Die „Fehmarnbelt-Konferenz" hatten sich die
Verkehrsminister von Dänemark und Schleswig-Holstein,
Flemming Hansen und Dietrich
Austermann, sicherlich anders vorgestellt.
Das Gutachten lag nur in englischer Sprache
vor, in Deutsch gab es nur eine Kurzfassung.
Und dass ein Milliardenprojekt während der
Bauzeit Arbeitsplätze schafft, ist auch keine
Neuigkeit. Bezeichnend war auch, dass kein
Berliner Regierungsvertreter anwesend war.
Über Geld wurde schon gar nicht geredet.
Anstatt nach 20-jähriger Planung endlich
eine Finanzplanung vorzulegen, erkannte
der langjährige finanzpolitische Sprecher der
CDU im Deutschen Bundestag, dass Schweigen
Gold ist. Denn er weiß genau, dass die
Bundesregierung für die Fehmarnbelt-Brücke
kein Geld hat. Auch die EU nicht - im Gegenteil:
Schließlich war es seine Parteivorsitzende,
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Kompromiss
der Staats- und Regierungschefs für
die Haushaltsplanung bis 2013 gerne auf ihre
Fahnen schreibt. Dass die vom Europa-Parlament
geforderten 20 Milliarden Euro für die
Transeuropäischen Netze dabei auf ein Drittel
zusammengestrichen wurden, verschweigt
nicht nur sie, sondern auch Austermann.
Alle Projekte müssen auf den Prüfstand
Nicht nur angesichts der knappen Mittel müssen
alle Planungen unter zwei Gesichtspunkten
überprüft werden: Welchen verkehrspolitischen
Effekt haben sie, und wie wirken sie
sich auf die Umwelt aus? Eine europäische
Verkehrspolitik muss in erster Linie das Zusammenwachsen
Europas nach dem Fall des
Eisernen Vorhangs befördern. Zudem muss
aus ökologischen Gründen die Verlagerung
des Verkehrs von der Straße auf Eisenbahn
und Wasserstraße erreicht werden.
Was bedeutet das für die Fehmarnbelt-Querung?
Dieses Projekt war schon vor der
Wende und der Aufnahme der neuen Mitgliedsstaaten
geplant worden. Seit 1989 hat
sich aber Europa gewaltig verändert und die
Verkehrsströme nicht minder. Vom schwedischen
Trelleborg gibt es heute täglich mehr
als 10 Schiffsverbindungen nach Rostock und
Sassnitz auf Rügen. Vom dänischen Gedser
fahren moderne und schnelle Fährschiffe im
Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock.
Zudem wurde mit der Öresund-Brücke
im Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen
Deutschland, Dänemark und Schweden für
Straße und Schiene dem Verkehr übergeben.
Käme die 5 Milliarden Euro teure Fehmarnbelt-Brücke
noch hinzu, würden die mit Milliarden-Investitionen
modernisierten Häfen in
Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden
absterben. Nicht nur Ostdeutschland,
ganz Ost-Europa würde vom Nord-Süd-Verkehr
der EU abgekoppelt.
Für den Lübecker Hafen wäre eine feste
Beltquerung Gift. Etwa 20 % der südschwedischen
Verkehre, die heute über Travemünde
laufen, würden wegfallen. Die Brücke würde
dem Lkw einen erheblichen Wettbewerbsvorteil
gegenüber Schiff und Bahn verschaffen.
Auch der Lübecker Wirtschaftssenator
Wolfgang Halbedel (CDU) hält nichts von der
Beltquerung: „Das Projekt ist ökonomisch
und ökologisch Unsinn"
Vogelfluglinie auch ohne Brücke attraktiv
Auch ohne das gigantische Brückenbauwerk
wächst die Region Schleswig-Holstein/Ostdänemark/Südschweden
immer enger zusammen.
Seit sechs Jahren fahren moderne
Doppelendfähren auf der sogenannten Vogelfluglinie
Puttgarden—Rodby rund um
die Uhr, 96 Mal (!) am Tag, das ganze Jahr. Die
Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Die Schiffe
wurden mehrmals so umgebaut, dass sie
zusätzlich Pkw und Lkw mitnehmen können.
Die Wartezeiten wurden fast vollständig abgebaut,
eine fließende Brücke ist entstanden.
Da parallel zur Bahnverbindung auch eine
Straßenbrücke gebaut werden soll, würde
die Verlagerung auf die Schiene nicht stattfinden.
Im Gegenteil: Wegen der unfairen
Wettbewerbsbedingungen würde der Lkw-Verkehr
zwischen Skandinavien und Ost-Europa
mit kilometerlangen Umwegen über
Schleswig-Holstein gezogen. Das wäre auch
ökologisch unsinnig, weil die Menschen in
dieser Region in Lärm, Stau und Abgasen
ersticken würden.
Schluss mit reinen Prestige-Projekten!
Auch in Europa muss zusammenwachsen,
was zusammen gehört. Deshalb muss das
knappe Geld dort ausgegeben werden, wo
der umweit- und verkehrspolitische Effekt
am größten ist. Die beschlossenen 30 Projekte
der Transeuropäischen Netze im Gesamtwert
von 225 Milliarden Euro sind die reine
Wunschliste nationaler Egoismen. Dort findet
man Prestige-Projekte, die zwar viel Geld
verschlingen, verkehrspolitisch aber von bescheidenem
Nutzen sind. Wollte man von den
30 nur vier Projekte realisieren - die Brücke
über die Straße von Messina zwischen Sizilien
und dem italienischen Festland, den Brenner-Basistunnel
zwischen Österreich und Italien,
den Eisenbahn-Tunnel zwischen Frankreich
und Italien und die Fehmarnbelt-Brücke zwischen
Deutschland und Dänemark-wäre das
Geld schon mehr als verbraucht, ohne dass
auch nur ein einziger sinnvoller verkehrspolitischer
Effekt erzielt worden wäre.
Und auch für die auf der Konferenz abwesende
Bundesregierung hat der Bau der
Fehmarnbelt-Brücke - entgegen allen öffentlichen
Beteuerungen - keine Priorität. Das
Positionspapier für die konventionellen Güterverkehrsnetze,
das zwischen der Bundesregierung,
der DB AG und dem Eisenbahnbundesamt
abgestimmt wurde, sieht die
Führung des Skandinavienverkehrs über die
Öresund-Brücke vor, die über große Kapazitätsreserven
verfügt. Dementsprechend wird
derzeit die Strecke zwischen Hamburg und
Flensburg modernisiert und ertüchtigt. Eine
Ausbauplanung für die Zubringerstrecke zur
geplanten Fehmarnbelt-Brücke ist demgegenüber
in Deutschland nicht priorisiert und
deshalb finanziell auch nicht hinterlegt.
All das müsste eigentlich auch dem Kieler
Verkehrsminister Dietrich Austermann bekannt
sein. Müsste er für die Brücke zahlen,
kein einziges Wort käme über seine Lippen,
denn Schleswig-Holstein ist pleite. Da auch
die Bundesregierung knapp bei Kasse ist,
hofft er - ebenso wie manche Träumer in
Italien, Frankreich und Österreich - auf den
Brüsseler Geldsegen. Aber auch in den Brüsseler
Katakomben ist der Dukatenesel noch
nicht gesichtet worden.
Eisenbahn nach Osteuropa ausbauen
Fast zwei Jahre nach der Wiedervereinigung
Europas und mehr als 15 Jahre nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs sind gerade die Eisenbahnverbindungen
gen Osten noch immer in
einem schlechten Zustand. Die Züge auf der
Verbindung von Berlin nach Tallin z.B. brauchen
heute mehr als doppelt so lange wie
im letzten Jahrhundert. Damals schaffte die
Dampflokomotive die Strecke in 27 Stunden,
heute ist man 60 Stunden unterwegs. Von der
deutschen Hauptstadt nach Breslau dauerte
es einst lediglich 2 Vi Stunden, heute sind es
6. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Angesichts des stetig wachsenden Verkehrs
zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten
ist diese Situation untragbar.
Europa braucht ein dichtes, zeitgemäßes
Netz an Eisenbahnverbindungen, von Lissabon
nach Tallin, von London nach Athen, von
Paris nach Warschau. Soll die Verlagerung des
Verkehrs von der Straße auf die Schiene nicht
nur der Sonntagsreden-Pflicht geschuldet
sein, müssen statt der kostenträchtigen Prestigeprojekte
im „alten Europa" die umweltfreundlichen
Verkehrsprojekte Europäische
Einheit, die Eisenbahnverbindungen zwischen
den alten und neuen Mitgliedsstaaten,
die oberste Priorität in der EU bekommen.
Der Franzose Jacques Barrot wäre ein sehr
erfolgreicher EU-Kommissar für Verkehr,
wenn er am Ende seiner Amtszeit verkünden
könnte, dass er im zusammenwachsenden
Europa des 21. Jahrhunderts im Schienenverkehr
zwischen Ost und West wenigstens das
Tempo der Dampflokomotive erreicht hätte! Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
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