt. Dieses System wird uns auf
allen Werbeplakaten der Autoindustrie als
Fortschritt verkauft, um dessen Nachschub
sich sogar Kriege lohnen sollen.
Das andere System verwandelt 90 % der
zugeführten Energie in Fahrzeugbewegung
und kann außerdem als Bremse benutzt
werden, die bei Benutzung wiederum bis
zu 90 % der Bewegungsenergie in ihre Ausgangsform
zurückführt. Giftstoffe werden
durch diesen Motor nicht erzeugt, lediglich
Verlustwärme. Das zweite System ist der
elektrische Antrieb der Straßenbahn. Kritiker
bemängeln die Umweltbelastungen bei
der Stromerzeugung; aber wer behauptet,
dass man stets Kohle dafür einsetzen muss?
Mit Sonne, Wind oder Erdwärme geht es
auch. Da wundert es uns nicht, dass auch
moderne Buskonstrukteure auf diesen Antrieb
schielen - ihr Problem: Man kann Elektroenergie
schlecht speichern.
Der Straßenbahn wird ihr Netz aus Schienen
und Fahrdraht gern als einengendes Korsett
vorgeworfen, dabei ist das ein Teil ihrer
Zukunftsfähigkeit. Wenn einerseits der Elektromotor
so große Vorteile hat, sich elektrische
Energie andererseits schlecht speichern
lässt, muss man die Motoren alle dauernd an
ein Netz anschließen. Das Problem des Busses
(In welcher Form kann ich die Energie vor
der Fahrt tanken und dann mitführen?) gibt
es bei der Straßenbahn somit nicht.
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Streckeneröffnung im Jubiläumsjahr. Ab 28. Mai werden die Züge der M 10 von der Eberswalder Straße bis hier zum S-Bahnhof Nordbahnhof fahren und auf diesem Abschnitt den Bus 245 ersetzen. Die BVG hofft, dadurch mehr Fahrgäste zu gewinnen. Die Umstellung von Bus- auf Straßenbahnbetrieb im Zuge der Osloer Straße—Seestraße hatte der BVG zweistellige Fahrgastzuwächse auf diesem Streckenabschnitt beschert. Foto: Florian Müller, April 2006 |
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Der zweite Vorteil der Tram, die Rückgewinnung
der Bremsenergie, braucht schon
etwas mehr Technik. Darum fuhren Großvaters
Straßenbahnen auch mit der Energievernichtung
beim Bremsen durch Widerstände
auf dem Dach - über dem Wagen konnte
man nach dem Bremsen die Luft flimmern
sehen. Zeitgemäße Tramnetze sind rückspeisefähig,
und je nach Zugdichte können
so 10 bis 25 % Strom gespart werden. Der
Wert ist umso schlechter, je weniger andere
Fahrzeuge sich als Abnehmer im rückgespeisten
Abschnitt befinden. Darum arbeiten
Forscher derzeit an einer weiteren Neuheit:
dem stationären Energiespeicher. Das zweite
Problem des Busse (Wie schwer darf ein
Stromspeicher im Fahrzeug sein, dass sein
Mitschleppen die Vorteile der Bremskraftgewinnung
nicht wieder vernichtet?) ist damit
auch gelöst. Die großen und schweren
Speicher werden in die Netzstruktur eingefügt,
so dass die Fahrzeuge leicht und damit
sparsam bleiben und selbst dann die zurückgewonnene
Energie nutzen können, wenn
kein anderes Fahrzeug im selben Abschnitt
ist. Die beim Bremsen gespeicherte Energie
wird beim nächsten Beschleunigen vom selben
Wagen wieder aufgenommen.
Wegen dieses immer noch unübertroffenen
Antriebes wird die Anwendung der
Elektroenergie bei der Straßenbahn zurecht
als weltweit historisches Datum gefeiert. Vor
1881 waren Straßenbahn und Omnibus sehr
ähnliche Konkurrenten: Zwei Pferde zogen
zusammen einen Wagen, mal aufschienen,
mal auf Kopfsteinpflaster. Mehr als einen
Wagen konnten die Tiere auch aufschienen
nicht ziehen.
Vorteil Zugbildung
Die elektrische Straßenbahn konnte dann
das Potenzial der Spurführung nutzen: die
Zugbildung. Damit ist nicht nur die sprichwörtliche
Bildung eines Zuges aus mehreren
Wagen gemeint, auch der Einsatz eines
Gelenkwagens von 45 Metern Länge ist nur
mit Spurführung möglich. Auch auf diesem
Feld haben Busexperten versucht, sich an
das Vorbild Straßenbahn anzulehnen, bekanntestes
Beispiel ist die O-Bahn in Adelaide,
Australien. Aber alle Versuche in dieser Richtung
zeigten nur, dass das Vorbild Tram nicht erreichbar
war, wollte man die Flexibilität des Busses weiterhin
erhalten. Entweder das Fahrzeug bleibt ungebunden
und kann bei Störungen schnell umgeleitet
werden, dann sind je nach Straßenverkehrsrecht
18 bis 28 Meter die maximale Länge eines
Zuges. Oder die Kapazitäten einer Straßenbahn
(nach deutschem Recht sind 75 Meter lange Züge
erlaubt) werden erreicht, dann ist eine Spurführung
auf dem gesamtem Linienweg nötig.
Auch schon vor der Elektrifizierung bot
das Schienennetz Möglichkeiten, die den
Omnibus weit zurückließen. Nur im Schienennetz
war der Einsatz der Dampfkraft
möglich und damit auch die erste Bildung
von Zügen. Aber erst der elektrische Antrieb
nutzte ein weiteres Potenzial der
Stahlrad-Schiene-Technologie: die Möglichkeit, das
Netz in den Stromkreislauf einzubinden.
Im Interesse der Reifenkonzerne wird bei
den Spurbussen darauf verzichtet und so
benötigen diese eine Asphaltfahrbahn und
zusätzlich eine Führungsschiene, die bei
Elektroantrieb ebenfalls als Rückleiter dient.
Die Straßenbahn kommt meist ohne umweltschädliche
Bodenversiegelung aus. Übrigens:
Die einzige alltagstaugliche Anwendung
des Elektroantriebs ohne Schienen ist
auch netzgebunden - der O-Bus.
Zu guter letzt noch ein Hinweis auf die
jüngsten Forschungsergebnisse des Fachverbandes
für städtischen Nahverkehr, der
UITP. Aus einer neuen weltweiten Studie geht
hervor, dass die Städte mit der besten ÖPNV-Nutzung
am wenigsten Geld für Verkehr
aufwenden müssen - darunter viele Straßenbahnstädte.
Ein Netz großer Dichte mit
hoher Angebotsqualität lohnt sich also für
den gesamtstädtischen Etat, auch wenn der
Verkehrsbetrieb als Einzelposten Zuschüsse
benötigt. Es zeigt sich also, dass die elektrische
Straßenbahn selbst für Unbeteiligte
Nutzen stiftet, der eine Steuerfinanzierung
auf Kosten Dritter durchaus rechtfertigt, (arf) IGEB Stadtverkehr
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