Mit dem Fahrplanwechsel am 28. Mai war es soweit: Die Deutsche
Bahn nahm den Tiergartentunnel für den planmäßigen
Fern- und Regionalbahnverkehr in Betrieb. Damit erhält Berlin
124 Jahre nach der Fertigstellung einer innerstädtischen
Ost-West-Verbindung, der Stadtbahn, nun auch eine Nord-Süd-Verbindung
für Fern- und Regionalzüge. Am Schnittpunkt
der beiden Durchmesserlinien entstand der Hauptbahnhof.
Durch die neue Strecke und mehrere neue Bahnhöfe werden
für viele Bahnkunden die Fahrzeiten deutlich kürzer, für einige
allerdings auch länger. Eine Ursache dafür ist die völlig
unverständliche
Entscheidung der DB gegen den Bahnhof Zoo.
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Mit einer beeindruckenden Lichtshow wurde der neue Berliner Hauptbahnhof am Abend des 26. Mai eingeweiht. Tags darauf besuchten ihn eine halbe Million Menschen, bevor am 28. Mai der Linienverkehr aufgenommen wurde. Foto: Raul Stoll |
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Mit der neuen Nord-Süd-Verbindung durch
Berlin mit dem Hauptbahnhof, dem Tiergartentunnel
und den Zulaufstrecken aus Richtung
Spandau, Karow und Ludwigsfelde (Anhalter
Bahn) einschließlich der Verbindungskurve
zum südlichen Außenring sind wesentliche
Baumaßnahmen des Eisenbahnknotens
Berlins abgeschlossen. Den Bahnkunden stehen
im Fern- und Regionalbahnverkehr nun
- neben dem Hauptbahnhof - auch die neuen
Bahnhöfe Gesundbrunnen und Südkreuz zur
Verfügung. Ausschließlich für den Regionalverkehr
erfolgte in Berlin die Inbetriebnahme
der Bahnhöfe Potsdamer Platz, Lichterfelde
Ost und Jungfernheide, im Land Brandenburg
kamen die Halte in Teltow, Großbeeren
und Birkengrund hinzu.
Bedeutendstes Bauvorhaben im Schnittpunkt
der Ost-West- und Nord-Süd-Achse ist
der Hauptbahnhof. Die Entwürfe für dieses
Bauwerk hat das Hamburger Architekturbüro
Gerkan, Marg und Partner erstellt. Die
gegenüber der ursprünglichen Planung
auf nunmehr 321 Meter verkürzte gläserne
Bahnsteighalle der in Ost-West-Richtung verlaufenden
Stadtbahn wird von zwei in Nord-Süd-Richtung
verlaufenden 46 Meter hohen
Bürogebäuden -den sogenannten Bügelbauten-
bzw. der 160 Meter langen und
40 Meter breiten Bahnsteighalle gekreuzt.
Die Bahnsteighalle auf der Stadtbahnstrecke
ist damit z. B. für die rund 410 Meter langen
ICE 2-Züge (bei 2 Halbzügen) viel zu kurz -
einefragwürdige Entscheidung für einen Bau,
der seitens der DB AG als das bedeutendste
europäische Bahnhofsneubauprojekt und als
Mittelpunkt der Bahndrehscheibe Berlins eingestuft
wird. Die Einstiegsituation ist damit
am Hauptbahnhof nun ungünstiger als z.B.
am Bahnhof Spandau, wo der Fahrgast auf
der gesamten Bahnsteiglänge seinen Wagen
regengeschützt erreichen kann.
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Mit viel Prominenz und noch mehr Medienvertretern fuhr der Eröffnungszug am 26. Mai von Leipzig nach Berlin Hbf. Die Bundeskanzlerin stieg Südkreuz zu Foto: Florian Müller |
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Um die Höhenunterschiede von bis zu
24 Metern zu überbrücken, wurden im Zentrum
des Bahnhofs u.a. 54 Fahrtreppen, 6
Panoramaaufzüge sowie 43 weitere Aufzüge
installiert. Entstanden sind im Hauptbahnhof
ca. 70 000 m2 Geschossfläche, darunter
rund 15 000 m2 für Handel und Gastronomie.
Alle 80 Geschäfte im Bahnhof sind vermietet
und von Montag bis Sonntag mindestens
von 8 bis 22 Uhr geöffnet (Kernöffnungszeit).
Die DB AG hat zwei Reisezentren und eine
DB Lounge eingerichtet.
Vorlaufbetrieb Nürnberg—Ingolstadt
Die Nord-Süd-Durchquerung im Tiergartentunnel
ermöglicht in vielen Relationen kürzere
Reisezeiten. Dazu trägt aber ganz wesentlich
auch die Strecke Berlin—Leipzig als
Teil des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit
(VDE) Nr. 8.3 bei, die nunmehr eine Streckengeschwindigkeit
von 200 km/h zulässt.
Weiterhin ging am 28. Mai 2006 die Neubaustrecke
(NBS) Nürnberg—Ingolstadt in
den Vorlaufbetrieb. Einzelne ICE-Leistungen
der Relation Hamburg—Berlin—München,
die das Regelangebot freitags und sonntags
verstärken, nutzen bereits diese Neubaustrecke.
Zwischen Berlin und München wird
dabei eine Fahrzeit von 5:49 Stunden erreicht
(im Regelangebot über Augsburg 6:16).
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Neue Strecken und neue Bahnhöfe für den Fern- und Regionalverkehr. Grafik: DB AG |
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Zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember
2006 wird diese Hochgeschwindigkeitsstrecke
komplett in das bundesweite Fernverkehrsnetz
eingebunden. Das Angebot der
ICE-Linie 28 wird dann in der Relation
Berlin—Leipzig—Nürnberg—München weiter
verbessert. Statt im Zweistundentakt werden
stündliche Verbindungen mit einer Fahrzeit
von 5:42 Stunden angeboten; eine erfreuliche
und wichtige Verbesserung gerade gegenüber
dem Pkw als Hauptwettbewerber!
Zoo muss Fernbahnhof bleiben!
Des Weiteren wird die bislang sehr stark befahrene
Stadtbahnstrecke durch den Tiergartentunnel
deutlich entlastet. Dadurch werden
einerseits Kapazitäten für zusätzliche
Angebote geschaffen (u.a. auch für Wettbewerber),
andererseits wird die Pünktlichkeit
und Zuverlässigkeit des Zugverkehrs deutlich
erhöht, was dem Bahnkunden direkt zugute
kommt.
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DB-Propaganda. Der Hbf ersetzt nicht den Fernbahnhalt Zoo. Im Übrigen fahren neben der S 75 auch noch die S5, S7 und S 9 zwischen Zoo und Hbf. Foto: Florian Müller |
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Die Bahnkunden profitieren nunmehr in
vielen Fällen von einem größeren Angebot
an Zughalten innerhalb Berlins. Leider gilt
dies nicht für Kunden im Einzugsbereich
des Bahnhofs Zoologischer Garten. Das
Fernverkehrsangebot der Deutschen Bahn
beschränkt sich hier nur noch auf Züge des
Nachtreiseverkehrs (z.B. die City-Night-Line-Verbindung
Berlin—Zürich oder die Euro-Night-Verbindung
Berlin—Wien). Gerade
kurze Systemzugangszeiten sind aber ein
bedeutender Wettbewerbsvorteil der Bahn
u.a. gegenüber dem Flugverkehr. Vor diesem
Hintergrund ist die Entscheidung der
DB AG absolut unverständlich, diesen Wettbewerbsvorteil
bzw. das große Potenzial
dieses Bahnhofs im Fernverkehr nur noch
derart eingeschränkt zu nutzen. Zudem widerspricht
diese Vorgehensweise dem mit
Bund und Bundesland Berlin abgestimmten
Pilzkonzept. Ein Armutszeugnis ist dies
gerade auch für die Politik, die hier bei dem
Bundesunternehmen DB AG keine Korrektur
erwirken konnte.
Genutzt wird das Potenzial dafür aber von
der Veolia Verkehr (InterConnex-Verbindung
Berlin Ostbahnhof—Leipzig Hbf bzw. Gera
Hbf, montags bis freitags) und der Vogtlandbahn
(VogtlandExpress Berlin Zoologischer
Garten—Hof Hbf, täglich).
Unerfreulich: Durch die neue Linienführung
der IC-Linie Düsseldorf—Halle (Saale)—Berlin—Stralsund
durch den Nord-Süd-Tunnel
wurde Potsdam nun noch mehr vom
Fernverkehr abgehängt.
Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs in
Nord-Süd-Richtung verbessern!
Der entscheidende Mangel des Berliner
Hauptbahnhofs ist derzeit seine schlechte
Erreichbarkeit aus Richtung Norden und
Süden. Daran können weder die geplante
Straßenbahnanbindung noch die U-Bahnlinie
U 55/U 5 etwas ändern. Mit vier Gleisen
ist der Nord-Süd-Tunnel bei der derzeitigen
und auch absehbaren Nutzung erheblich
überdimensioniert. Dieses Potenzial mussfür
eine verbesserte Anbindung genutzt werden,
bevor weitere Steuergelder (!) für die Finanzierung
bzw. den Bau eines weiteren Tunnels
nunmehr für die S-Bahn (S-Bahnlinie 21) verplant
werden.
Die DB realisiert als wegweisendes Angebot
zumindest während der Fußball-Weltmeisterschaft einen Pendelverkehr
mit Triebwagenzügen zwischen Gesundbrunnen,
Hauptbahnhof und Südkreuz im
20-Minuten-Takt, überraschenderweise bezeichnet
als S 21.
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M41 mit Zielschild S+U Hauptbahnhof, doch eine U-Bahn gibt es dort noch nicht. Die BVG verweigert die Betriebsaufnahme der U 55, solange die Stummellinie nicht wenigstens bis zum Brandenburger Tor verkehren kann. Die IGEB begrüßt diese Haltung ausdrücklich, weil damit sinnlose Kosten vermieden werden Foto: Marc Heller |
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Der Verkehrswert kann mittelfristig durch
den Einsatz von Zweisystem-S-Bahnfahrzeugen
auf den Nord-Süd-S-Bahnlinien noch
wesentlich gesteigert werden. Z.B. bietet
sich eine Verknüpfung von S-Bahn- und
Fern-/Regionalbahn-lnfrastruktur bzw. die
Einrichtung der erforderlichen Systemwechselstellen
im Bereich der Bahnhöfe Attilastraße
(S 2) und Yorckstraße (S 1) an. Ein Teil des
S-Bahnverkehrs in/aus Richtung Blankenfelde
bzw. Wannsee kann auf diese Weise die
neue Tunnelinfrastruktur nutzen und so die
Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs qualitativ
erheblich verbessern.
Aber auch ein Einsatz von Wechselstrom-S-Bahnzügen
durch den Nord-Süd-Tunnel
sollte geprüft werden.
Weiterer Handlungsbedarf
Die Deutsche Bahn erwartet bis zum Jahr
2010 eine deutliche Steigerung der Reisendenzahlen
im Knoten Berlin um fast 6 Millionen
auf dann 19 Millionen Kunden allein
im Fernverkehr. Es ist fraglich, wie dieses Ziel
erreicht werden soll, wenn einerseits der im
ÖPNV gut erschlossene Bahnhof Zoologischer
Garten z.B. im ICE-Verkehr ohne Halt
durchfahren wird, andererseits auf eine bessere
ÖPNV-Erschließung des Hauptbahnhofs
noch jahrelang gewartet werden muss. Es
besteht damit weiterer Handlungsbedarf
sowohl seitens der Deutschen Bahn als auch
seitens der politisch Verantwortlichen. IGEB Fernverkehr
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